Strobl: "Kurz und Trump sind Produkte aus den Systemen davor. Sie sind ein Krisensymptom und nicht die Ursache."
Foto: Regine Hendrich

Natascha Strobls Analysen zu Sprache im aktuellen politischen Geschehen und den Diskursen verfolgen auf Twitter schon länger Tausende. Dabei konzentriert sie sich auf die verschwimmenden Grenzen zwischen rechten bis rechtsradikalen Erzählungen und jenen konservativer Parteien. Unter dem Titel Radikalisierter Konservatismus hat sie im September ihr erstes Buch veröffentlicht. Darin exerziert sie ihre Thesen zur "rohen Bürgerlichkeit" und dem kalkulierten Bruch mit formellen und informellen Regeln des politischen Handelns anhand von zwei Beispielen durch: Donald Trump, früherer US-Präsident, und Sebastian Kurz, früherer österreichischer Bundeskanzler.

STANDARD: Sebastian Kurz ist eine zentrale Figur für Ihre Thesen zum "radikalisierten Konservatismus". Haben Sie die Ereignisse der vergangenen Wochen überrascht?

Strobl: Der Anlassfall hat mich tatsächlich überrascht. Die Hausdurchsuchungen waren breit angekündigt, die Umfragenaffäre hatte wohl niemand am Schirm. Das Verhalten hat mich nicht überrascht. Die Situation wurde von einer kompletten Defensive in eine Offensive verkehrt, und am Ende wird Sebastian Kurz sogar für sein staatstragendes Verhalten gelobt. Politisch hat er sich aus einer Situation, die eigentlich den kompletten politischen Fall bedeutet, selbst ein Rettungsseil zugeworfen und darf im Hintergrund weitermachen. Es liegt nun an der Justiz und nicht mehr an der Politik, wie und ob das System Kurz weiter besteht.

STANDARD: Sie schreiben, am radikalisierten Konservatismus sei wesentlich, dass sich eine Partei auf eine Figur einigt, es keine Querschüsse gibt und alle hinter der Message dieser Figur stehen – wie bei Kurz. Doch hätten die anderen Parteien, etwa die SPÖ, das nicht auch gern? Wir hören etwa oft, das Problem von Pamela Rendi-Wagner sei, dass sie ihre Partei nicht "im Griff" habe.

Natascha Strobl ist Politikwissenschafterin, Publizistin und SPÖ-Mitglied. Seit 2018 veröffentlicht sie auf Twitter unter #NatsAnalyse niederschwellig Analysen, vor allem zu rechter Spreche und rechten Strategien. Sie hält Vorträge zu den Themen Rechtsextremismus, Faschismus, Neue Rechte und Identitäre.
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Strobl: Eine Form von Parteiendisziplin braucht jede Partei. Wenn ich eine Person gewählt habe, und die steht an der Spitze, muss das anerkannt werden. Wenn nicht, passieren Flügelkämpfe, und alle quatschen rein. Also Ja zu "in den Griff bekommen". Aber bei Sebastian Kurz und Donald Trump geht es um etwas anderes: Es werden Parteienstrukturen außer Kraft gesetzt. Entscheidungen, die in demokratischen Gremien getroffen werden sollten, werden in einen Beraterstab ausgelagert, der aus gegenüber der Führungsperson loyalen Personen besteht. Das führt dazu, dass Kritik verstummt. Wer will schon seine Funktion wegen irgendeines Flüchtlingsmädchens, das abgeschoben wird, riskieren? Vielleicht findet man das eh nicht gut, aber bevor man sein Mandat verliert, ist einem die Jacke näher als die Hose und sagt nichts. Obwohl Trump gar nicht mehr im Amt ist, gibt es nur eine einzige prominente Republikanerin, Liz Cheney, die offen gegen Trump agiert. Jede Person, die nicht für Trump ist, muss in jeder Vorwahl Angst haben, von einer Trump-loyalen Person herausgefordert zu werden. So richtet man sich eine Partei her. Trump und Kurz wurden zwar gewählt, aber danach wird nach Loyalität besetzt. Eine sozialdemokratische Partei sollte das Gegenteil machen. Sie sollte sich öffnen, eine innerparteiliche Demokratie zulassen. Auch so kann man eine Partei in den Griff bekommen: wenn die Akzeptanz groß, der Weg an die Spitze transparent ist und von einer breiten Basis getragen wird.

