Man muss dem Kanzler zugutehalten, dass er das glatte parlamentarische Parkett bei seinem Debüt nicht auf Socken betreten hat. Wie er die Freude über so viel Hochachtung vor dem Hohen Haus dann nicht ins Kraut schießen ließ, lässt auf diplomatische Begabung schließen, die ihm der Wöginger-Ersatz im ÖVP-Klub auf seine Reise ins Bundeskanzleramt mitgegeben haben dürfte. Wie er die Morgengabe würdigte, die ihm Beate Meinl-Reisinger als Trost für den Verlust seiner Unschuld überreichte – dieser Ausdruck der Verachtung des Parlaments hatte Kurz-Format. Leicht verspätet hat er sich dafür entschuldigt, er habe es nicht so gemeint. Eine Entschuldigung soll man immer würdigen, was nicht heißt, dass man sie auch immer glaubwürdigen muss. Einem Hanger würde man eine solche Ausflucht gestatten, nicht jemandem, der lebenslang berufsmäßig auf Vorsicht und Takt gedrillt ist.

NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger überreicht Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) Akten. Links im Bild: Vizekanzler Werner Kogler (Grüne).
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Seine Geste war nicht nur respektlos gegenüber der Neos-Chefin, er hat damit auch symbolisch die Arbeit der Staatsanwaltschaft mit den Füßen getreten. Da war es in einem Aufwaschen fällig, die Abgeordneten für ihre "mutwilligen" Misstrauensanträge zu rügen. Man kann nur hoffen, dass sich die Anfälle von Noblesse oblige in neuer Funktion bald legen, damit sich der Bundespräsident nicht gleich wieder beim Volk für einen Angelobungsfauxpas entschuldigen muss. Wie kommt er eigentlich dazu?

Aufkeimende Kritik

Herr Schallenberg wird jetzt oft als Platzhalter gehandelt. Eine solche Rangerhöhung würde eine Person voraussetzen, die ihn auf der Basis des letzten Wahlergebnisses möglichst bald ersetzt. Eine solche ist aber nicht zu sehen, auch wenn uns Sebastian Kurz vordergründig als ÖVP-Klubobmann, realistisch als Fata Morgana vorgespiegelt wird. Ein Verächter des Parlaments als Führer eines parlamentarischen Klubs ist ein Witz, dessen Pointe in seiner Unvermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt beruht. Bei aller aufkeimenden Kritik an Kurz konnte ihn seine Partei nicht sofort allzu tief fallen lassen, weil sonst der vormalige Götzendienst an ihm allzu peinlich erinnert worden wäre. Kurz hat kein Studium, er hat keinen Beruf, nicht einmal eine Lehre, lediglich ein langes, gut bezahltes Praktikum als politischer Intrigant. Mit solchen Skills kommt man außerhalb der Partei nicht weit. So ließ man ihn, um den direkten Weg aus dem Kreisky-Zimmer zum AMS zu vermeiden, zum ÖVP-Obmann noch Klubobmann werden. Auch wenn August Wöginger weiterhin die Knochenarbeit erledigen darf – Voraussetzung für einen Klubobmann auch ohne Geschäftsführung ist parlamentarische Erfahrung, Autorität unter den Abgeordneten, Respekt vor dem Parlament als demokratischer Institution und vor allem die Fähigkeit, als führender Redner seine Partei durch hitzige Debatten selbst in eigener Sache zu führen. Keine dieser Voraussetzungen ist an Sebastian Kurz auch nur halbwegs klar erkennbar, und das wissen selbstverständlich alle, die ihn nun schon wieder eingesetzt haben, obwohl es mit seiner innerparteilichen Autorität nicht allzu weit her ist. Diesmal wenigstens nicht mehr in Anbetung, sondern als vermeintliche Schadensbegrenzung.

Ein Ende mit Schrecken wäre vermutlich besser gewesen als der Dauerschreck vor der Justiz. Aber solange Schallenberg als geistiger Platzhalter funktioniert, ist ihm der neue Job sicher. (Günter Traxler, 15.10.2021)