DER STANDARD hält Plädoyers für je drei Finalistinnen und Finalisten, die schon feststehen

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Lisa Hauser: Mit stetem Lächeln zum Lebensziel

Ihr Lebensmotto ist keine Raketenwissenschaft: immer mit einem Lächeln durch die Welt gehen. Und im vergangenen Winter hat Lisa Hauser viel, sehr viel gelächelt. Mit ihrem Sieg im Massenstart in Pokljuka sorgte die 27-jährige Tirolerin für die erste WM-Goldmedaille einer österreichischen Biathletin ever. Dazu gewann sie noch zweimal WM-Silber in der Verfolgung und im Mixed-Bewerb, der erste Weltcup-Sieg im Einzel in Antholz gerät da schon fast in den Hintergrund.

Es sind Erfolge, die für Hauser sicherlich auch eine Genugtuung sind. Neben den Höhen gab es auch einige Tiefen in einer bald zehnjährigen Karriere. Einmal schoss Hauser bei einer Weltmeisterschaft auf die falschen Scheiben, nämlich die einer Gegnerin. "Ich hatte auch viele Stürze, bei denen mir einige Male der Schaft meines Gewehrs gebrochen ist", sagt Hauser, die nach Niederlagen des Öfteren bittere Tränen vergossen hatte.

Beim WM-Solo, das sich in voller Länge auf Youtube finden lässt, waren es nur mehr Tränen der Freude. Aufnahme fand Hauser auch in einen elitären Männerbund. Der Name der Kitzbühelerin ist der erste weibliche, der eine Gondel der Hahnenkammbahn ziert. Eine Ehre, die normalerweise nur den Streif-Siegern zuteilwird. "Ich habe mein großes Lebensziel erreicht, kann alles, was noch kommt, genießen. (Florian Vetter)

Foto: AP/BAT

Anna Kiesenhofer: Die olympische Sensation

Ob Annemiek van Vleuten das Märchen vom Hasen und vom Igel einfiel, als sie beim olympischen Straßenrennen ins Ziel radelte? Die Niederländerin wähnte sich als Siegerin, ganz wie der Hase – und dies, obwohl der Igel schon angekommen war. Der Igel hieß Anna Kiesenhofer und hatte 75 Sekunden zuvor das Ziel erreicht.

Anna Kiesenhofer hatte keine Doppelgängerin wie das Viech in der Fabel. Die Siegesgewissheit ihrer Gegnerinnen hat sie sich aber sehr wohl zunutze gemacht. Moral von der Geschichte: Unterschätze niemals den Underdog!

Nein, niemand hatte Kiesenhofer in Tokio auf dem Schirm. Kiesenhofer, die sich im Alleingang auf die Olympiateilnahme vorbereitet hatte. Kiesenhofer, die letztendlich als fünfte Österreicherin Gold bei Olympischen Sommerspielen gewann. Und die für diesen Erfolg nicht einmal hauptberuflich trainiert hat.

Die 30-jährige Niederösterreicherin arbeitet als Mathematikerin in Lausanne, sie ist die Vorbereitung auf Olympia wie ein wissenschaftliches Problem angegangen. Tipps von Trainern hat die Akademikerin stets hinterfragt, sie bezeichnet sich selbst als "Mastermind" ihres Erfolges. Mit diesem Erfolg schmückt sich nun auch Österreich, relativ unverdient. Die olympische Sensation Anna Kiesenhofer im Gegenzug als Sportlerin des Jahres zu ehren wäre das Mindeste. (Antonia Rauth)

Foto: imago images/Belga

Katharina Liensberger: Die Widerspenstige, die sich treu bleibt

Katharina Liensberger hat eine schwere Krise bewältigt, um die Kurve zur Spitze zu kratzen. Ähnlich wie einst Anna Veith, die da noch Fenninger hieß, wagte es die Vorarlbergerin, sich mit dem mächtigen Skiverband (ÖSV) anzulegen, der da noch von Peter Schröcks-nadel geführt wurde. Bei Liensberger, die im Herbst 2019 fast mit dem ÖSV gebrochen hätte, ging es nicht um Werbe-, sondern um Ausrüstungsfragen, sie machte Wind und auf hinterfragenswerte ÖSV-Regularien aufmerksam. Dafür allein gebührte ihr ein Orden, auch wenn sie letztlich, wie seinerzeit Fenninger, unter das Dach des Verbands zurückgekehrt ist. "Bei uns hat Damensport denselben Stellenwert wie Herrensport", hat Schröcksnadel am Ende seiner Ära gesagt, in der sich diesbezüglich tatsächlich viel tat. Das ist auch Liensbergers Verdienst.

