Hillary Clinton 2011 bei der Tötung Osama bin Ladens als einzige Frau am Tisch der Mächtigen – mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama, dessen Vize Joe Biden und Militärs.

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Freundinnen und nun auch Co-Autorinnen: Louise Penny (li.) und Hillary Clinton.

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Wenn Hillary Rodham Clinton sich irgendeinen anderen Namen aussuchen könnte, wäre es also "Ellen Adams". So heißt die Hauptfigur ihres ersten Thrillers. Anfang dieser Woche ist State of Terror – geplant wie eine Staatsaktion – weltweit zeitgleich erschienen: "Ellen Adams war Ende fünfzig, mittelgroß, schlank und elegant. Geschmackvolle Kleidung und figurformende Unterwäsche kaschierten ihre Liebe zu Eclairs. Ihr Make-up war dezent und betonte ihre intelligenten blauen Augen, ohne dass sie jedoch damit versuchte, ihr Alter zu verschleiern." Feiner Humor gepaart mit viel Feminismus und Disziplin durchzieht das Buch. "Sie hatte es nicht nötig, so zu tun, als wäre sie jünger, aber älter erscheinen wollte sie auch nicht."

Disziplin ist unabdingbar. Adams’ Amtseinführung als Außenministerin ist erst ein paar Wochen her, schon hat sie Sorgenfalten davongetragen. Denn nach der "ans Kriminelle grenzenden Unfähigkeit des letzten Präsidenten" ist es ihre Aufgabe, die USA wieder als internationalen Player zu etablieren. Als reichte das nicht, erschüttern zu Anfang der 560 Seiten Bomben Europa.

Verfasst hat Clinton State of Terror mit der kanadischen Bestsellerautorin Louise Penny, die seit 2005 in dem idyllischen Städtchen Three Pines in Quebec ihren Inspektor Gamache einen Fall nach dem anderen lösen lässt. Clinton war schon lange Leserin dieser Bücher, als sich die beiden 2017 kennenlernten. 2020 hatte ein Agent die Idee, sie auch literarisch zusammenzuspannen.

Echtes Albtraumszenario

Dann ging alles schnell. Der Plot "entwickelte sich im Rahmen eines unserer vielen Telefonate, während Hillary darüber sprach, was sie als Außenministerin um drei Uhr nachts aus dem Schlaf fahren ließ", erklärt Penny im Nachwort das Entstehen. Aus drei "Albtraumszenarien" wählte man dieses. Manuskriptseiten mit Anmerkungen wurden hin- und hergeschickt, Clintons Ehemann und Ex-US-Präsident Bill Clinton ließ ab und zu ein "Ein Präsident würde vermutlich eher nicht" fallen.

So weit die Folklore. Aber was hält das Werk als Lesestoff?

Erst einmal ist State of Terror ein solider Thriller. Von Washington, D. C., geht es für Ellen Adams mit der Air Force ab nach Frankfurt und weiter nach Teheran oder Moskau. "Sie brauchte weder die Zustimmung noch den Respekt der anderen. Lediglich ihre Aufmerksamkeit", heißt es einmal über die mächtigen Männer, mit denen Ellen zu tun hat. Sie verhandelt besonnen und wo nötig hart, durchblickt Zusammenhänge schlagartig, überrascht damit nicht nur den Präsidenten, der die Ex-Medienmogulin nur ins Amt geholt hat, um sie scheitern zu sehen, sondern auch die Führer des Iran und Pakistans. Fast alle Helden sind mutige Frauen, Töchter, Freundinnen.

Zugleich ist es ein politisches Buch. Von 2009 bis 2013 Außenministerin unter Barack Obama und davor acht Jahre lang First Lady, kommentiert Hillary Clinton den Zustand der USA heute und rechnet mit der Politik Donald Trumps ab, dem sie in der Präsidentschaftswahl 2016 unterlegen war. "Die Führer der freien Welt sind wir allenfalls noch dem Namen nach", heißt es dann über den "angeknacksten Leitstern" USA. "Vier Jahre lang wurden nur Leute eingestellt, befördert und belohnt, die alles zu tun und zu sagen bereit waren, um die Macht eines psychisch labilen Präsidenten zu stützen", schreibt sie über den in Florida von einer aus Waffennarren und Rechten gebildeten Privatarmee geschützten Ex-Staatschef. Clinton ist um höchste Aktualität bemüht, der Rückfall Afghanistans in die Hände der Taliban bereitet Ellen Sorgen.

Insiderwissen

Dass Politiker politische Romane schreiben, ist nicht neu: Benjamin Disraeli, André Malraux, Giulio Andreotti haben es getan, Winston Churchill wurde gar mit dem Literaturnobelpreis bedacht. Im März will Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober ein "fiktives Sachbuch" zu Corona vorlegen, "das Einblicke in Entscheidungen geben wird". Im Unterhaltungsbereich hat Bill Clinton mit Co-Autor James Patterson schon zwei Politthriller publiziert – das Genre ist sehr verkaufsträchtig.

"Einblicke" kann man auch Hillary Clinton zugutehalten. In vielen Jahren gesammeltes Insiderwissen über Verhandlungstaktik und Strukturen liegt dem Band ebenso zugrunde wie persönliche Erfahrungen von Übermüdung, Outfit-Fragen, vom Stress zerstörte Frisuren, Medienattacken, Niederlagen. Frech nimmt Clinton an einer Stelle Gerüchte, sie sei lesbisch, aufs Korn. Eine Szene ist klar von den Stunden im Situation Room bei der Tötung Osama bin Ladens 2011 inspiriert. Die wichtigste Lehre Clintons aber stammt aus den Trump-Jahren: Die neuen Feinde der USA kommen aus dem ultrakonservativen Inneren. (Michael Wurmitzer, 15.10.2021)