Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und FDP-Vorsitzender Christian Lindner sind mit den Sondierungen sehr zufrieden. Noch vor Weihnachten soll die Ampelkoalition stehen.

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Volker Wissing, Lars Klingbeil und Michael Kellner, die Generalsekretäre von FDP, SPD und Grünen, nach der Verhandlungsrunde am Dienstag.

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Es ging an diesem Freitag in Berlin schneller als gedacht. Bis lange in der Nacht waren die Sondierer von SPD, Grünen und FDP in Berlin zusammengesessen, um noch einmal die für sie wichtigsten Fragen durchzusprechen: Reichen die Übereinstimmungen aus, um Koalitionsverhandlungen über ein Ampelbündnis aufzunehmen? Oder sind die Gräben doch zu tief? Doch dann war am Freitag schon zu Mittag klar: Sie wagen es. Alle empfehlen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.

Selbst der sonst eher zurückhaltende SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz geriet bei der Pressekonferenz ins Schwärmen: "Es wird das größte industrielle Modernisierungsprojekt, das Deutschland wahrscheinlich seit über einhundert Jahren durchgeführt hat."

Nicht minder angetan zeigte sich FDP-Parteichef Christian Lindner: "Der große Gewinner wird nicht eine einzelne Partei sein, sondern unser Land." Da konnte natürlich Grünen-Chef Robert Habeck nicht hintanstehen und fügte noch hinzu: "Wir haben nicht in den Kategorien Sieg oder Niederlage gedacht."

Doch noch sitzt die Ampel nicht am Kabinettstisch. Zunächst haben SPD, Grüne und FDP ein zwölfseitiges Sondierungspapier vorgelegt. "Wir sind davon überzeugt, dass wir einen ambitionierten und tragfähigen Koalitionsvertrag schließen können", heißt es darin.

Das Papier ist nun die Grundlage für die Koalitionsverhandlungen. Es sind nicht alle Themen bis ins letzte Detail geregelt, die wichtigsten aber mit Leitlinien umrissen:

  • Klimaschutz
    "Der menschengemachte Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Wir sehen es als unsere zentrale gemeinsame Aufgabe, Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen, so wie es der Pariser Klimavertrag und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorgeben" – so lautet die Einleitung zum Kapitel Klimaschutz.

    Der Kohleausstieg soll vom Jahr 2038 auf 2030 vorgezogen werden. Hier haben sich die Grünen durchgesetzt, dies war ein zentraler Punkt in ihrem Klimaschutzprogramm. Doch sie mussten auch verzichten. Das von ihnen geforderte Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen kommt nicht. "Das konnten wir nicht durchsetzen", räumte Grünen-Chef Habeck ein, erklärte aber gleichzeitig: "An anderen Stellen sind wir sehr zufrieden."

    Für die Windkraft an Land sollen zwei Prozent der Fläche Deutschlands ausgewiesen werden, zudem will die Ampel Solaranlagen bei gewerblichen Neubauten zur Pflicht machen, bei neuen Privathäusern zur Regel.

  • Arbeit
    Im Kapitel Arbeit ist zu lesen: "Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn im ersten Jahr in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöhen. Im Anschluss daran wird die Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden."

    Der Mindestlohn in Deutschland beträgt derzeit 9,60 Euro/Stunde. Für eine Erhöhung auf zwölf Euro hatten sich Grüne und SPD starkgemacht, die FDP hatte dies im Wahlkampf abgelehnt. Nun aber meint FDP-Chef Lindner: "Das muss man hier akzeptieren, dass es hier ein Anliegen gibt." Dafür kann sich Lindner die Erhöhung der Verdienstgrenze für Mini-Jobs auf 520 Euro und jene für Midi-Jobs auf 1600 Euro auf die Fahnen heften.

  • Steuern/Finanzen
    Auch hier dürfte Lindner zufrieden sein. Die von SPD und Grünen geplanten Steuererhöhungen für Reiche zur Finanzierung der Corona-Folgen finden sich im Papier nicht.

    Zukunftsinvestitionen werden im Rahmen der Schuldenbremse erfolgen. Um mehr Spielraum zu bekommen, soll der Haushalt auf überflüssige wie klimaschädliche Subventionen überprüft werden. Die Renten werden nicht gekürzt, eine Anhebung des Renteneintrittsalters ist nicht geplant.

  • Wohnen/Mieten
    Pro Jahr will die Ampel für den Bau von 400.000 neuen Wohnungen sorgen, davon sollen 100.000 öffentlich gefördert werden. Geltende Mieterschutzregeln will man verlängern, einen generellen Mietendeckel soll es aber nicht geben.

  • Sonstiges
    Vorangetrieben werden soll die Digitalisierung. Der Wunsch: Die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren soll möglichst halbiert werden. Kinderrechte kommen ins Grundgesetz, die Einwanderung von Fachkräften wollen SPD, Grüne und FDP durch ein Punktesystem erleichtern.

Der SPD-Parteivorstand hat noch am Freitag grünes Licht für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gegeben. Bei den Grünen befasst sich am Sonntag ein kleiner Parteitag mit dem Papier. Und die FDP-Spitze wird am Montag den Gremien den Start von Verhandlungen empfehlen.

Gefragt, ob schon über Posten im Kabinett gesprochen wurde, sagte Lindner am Freitag bloß: "Nein." Es ist aber kein Geheimnis, dass er Finanzminister werden möchte. Auch Habeck hat Ambitionen auf den Job. (Birgit Baumann aus Berlin, 15.10.2021)