Kein Vergessen: In Katar sind bereits mehr als 6.000 Bauarbeiter gestorben.

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Keine Ruhe: Die Proteste gegen die Fußball-WM gehen weiter.

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Keine Kosten gescheut: Knapp 600 Millionen Euro investiert Katar in das Lusail-Stadion, Spielort des WM-Finales für 92.000 Zuschauer.

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"Wir müssen über Katar reden." Das sagt Tim Sparv, Kapitän des finnischen Fußball-Nationalteams, im Magazin "The Players Tribune", das Spielern eine Stimme gibt. Und der 34-jährige Mittelfeldspieler ist nicht der Einzige, dem das Thema Katar und die kommende Fußball-WM keine Ruhe lässt. Die Protestwelle gegen den WM-Gastgeber ebbt nicht ab.

Mehr als zwei Millionen Gastarbeiter aus Ländern wie Indien, Pakistan oder Äthiopien arbeiten noch immer unter extremen Bedingungen, um Stadien, Hotels und Straßen aus dem Boden zu stampfen. Mehrere Tausend sind seit der WM-Vergabe im Jahr 2010 auf den Baustellen des Golfstaats ums Leben gekommen. Die Regierung erklärt, sie habe Reformen beim Thema Menschenrechte auf den Weg gebracht. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat daran Zweifel, wie Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty Österreich sagt: "Die Lage der Arbeitsmigranten ist nach wie vor prekär. Das ist die traurige Realität."

Zu großer Druck

Verbesserung ist nicht in Sicht, eher das Gegenteil. Es soll Bestrebungen geben, Reformen wieder rückgängig zu machen. Der im Herbst 2020 beschlossene Mindestlohn für die Gastarbeiter und die Abschaffung eines Zertifikats, welches die Arbeitskräfte von ihren Arbeitgebern abhängig gemacht hatte, sind laut Amnesty einigen handelnden Personen ein Dorn im Auge. Jüngste Empfehlungen eines Beratergremiums der Regierung hätten deutlich gemacht, dass die Reformen "verwässert" werden sollen. Aktuell sei der öffentliche Druck aber noch zu groß.

"Viele Menschen da draußen haben das Gefühl, dass eine Chance vertan wurde", sagt Schlack, die aber nicht nur pessimistisch auf die WM 2022 blickt. "Es gab ja bereits Bemühungen seitens Katars. Sollte die Regierung ihre Versprechen endlich ernster nehmen, ist Fortschritt möglich. Es geht um kleine Schritte." Deshalb richtet Amnesty auch immer wieder einen Appell an die Fifa und alle Verbände, damit sie ihren Einfluss nutzen und die Reformen Bestand haben. Einen Boykott lehnt man ab, die internationale Aufmerksamkeit einer WM soll dazu genützt werden, um Missstände aufzuzeigen.

Paul Scharner, Ex-ÖFB-Teamspieler, wünscht sich Aufmerksamkeit für die Lage der Arbeiter auch während der WM. "Bekommen die tausenden Todesfälle Aufmerksamkeit? Denn auf ihren Leichen wird Fußball gespielt", sagte Scharner vor kurzem bei einer Diskussionsrunde des Gewerkschaftsbundes in Wien.

Schweden und Finnland trainieren nicht in Katar

Die Beziehungen der katarischen Regierung zu den radikalislamischen Taliban in Afghanistan waren nur kurz ein mediales Aufregerthema. Katar war seit 2013 Stützpunkt der Taliban, die in einer Villa in der Hauptstadt Doha ein politisches Büro betreiben durften. Ein WM-Boykott wurde von den Kanzlerkandidaten im deutschen Wahlkampf angeheizt.

Im deutschen Fußballverband, dessen Team sich als Erstes für die WM qualifiziert hatte, spricht man sich gegen eine Absage aus. "Ein Boykott spielt für uns keine Rolle. Wir werden uns überlegen, was wir vor Ort ansprechen und welche Aktivitäten wir starten, um weiter positiv einzuwirken", sagt DFB-Direktor Oliver Bierhoff. "Wir sind zehn Jahre zu spät dran", meinte Teamkicker Joshua Kimmich.

Das DFB-Team machte im April beim WM-Quali-Spiel gegen Island mit T-Shirts mit einem Human-Rights-Schriftzug auf die Arbeitsbedingungen in Katar aufmerksam. Eine im Rückblick wenig ruhmreiche Aktion, nachdem nur wenige Monate später bekannt wurde, dass der Verband mit Qatar Airways über eine Partnerschaft verhandelt haben soll.

Dass mehr als nur ein symbolischer Protest möglich ist, zeigen andere Länder. Schwedens Nationalelf hat vor kurzem entschieden, ihr geplantes Trainingslager im Winter in Katar abzusagen. Die Finnen steigen ebenfalls nicht mehr in den Flieger Richtung Wüste. Tim Sparv appelliert an seine Kickerkollegen: "Wir Spieler haben mehr Einfluss als jemals zuvor. Wir müssen unsere Macht nützen." (Florian Vetter, 16.10.2021)