Telegram ist neben Signal eine beliebte Alternative zu Facebooks WhatsApp.

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Nach dem letztwöchigem Ausfall von Whatsapp und anderen Facebook-Diensten konnte Telegram einen massiven Anstieg seiner Nutzerzahlen beobachten. Der Siegeszug der App hält allerdings schon länger an: Telegram ist mit 550 Millionen monatlich aktiven Nutzern die fünftmeistgenutzte Messenger-App der Welt. Oppositionskräfte in Belarus und Myanmar organisierten sich beispielsweise über den Dienst.

Die oppositionellen Proteste in Belarus organisierten sich großteils über Telegram.
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Durch Personen wie Xavier Naidoo und Attila Hildmann ist aber auch im deutschsprachigen Raum bekannt, dass der Kampf gegen Zensur mittels Telegram nur eine Seite der Medaille darstellt. Die britische Antirassismusgruppe Hope Not Hate unterstreicht das mit einem aktuellen Bericht und erklärt: "Die App ist eine der übelsten Fundgruben von Antisemitismus, die man im Internet finden kann. Und das Problem wird von Tag zu Tag schlimmer."

Sicherer Hafen für extremistische Gruppen

Der Bericht konzentriert sich auf die Ausbreitung von Antisemitismus im Internet und zeichnet ein düsteres Bild: Telegram stehe unter den großen Internetplattformen an erster Stelle, wenn es darum gehe, Antisemiten und Extremisten einen "sicheren Hafen" zu bieten, die aus anderen sozialen Netzwerken ausgeschlossen werden, heißt es.

Dazu gehören insbesondere Anhänger von QAnon – einer antisemitischen Verschwörungstheorie, die unter anderem mit dem Sturm auf das US-Kapitol am 6. Jänner in Verbindung steht.

Immer mehr antisemitische Inhalte

Laut dem Bericht von Hope Not Hate sind diverse Telegram-Kanäle, die sich antisemitischen Verschwörungstheorien oder gewalttätigen antisemitischen Inhalten widmen, in diesem Jahr dramatisch gewachsen. Einige der Kanäle zählen mehrere Hunderttausend Mitglieder.

Telegram lässt geschlossene Gruppen mit mehreren 100.000 Mitgliedern zu.
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Hope Not Hate fand weiters heraus, dass mindestens 120 Telegram-Gruppen und -Kanäle das rassistische, antisemitische Manifest des Terroristen geteilt haben, der im März 2019 zwei Moscheen in Christchurch in Neuseeland angriff und 51 Menschen tötete. Telegram selbst ergreift keine Maßnahmen gegen solche Inhalte.

Kritik: Zweierlei Maß

Patrik Hermansson, ein Forscher bei Hope Not Hate, kritisiert den Umgang mit antisemitischem Gedankengut auf Telegram und merkt an, dass mit zweierlei Maß gemessen werde: "Wenn man diese Untätigkeit damit vergleicht, wie Telegram mit islamischem Extremismus und Terrorismus umgegangen ist, ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht."

Im Jahr 2019 entfernte die App im Rahmen einer Europol-Operation mehr als 43.000 Bots und Kanäle, die mit der Terrorgruppe "Islamischer Staat" in Verbindung standen. Hermansson ist der Meinung, dass einige der antisemitischen Inhalte, die auf Telegram geteilt werden, der Unterstützung des Terrors gleichkommen und dementsprechend bekämpft werden sollten.

Mehr Verschwörungstheorien seit Pandemiebeginn

Hope Not Hate stellte außerdem fest, dass Verschwörungstheorien im Allgemeinen seit dem Beginn der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 und den damit einhergehenden Maßnahmen und Einschränkungen stark an Popularität gewonnen haben. In Zeiten der Unsicherheit und Isolation entstünden in der Regel viele Arten von Anti-Establishment- und Anti-Elite-Narrativen. Durch die wachsende Aufmerksamkeit von QAnon habe sich der antisemitische Tenor vieler Verschwörungstheoretiker allerdings verstärkt, heißt es in dem Bericht "Antisemitism in the Digital Age".

Ein QAnon-Anhänger in Massachusetts.
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Die Faktoren, die Telegram zur idealen Plattform für Antisemitismus gemacht haben, reichen laut Hermansson von der Anonymität, die es seinen Nutzern gewährt, bis zur Struktur der App. Sie ermöglicht die einfache Weitergabe einer Vielzahl von Medieninhalten: Telegram unterstützt Videos, Bilder, Textdateien und Sprachnotizen sowie die Weitergabe einzelner Texte von einer Chatgruppe zur anderen. In erster Linie ist Hermansson jedoch der Meinung, dass Telegram wegen seines "generellen Mangels an Moderation" für Antisemiten attraktiv ist. (Maximilian Leschanz, 14.10.2021)