Der 59-Jährige widmete seine Auszeichnung ermordeten Journalisten.

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In Moskau fiel das Echo auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Journalisten Dmitri Muratow vergangene Woche verhalten aus. In der Opposition hätten einige lieber Alexej Nawalny als Preisträger gesehen, und die russische Führung hat sichtlich Probleme, gute Miene zum für sie bösen Spiel zu machen. Ein Kreml-Sprecher lobte Muratow zwar als "mutig und talentiert", doch von Wladimir Putin kam nun eine Drohung: Er deutete an, dass Muratow irgendwann auf der Liste der "ausländischen Agenten" landen könnte.

Dabei ist die Auszeichnung für den 59-jährigen dreifachen Vater durchaus verdient: 1993, nachdem er der immer mehr in den Boulevardjournalismus abdriftenden "Komsomolskaja Prawda" den Rücken gekehrt hatte, war er einer der Mitbegründer der "Nowaja Gaseta" und berichtete für sie aus dem ersten Tschetschenienkrieg. Kurz darauf wurde er ihr Chefredakteur und formte das Blatt, so wie es bis heute geblieben ist: geradlinig, kompromisslos, sozial und obrigkeitskritisch. "Du musst nicht den Oberhäuptern zuhören, sondern den Menschen", verdeutlichte Muratow die Devise des Blatts.

Einflussreiche Feinde

Mit Artikeln über Korruption und Kriegsverbrechen, über Menschenrechtsvergehen und die Verfolgung von Minderheiten machte sich die Zeitung einflussreiche Feinde. Mehr als einmal stand sie vor der Schließung. Drohungen und Klagen gehören zum Alltag. Sechs Journalisten der "Nowaja Gaseta", darunter Anna Politkowskaja, wurden wegen ihrer Arbeit ermordet. Ihnen widmete Muratow die Auszeichnung.

"Und was die Knete betrifft: Das ist nicht meine Prämie, sondern die der Zeitung", er werde von dem Geld nichts nehmen, verriet Muratow. Den Großteil des Preisgelds will der leidenschaftliche Eishockeyfan an Hilfsfonds spenden, er selbst engagiert sich seit Jahren im Kampf gegen die spinale Muskelatrophie. Den Rest der Summe werde die Redaktion an Journalisten und unabhängige Medien vergeben, "auf die eingedroschen wird".

Politisch steht Muratow der sozialliberalen Partei Jabloko nahe. Einige politische Beobachter sehen in dem Intelligenzler im Körper eines russischen Recken schon einen potenziellen Herausforderer Putins bei den kommenden Präsidentschaftswahlen.

Doch Muratow wird sich hüten, solche Ambitionen selbst zu äußern. Allein der tägliche Kampf um das Recht auf freie Meinungsäußerung erinnert an einen Drahtseilakt. Ginge er in die Politik, würde das Seil sicher gekappt. (André Ballin, 15.10.2021)