STANDARD: Aber viele Wählerinnen und Wähler finden diese Parteistrukturen lähmend, und es reizt genau dieser "neue Stil", wie Kurz es selbst immer bezeichnet hat, eine Partei zu führen und Politik zu machen.

Strobl: Auf jeden Fall. Das strahlt auch eine Gewinnermentalität aus, – "Wir machen das selbst und kompromisslos" –, das ist wahnsinnig anziehend. Aber innerparteiliche Demokratie kann auch spannend sein. Etwa wenn wir uns ansehen, was in den USA rund um Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez passiert ist. Verschiedenste Initiativen und Gruppen haben an der Kampagne von Sanders angedockt und sich einem demokratischen Aushandlungsprozess untereinander unterworfen. Wie gewählte Personen das dann in den formaldemokratischen Strukturen des politischen Systems gießen, ist spannend. Natürlich haben wir in Österreich andere Strukturen, aber man kann sich ja mal überlegen, wie man diesen Schwung reinbekommen könnte.

STANDARD: Sie beschreiben verschiedenste Strategien des radikalisierten Konservatismus, etwa die Erzählung einer linken Übermacht. Was Sie offenlassen, ist, wie durchdacht das letztendlich alles ist. Warum?

Strobl: Das ist die große Frage, auf die ich auch keine abschließende Antwort habe. Man muss aufpassen mit der Vorstellung, eine Person hätte sich hingesetzt und das auf dem Reißbrett entworfen. So hat das in der Geschichte auch nie funktioniert, sondern es geht immer um eine Mischung aus Gelegenheiten, Dynamiken, dialektischen Prozessen, dass etwas dort funktioniert hat, und jetzt schauen wir mal, ob es bei uns auch funktioniert – und daraus entsteht wieder was Neues. Aber es gibt gute Anekdoten zu der Frage über Steve Bannon, einen engen Berater von Donald Trump.

STANDARD: Und zwar?

Strobl: Erst konnte das Trump-Team es kaum fassen, dass sie jetzt im Weißen Haus sitzen. Steve Bannon hat sich in einem kleinen Büro in der Nähe des Oval Office eingeigelt und wie ein Kriegsherr agiert, weil sie aus seiner Sicht von Tag eins an im Krieg und im totalen Vereidigungsmodus waren. Das ist eine gut erzählte Anekdote und passt natürlich gut zu Steve Bannon, der Konter gegen Konter, Strategie für Strategie, Offensive um Offensive nach militärischem Muster gegen seinen größten Feind, die freien Medien, abgewickelt hat. Da kam dann Bannons Strategie "flooding the zone with shit" zum Einsatz, ständig neue Aufreger zu produzieren, Ablenkungsgeschichten zu lancieren – das alles ist nicht einfach passiert, sondern es war gewollt.

Auf der Ebene des Kulturkampfes sehen wir, dass vieles von Konservativen übernommen wurde, was man von Rechten kennt, einfach deswegen, weil es funktioniert hat. Wenn Haider ab 1986 wieder und wieder Ausländer, Ausländer, Ausländer schreien konnte, und alle hängen an seinen Lippen, dann kann Sebastian Kurz im Jahr 2021 auch Ausländer, Ausländer, Ausländer schreien, und alle hängen an seinen Lippen. Das ist nicht neu.

STANDARD: Können wir wirklich einfach zwischen Donald Trump und Sebastian Kurz hin- und herswitchen?