Die Widerspenstige geht immer noch oft ihren eigenen Weg. "Es ist wichtig, sich selbst treu zu bleiben", sagt sie. Kaum eine tüftelt so viel wie sie, kaum eine trainiert so eifrig. So hat sie es geschafft, zu Kapazundern wie Mikaela Shiffrin und Petra Vlhova aufzuschließen. Bei der WM 2021 in Cortina holte sie zweimal Gold (Parallelbewerb, Slalom) und einmal Bronze (RTL), dazu holte sie mit einem grandiosen Finalsieg den Slalomweltcup. "Ich liebe es, wenn ich merke, wie ich von Tor zu Tor fliege." (Fritz Neumann)

Foto: AFP/COFFRINI

Vincent Kriechmayr: Ruhepol mit Speed-Double

Understatement ist sozusagen die Spezialdisziplin von Vincent Kriechmayr. "Ich bin zweimal gut gefahren, und das war es", sagte der 30-jährige Oberösterreicher, nachdem er sich im Februar in Cortina d’Ampezzo zum Doppelweltmeister in Abfahrt und Super-G gekürt hatte. Wie bitte? Gut gefahren? Die Königsdisziplin, das Speed-Double! Da fällt dem österreichischen Skifan vor lauter Begeisterung die Williams-Birne aus der Hand.

Apropos Feuerwasser: Kriechmayr erschien nach seinem Triumph leicht angeduselt zum ORF-Interview bei Rainer Pariasek. Er ist also nicht nur ein tollkühner Skifahrer, sondern auch einer von uns. Wer die Ziellinie als Erster überquert, steht beim Après-Ski in der Pole-Position. Ehre, wem Ehre gebührt.

In keiner anderen Sportart lastet der Druck auf den Profis hierzulande so schwer wie im Skisport. Der Zweite ist der erste Verlierer, das maßlose Volk will Gold sehen.

Der "Vinz" hat die überzogene Erwartungshaltung erfüllt. Er hat auf der schwindelerregenden "Vertigine" seine Nerven bewahrt, nebenbei den Weltcup im Super-G sowie Rennen in Kitzbühel und Saalbach gewonnen.

Für diese außergewöhnliche Saison hat sich Vincent Kriechmayr mehr verdient als eine Gondel am Hahnenkamm und einen Empfang in Gramastetten. (Philip Bauer)

Foto: EPA/BOTT

Jakob Schubert: Aufsteiger, Superstar und ein Zeichen

Österreich, Land der Berge. Dass man von Bergen nicht nur talwärts fahren kann, hat sich auch in der Sportöffentlichkeit herumgesprochen. Klettern schaffte es schon länger in die Aufmerksamkeit, wurde aber vom gemeinen Talbewohner oft als Funsport abgetan: "Eine lustige Kraxlerei." Das hatte sich spätestens vor den Olympischen Spielen in Tokio erledigt. Nahezu überall war zu lesen, sehen oder hören, dass der Tiroler Jakob Schubert zu den heißen österreichischen Medaillenanwärtern zählte. Bei Sommerspielen heißt das wirklich viel. Durch die Niederungen hauchte man: "Wir haben da einen Superstar."

Und ja, Schubert gehört seit Jahren zu den Allerbesten. Er bestätigte das mit der Bronzemedaille in Tokio und legte in Moskau seine insgesamt vierte WM-Goldmedaille obendrauf. Dass er, 30-jährig, schon zu den Älteren in der immer jünger werdenden Kletterspitze gehört, kümmert wenig: Olympia in Paris 2024 ist ein Ziel.

Sport ist immer auch ein Stück Nachvollziehbarkeit. Beim Klettern kann man erahnen, was es bedeutet, sich da raufzuwuchten. Schuberts Wahl zum Sportler des Jahres würde zudem ein wichtiges Zeichen setzen: dass Spitzensport in Österreich sehr wohl auch fernab der Skipisten, der Fußballstadien und der Tennisplätze äußerst erfolgreich stattfindet. (Andreas Hagenauer)

Foto: imago images/Golovanov + Kivrin

Lukas Weißhaidinger: Historische Medaille ohne Rekordgage

Festhalten, alle Kraft reinstecken, loslassen: Das beschreibt Diskuswerfen wohl am besten. Lukas Weißhaidinger beherrscht den Sport so gut wie wenige andere auf der Welt. Der Oberösterreicher ist ausgezeichnet darin festzuhalten. Etwa an der Leichtathletik selbst: Mit 13 Jahren startete er seine Karriere. Der 29-Jährige trainiert bereits mehr als die Hälfte seines Lebens.

Weißhaidinger arbeitet hart. Es zahlt sich aus. Bei der Europameisterschaft 2018 und der Weltmeisterschaft 2019 wurde er Dritter. Ein historischer Erfolg gelang Weißhaidinger 2021: Er gewann mit Bronze die erste olympische Medaille für Österreichs Leichtathletik-Männer.

Doch es sind nicht das Festhalten und die Kraft, die ihn zu einem würdigen Sportler des Jahres machen würden. Mit jedem Training, jedem Bewerb lässt Weißhaidinger klassische Vorstellungen von Erfolg los. Im Gegensatz zu Fußball-Stars wartet auf ihn keine Millionengage. Es gibt keine Rekord-Werbeverträge. Stattdessen kehrt er zurück zum Heeressportzentrum. Und arbeitet weiter.

Alles zu geben, obwohl am Ende vergleichsweise wenig Ansehen steht – Weißhaidinger ist nicht der einzige Sportler, der so arbeitet. Eine Ehrung wäre umso wichtiger. Denn sie würde zeigen: Festhalten am Sport lohnt sich. (Ana Grujić)

Foto: AFP/ISAKOVIC