Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem EU-Beitritt Österreichs hat es Tradition, dass der neue Bundeskanzler seine erste Auslandsreise nach Brüssel macht. Vor 1995 war es üblich, als Erstes in die neutrale Schweiz zu fahren. So zeigte die Regierung diplomatisch, wem man sich besonders verbunden fühlt, wie sich das Land in Europa verortet. So war es bei Sebastian Kurz (2017 und 2019), bei Christian Kern (2016) und auch Werner Faymann (2008).

Bundeskanzler Alexander Schallenberg
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Unterschiede gab es im Tempo. ÖVP-Chef Kurz eilte zwischen Angelobung und Regierungserklärung im Parlament zu Kommissionschef Jean-Claude Juncker, um Bedenken wegen der EU-skeptischen FPÖ zu zerstreuen. Dieser bestätigte seinem Programm eine "proeuropäische Tonalität", betonte aber Distanz zur FPÖ. Seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen begrüßte Kurz vor zwei Jahren ohne Vorbehalte. Die konservativ-grüne Koalition segelte auf Kurs des Green Deals.

Nun ist Alexander Schallenberg an der Reihe. Die EU-Partner werden sehr genau beobachten, welche Signale er sendet. Zweierlei wäre dringend notwendig. Er muss betonen, dass er Österreich wieder stärker ins Zentrum der EU-Integration rücken will, wo es hingehört. Als kleines, zentral in Europa gelegenes Land profitiert es davon ganz besonders. Und Schallenberg muss deutlich machen, dass Wien mit grundrechtsfeindlichen, nationalistischen Tönen in Mitteleuropa nichts am Hut hat. Er muss nach vorne blicken, nicht zurück. (Thomas Mayer, 13.10.2021)