Emmanuel Macron und Anne Hidalgo – Rivalen bei der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr.

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Bei der internen Abstimmung gaben mehr als 72 Prozent Anne Hidalgo ihre Stimme.

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Am Donnerstagabend fiel die Entscheidung bei den französischen Sozialisten: Anne Hidalgo wird für sie bei der Präsidentenwahl im nächsten Jahr antreten. In einer parteiinternen Wahl setzte sie sich deutlich gegen den früheren Agrarminister Sébastien Le Foll durch. Sie erhielt rund 70 Prozent der Stimmen. Mit einer roten Rose in der Hand erklärte sie sich willens, eine "Regierung der gesamten Linken" anzuführen. Le Foll hatte die Abstimmung schon im Vorfeld als abgekartete Sache bezeichnet: Hidalgo habe zusammen mit Parteichef Olivier Faure jede inhaltliche Debatte verhindert.

Die 62-jährige Bürgermeisterin von Paris ist nach Ségolène Royal im Jahr 2007 die zweite Präsidentschaftskandidatin des Parti Socialiste (PS). Sie stammt aus Andalusien und war mit ihren Eltern – sie Näherin, er Elektriker – im Alter von drei Jahren nach Lyon gekommen. In Paris wurde sie nach der Einbürgerung und "Französisierung" ihres spanischen Vornamens Ana María zuerst Arbeitsinspektorin, bevor sie in die Politik einstieg. Von ihrem Mentor, dem langjährigen Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë, übernahm sie die Anti-Auto-Politik.

Radspuren in die Wege geleitet

Als Oberbürgermeisterin hob sie ab 2014 die Schnellstraßen entlang der Seine definitiv auf und verbannte Dieselmotoren aus der Stadt; kürzlich führte sie auf dem Stadtgebiet Tempo 30 ein. Entlang der breiten Boulevards schuf sie während der Covid-Krise "provisorische" Radspuren, die langsam, aber sicher definitiv werden.

Die Pariser Rechte wirft der Sozialistin mit der weichen Stimme und dem eisernen Willen vor, sie denke nicht an die Vorstadtpendler, die nun in den Staus vor den Toren von Paris stecken blieben, sondern nur an ihre Wähler. Für die "Bobos" baue sie Sozialwohnungen und Radwege; die Kriminalität, die Drogenmisere oder die Rattenplage in Paris bekomme sie aber nicht in den Griff. Bei den Gemeindewahlen 2020 wurde die Sozialistin aber mit Unterstützung ihrer grünen Koalitionspartner bequem wiedergewählt.

Sichtbar auch außerhalb von Paris

Um ihr Etikett einer "Pariserin" abzustreifen, zeigt sie sich seit diesem Sommer fast nur noch außerhalb der Seine-Metropole: Ihre Präsidentschaftskandidatur kündigte sie in der Normandie-Stadt Rouen an, und ihr Buch "Eine französische Frau" stellte sie im lothringischen Nancy vor. Darin betont sie immer wieder, sie sei in Lyon aufgewachsen und kein Pariser Elitekind, sondern Tochter spanischer Arbeiter und Franco-Gegner.

In den Umfragen für die Präsidentschaftswahlen startet Hidalgo aus einer schlechten Position: Sie kommt derzeit auf nur etwa sechs bis acht Prozent der Stimmen – knapp weniger als der grüne Kandidat Yannick Jadot, viel weniger als Linkenchef Jean-Luc Mélenchon von den "Unbeugsamen". Doch das ist nur die Ausgangslage für die Wahl im April. Die Umfragezahlen werden erst aussagekräftig, wenn Hidalgo Ende des Monats von einem Parteikongress nominiert sein wird.

Hoffen auf den "Scholz-Effekt"

Der Parti Socialiste ist zwar nur noch ein Schatten der glorreichen Zeiten unter François Mitterrand, dem Präsidenten von 1981 bis 1995; aber er verfügt landesweit noch über eine gute lokale Verwurzelung, was für eine Präsidentschaftskampagne wichtig ist. Hidalgo setzt zudem auf den "Scholz-Effekt", das heißt auf einen Aufschwung, wie ihn der Kandidat der deutschen SPD erlebt hatte. Die Pariser Bürgermeisterin hatte Olaf Scholz schon im September in Köln besucht und dabei erklärt, anfangs habe man sich auch über die deutschen Sozialdemokraten lustig gemacht – jetzt hätten sie das Kanzleramt in Griffweite.

Der Elysée-Palast ist für Hidalgo noch etwas weiter weg. Aber sie nimmt für sich ein taktisches Argument in Anspruch: Sie ist wohl die Einzige der diversen rot-grünen Kandidatinnen und Kandidaten, die für alle Linkswähler akzeptierbar wäre. Und falls sie Jadot in den Umfragen überholt, könnte er gezwungen sein aufzugeben, denn der grüne "Realo" macht sich seit jeher und mit Nachdruck für eine linke Einheitskandidatur stark. Der Populist Mélenchon und die zwei Kandidaten der Kommunisten und Linkssouveränisten wollen sich aber auf keinen Fall zugunsten Hidalgos zurückziehen.

Lehrergehälter verdoppeln

Während die Linke mit sich selber beschäftigt ist, dreht sich der Wahlkampf momentan fast nur um rechte Themen wie Migration oder nationale Identität – und um deren Bannerträger wie Eric Zemmour oder Marine Le Pen. Wenn die Energiepreise aber weiter steigen, kann sich Hidalgo mit sozialen Themen besser in Szene setzen. Die in Frankreich traditionell sehr niedrigen Lehrergehälter will sie verdoppeln, die Arbeitszeit über die 35-Stunden-Woche hinaus weiter verkürzen.

Ob sie damit den Umfragefavoriten Emmanuel Macron unter Druck setzen kann, muss sich weisen. Der zur Wiederwahl antretende Präsident führt das Feld derzeit klar mit rund 25 Prozent an. Die Frage scheint derzeit nur, wer es gegen ihn in den zweiten Wahlgang schafft. Hidalgo startet von weit hinten. (Stefan Brändle aus Paris, 15.10.2021)