Strobl: Es macht auf jeden Fall ein Spannungsverhältnis auf, und das wollte ich auch so. Doch diese Personen sind nicht gleich, sondern sehr unterschiedlich. Hier einer, der sich überhaupt nicht im Griff hat, etwas übergewichtig, schwitzig. Und dort dieser junge, athletische und sanft sprechende, kalkulierte, sich immer im Griff habenden Sebastian Kurz. Wenn man die nebeneinanderstellt, sind sie das genaue Gegenteil. Aber genau das macht es so interessant, daran zu kratzen, und darunter kommt einiges zum Vorschein. Denn es geht nicht nur darum, wie sie als Personen agieren, sondern auch darum, wie der Apparat um sie herum agiert. Wenn wir dann einen Andreas Hanger (ÖVP) sehen, der sagt, in der WKStA gebe es "linke Zellen", dann sehen wir, dass sehr ähnliche Methoden angewandt werden. Trump hat auch viel von linken Netzwerken gesprochen, die ihn absägen möchten. Unterschiedliche Politikstile schließen nicht aus, dass dieselben Methoden angewandt werden.

STANDARD: Zum Beispiel vereinfachte Botschaften, die ständig wiederholt werden, schreiben Sie. Aber kommt das nicht deshalb an, weil sehr viele Sicherheiten wegzubrechen scheinen?

Strobl: Die Annahme, dass Kurz und Trump vom Himmel gefallen sind oder eine Anomalie der Geschichte sind, halte ich für gefährlich. Sie sind Produkte aus den Systemen davor. Sie sind ein Krisensymptom und nicht die Ursache. Wenn man zwei Parteien wie die Demokraten und die Republikaner nicht mehr voneinander unterscheiden kann, weil sie Bussi-Bussi mit den gleichen Spendern machen, wenn man auf Du und Du ist mit den Leuten, die den Sozialstaat aushöhlen, dann brauche ich mich nicht wundern, wenn einem die Leute nicht mehr vertrauen. Soziale Sicherheiten brechen weg. Meine Generation hat noch geglaubt, wenn man brav lernt, vielleicht eine Uni besucht, dann hat man ein Leben lang einen Job. Die heute 20-Jährigen glauben das doch gar nicht mehr, die leben in einer komplett liberalisierten, prekarisierten Welt und wissen nicht, ob sie eine Pension bekommen. Natürlich wirken da Sicherheitsversprechen, wenn jemand sagt, ich richte das jetzt.

Es sind aber zwei Ebenen, die interagieren: die sozioökonomische Ebene und die Ebene des Kulturkampfes. Das heißt, man muss den Arbeitslosen nicht nur das Arbeitslosengeld kürzen, sondern die Arbeitslosen auch als faul darstellen, dass sie überproportional in Wien wohnen, migrantisch sind. Man kann diese beiden Ebenen nicht trennen.

STANDARD: Zuletzt war die Trennung von Stadt und Land bei der Steuerreform ein großes Thema, Stichwort Klimabonus. Liegen Stadt und Land wirklich im Clinch?

Strobl: Trump hat diese Stadt-Land-Geschichte auch sehr stark genutzt und hat Staaten wie Michigan oder Missouri gegen New York oder Los Angeles gestellt. Das wirkt, weil viele Menschen aus diesen Gegenden übersehen worden sind und diese emotionale Aufwertung guttut, wenn man zusehen musste, wie Jobs verschwinden, Fabriken zumachen und das gute Leben woanders passiert, nur nicht hier im Vorort von Saint Louis. Trump hat diese Risse noch mehr aufgemacht und nicht versucht, das auszugleichen.

Natascha Strobl, "Radikalisierter Konservatismus". € 16,– / 192 Seiten. Suhrkamp 2021
Foto: Suhrkamp Verlag

STANDARD: Aber warum funktioniert das auch in Österreich?

