Alexander Schallenberg ist der Platzhalter für Sebastian Kurz. Die Ehrlichkeit, mit der er diesen Umstand vor sich herträgt, ist gleichermaßen löblich wie irritierend. Immerhin: Er macht aus seiner Loyalität zu Kurz kein Hehl, er versteckt und verstellt sich nicht. Er ist der Diener seines Herrn. Das können, das sollen offenbar alle wissen.

Dieses Bekenntnis wird in allererster Linie Sebastian Kurz freuen. Und wahrscheinlich die türkisen Kollegen auf der Regierungsbank beruhigen, die mit Argusaugen beobachten, ob sich da eh niemand auf ihre Kosten profilieren mag.

Bundeskanzler Alexander Schallenberg hat eine Chance vergeben.
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Die Unterwürfigkeit, mit der Schallenberg seinen neuen Job angeht, ist aber verstörend. Es ist keine Geste dem Volk gegenüber, die man als Demut vor dem Amt und der Größe der Aufgabe interpretieren könnte. Es ist eine Unterwerfungsgeste jenem Mann gegenüber, der mit seinem Machtbestreben die Republik in eine unmögliche Situation gebracht hat, der sein Amt räumen musste, weil es nicht mehr anders ging.

Der Wechsel im Kanzleramt wäre die Möglichkeit gewesen, die Hand auszustrecken, einen Neubeginn zu signalisieren und jene Menschen wieder an Bord zu holen, die von dem Sittenbild vor den Kopf gestoßen sind, das Kurz und seine Kumpane an die Wand der Republik projiziert haben. Wer auch immer sich mit diesen Chats auseinandergesetzt hat, muss angewidert sein – von Inhalt und Form. Das ist mit Sicherheit nicht die Art von Politik, die wir wollen und die irgendwer als gut und richtig vertreten kann.

Hinterfotzigkeit und Respektlosigkeit

Da geht es nicht nur um jene Vorwürfe, die von strafrechtlicher Relevanz sein könnten, da geht es um die Mischung aus Hinterfotzigkeit und Respektlosigkeit, mit der politische Einflussnahme durchgesetzt wurde. Mit unsauberen Mitteln, verschlagen, bösartig und frauenfeindlich – jetzt einmal ganz abgesehen vom Ton, der da angeschlagen wurde. Den könnte man noch am leichtesten nachsehen.

Sebastian Kurz hat sich dafür nicht entschuldigt – wie er selbst und Schallenberg behaupten. Wo denn und wann und bei wem? Kurz hat lediglich festgehalten, dass er ein Mensch sei und eben auch Fehler mache, in der Emotion. Entschuldigung? Weit und breit nicht. Da steht ihm die eigene Wehleidigkeit im Wege. Kein Wort der Einsicht, der Reue, kein Versuch, das Gesagte zurückzunehmen, auf Gegner zuzugehen. Da sind Arroganz und Eitelkeit offenbar zu stark ausgeprägt.

Angesichts dessen ist es umso verblüffender, wie bewusst sich Schallenberg als Statthalter von Kurz präsentiert. Oder, wie es die ÖVP auf ihrer Homepage vielsagend formulierte: "Der Bundeskanzler der Volkspartei".

Schallenberg hat eine Chance vergeben. Er hätte sich als Bundeskanzler der Mitte präsentieren können, als einer, der aufmacht und auf alle zugeht, der der Republik und seinen Menschen ein Angebot macht: Probieren wir es mit Ehrlichkeit, Sauberkeit und Transparenz, stellen wir die Sacharbeit in den Vordergrund, versuchen wir den Zusammenhalt zu stärken. Ein Neubeginn.

Aber nein, in einer nahezu surrealen Nibelungentreue propagiert Schallenberg das System Kurz. Niemand verlangt, dass Schallenberg Verrat an Kurz begehen soll. Aber ein bisschen mehr Eigenständigkeit und Emanzipation und ein klares Bekenntnis zu einer sauberen, geradlinigen und anständigen Politik täten allen gut. Erst recht Schallenberg. (Michael Völker, 14.10.2021)