Strobl: Wien funktioniert als Hassobjekt seit mehr als hundert Jahren ungebrochen. Für diesen Antiurbanismus gibt es viele Ursachen. Es hat erst mal mit dem Wasserkopf Wien zu tun und dass die Stadt ihre Größe noch von der k. u. k. Zeit hat. Ebenso, dass dort die Adelseliten und die bürgerlichen Eliten verhaftet waren. Und auch mit der Kehrseite hat es zu tun, nämlich dass dort auch die sehr armen Menschen waren, Tagelöhner, Stückarbeiterinnen. Dieser Hass, der sowohl nach oben als auch nach unten geht, wird komplett auf die Stadt projiziert. Dort seien die Bonzen und der letzte Lurch auch noch, religiöse und kulturelle Minderheiten. Auch Juden und Jüdinnen wurden mit der Stadt verbunden, was für den Antisemitismus der Zwischenkriegszeit ganz wichtig war. Das alles ging mit einer Idealisierung des Landlebens einher: Dort leben die echten, die kernigen Menschen, die erdverwachsenen, die man nur auf dem Land findet – da kommt auch das Völkische durch. Juden und Jüdinnen wurde etwa noch vor der NS-Zeit verboten, Trachten zu tragen, weil die mit ihrer nicht naturverbundenen, städtischen Existenz das Symbol der Tracht besudeln würden. Für den Antiurbanismus gibt es also sehr viele Schneisen, und er lässt sich immer wieder triggern: Schauts euch an, die in Wien.

STANDARD: Viele Ihrer Analysen stützen sich auf die Sprachebene. Sie suchen nach dem, was hinter dem Gesagten steht. Lässt sich das nicht allzu leicht als bloße Interpretation zurückweisen?

Strobl: Die politische Sprachtheorie geht davon aus, dass das Gesagte nicht einfach nur das Gesagte ist. Die moderne politische Diskursanalyse, deren Begründerin Ruth Wodak ist, ist mein wichtigstes Instrument. Dafür agiert man auf verschiedenen Ebenen: einmal jener der Frames, die einfach bestimmte Ausschnitte der Wirklichkeit beschreiben, die man sich sucht. Das machen alle, und es ist im Grunde nichts Böses. Aber man muss sich eben ansehen, unter welchen Gesichtspunkten diese Rahmen über die Realität gelegt werden. Bei Rechten, Konservativen oder rechten Sozialdemokraten ist es oft das Sicherheitsframe im Sinne staatlicher Sicherheitsorgane. Dann kommt noch die Ebene der Narrative hinzu, auf der man sich fragt, was beim Gesagten mitschwingt. Man kann sagen, man wird wohl noch Wien kritisieren dürfen. Aber man muss sich eben ansehen, ob die Art der Kritik eine lange Tradition hat – etwa die des Antiurbanismus. Wir müssen mit bestimmten Narrativen, etwa mit völkischen, rechten Narrativen oder Kulturkampferzählungen, vertraut sein, um sie zu erkennen. Die dritte Ebene ist die der Strategien. Es gibt nicht den einen Strategie-Kanon. Aber wenn etwas in sehr ähnlicher Art und Weise immer wieder vorkommt, sich wiederholt, dann ist es eine Strategie.

STANDARD: Sie positionieren sich als politisch links stehend. Schaden Sie damit nicht Ihren Analysen?

Strobl: Das kann sein, aber ich finde es ehrlicher zu sagen, wo man steht. Es gibt diese Idee, so zu tun, als ob man selbst keine Bindungen hätte. Es laufen wahnsinnig viele Leute herum, die beim Cartellverband oder bei Burschenschaften sind, und sogar denen nimmt man oft ab, dass sie neutral wären. Das ist lächerlich. Letztlich ist wichtig, dass nicht unwissenschaftlich gearbeitet wird. Ich kann etwa nicht einfach was weglassen, weil es mir nicht passt. Es gibt eine gute Tradition in der Sozialdemokratie, wo Wissenschaft nicht als Elfenbeinturm gesehen wird oder dass etwa sieben Leute lesen und zwei daraus zitieren. Vielmehr wird in dieser Tradition Wissenschaft auch als Eingriff in die Welt gesehen. Die Sozialpsychologin Marie Jahoda hat gezeigt, dass man so in die Welt eingreifen kann. Ich möchte mich sicher nicht direkt vergleichen, aber in diese Tradition – ganz hinten – möchte ich mich einreihen. (Beate Hausbichler, ALBUM, 15.10.2021)