Jean-Michel Basquiat's Untitled (Red Warrior, 1982) wechselte vergangenes Wochenende via Sotheby’s für etwas mehr als 18 Millionen Euro den Besitzer.

Foto: Sotheby’s

Am 13. Oktober um 17 Uhr lief das Ultimatum aus: Spätestens dann sollte die Skulptur eines dänischen Künstlers auf Wunsch der Universität Hongkong von ihrem Campus entfernt werden, wie die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) dieser Tage berichtete. Bei Redaktionsschluss lagen noch keine Informationen vor, ob und welche Konsequenzen ein Verbleib des Werkes zur Folge haben würde.

Die Sache ist kompliziert, jedoch auch exemplarisch für politisch konnotierte Verschärfungen durch die Behörden in der chinesischen Sonderverwaltungsregion. Laut SZ schuf Jens Galschiøt die "Säule der Schande" in Erinnerung an das Massaker auf dem Tian’anmen-Platz in Peking 1989. Die acht Meter hohe Betonskulptur zeigt ineinander verwundene Menschen, die sich sterbend aneinander hochziehen. Sie war 1997 nach Hongkong transportiert und der Alliance in Support of Patriotic Democratic Movements in China übergeben worden.

Seit damals veranstaltete dieser Verein der Demokratie-Aktivisten eine jährliche Waschung der Leihgabe des Künstlers sowie eine Kerzenwache im Gedenken an die Opfer. Die rituelle Reinigung fand heuer statt, die für Juni anberaumte Kerzenwache war jedoch von den Behörden untersagt worden.

Mehrere Mitglieder des Vereins, dem die "Verschwörung mit ausländischen Kräften" vorgeworfen wird, landeten im Gefängnis. Zuletzt wurden im September Vorstandsmitglieder verhaftet. Sie hatten sich geweigert, bei Ermittlungen auf Grundlage des Sicherheitsgesetzes zu kooperieren und vertrauliches Datenmaterial herauszugeben. Wie zig andere zivile Organisationen auch, beschloss die Allianz, sich nach 32 Jahren aufzulösen. Die Krux: Sie ist der Adressat, dem die Universität das Ultimatum stellte. Der Künstler befürchtet nun eine Zerstörung seines Eigentums.

Zensoren im Museum

Die Situation in Hongkong habe sich völlig verändert, bestätigt auch Ai Weiwei, der diese Woche im Vorfeld der ab März in der Albertina Modern anberaumten Ausstellung in Wien weilte. "Es gibt keine freie Meinungsäußerung mehr – weder in den Zeitungen noch in den Medien und in den Museen", betonte er kürzlich in einem Interview.

Das von Herzog & de Meuron im Hongkonger West Kowloon Cultural District erbaute Museum M+ wird am 12. November eröffnet. Im Vorfeld waren Aufnahmen von Arbeiten Ai Weiweis im September von der Website des Museums für visuelle Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts verschwunden.

Laut Ai Weiwei gebe es in Hongkong "keine freie Meinungsäußerung mehr". Der chinesische Künstler und Aktivist besuchte diese Woche die Albertina: ein Arbeitstreffen im Vorfeld seiner Ausstellung "In Search of Humanity" (ab 16. März 2022).
Foto: Albertina

Die seit 2012 aufgebaute Sammlung der Institution inkludiert auch eine Spende des Sammlers Uli Sigg: 1463 Werke von 325 Künstlern mit einem Schätzwert von etwa 144 Millionen Euro, weitere 47 hatte er für 177 Millionen Dollar an das Museum verkauft. Darunter befindet sich eine Reihe von Werken kritischer Künstler, deren Präsentation von den staatlichen Zensoren angesichts jüngster Entwicklungen wohl verwehrt bleiben wird.

Immobilienkrise wächst sich aus

Parallel bahnt sich in China ein Flächenbrand an. Am Dienstag war bekannt geworden, dass der Immobilienriese Evergrande zum dritten Mal Zinszahlungen nicht bedienen kann. Der Konzern sitzt auf einem Schuldenberg von mehr als 300 Milliarden Dollar. Im Windschatten gerieten auch kleinere Immobilienunternehmen in Zahlungsnot, und am Ende werden tausende Anleger auf ihren Forderungen sitzen bleiben. Das monetäre Gesamtvolumen übertrifft die Lehman-Pleite, die 2008 eine weltweite Finanzkrise ausgelöst hat, um ein Vielfaches.

In welchem Ausmaß die globalen Märkte davon betroffen sein werden, ist derzeit nicht absehbar. Die Situation erinnert – auch aus Sicht des internationalen Kunstmarkts – an die Wirtschaftskrise 1990, die auf regionaler Ebene in Japan begann und sich nach dem Ausbruch des Golfkriegs ausdehnte. Der Boom auf dem Kunstmarkt war damals schnell vorbei, der Markt war korrigiert, aber nicht kollabiert.

Regulierung von Gehältern

Die Branche beobachtet die Entwicklungen in China mit Argusaugen, auch die jüngeren Vorstöße der Partei, die sich mit gravierenden wirtschaftlichen Ungleichheiten auseinandersetzen muss. Zeitgleich wächst die Zahl der Millionäre und Milliardäre in China nahezu täglich: 45 Prozent aller Luxusgüter weltweit werden derzeit an chinesische Konsumenten verkauft, 2019 waren es noch 37 Prozent. Eine Shoppingwut, die Peking ein Dorn im Auge scheint. Dort plant man, exzessiv hohe Gehälter zu regulieren. Das hätte auch auf den Kunstmarkt Auswirkungen.

Thomas Wüstenhagen, ehemaliger Galeriepartner von Emanuel Layr, ist seit 2014 in Asien und zuletzt in Hongkong und Bangkok beruflich tätig. Aus seiner Sicht fällt das derzeit in die Kategorie Spekulation. China mag prinzipiell unberechenbar sein, hat jedoch erhebliches Interesse daran, dass die Wirtschaft floriert.

Zu seinen Kunden gehören Vermögende in China, Hongkong und Korea. Sie kaufen Kunst wahlweise aus Überzeugung oder auch nur aus Prestigegründen. Einen Rückgang der Nachfrage kann er nicht attestieren, eher sei das Gegenteil der Fall. Aufgrund der Pandemie entfielen Fernreisen und wurde deutlich mehr in Kunst investiert.

Rekordumsätze

Ein Trend, der sich in den Bilanzen der Auktionshäuser spiegelt. Vergangenes Wochenende versteigerte Sotheby’s in Hongkong Kunst im Wert von 114 Millionen Dollar, womit man heuer bei einem dort eingespielten Rekordumsatz von 330 Millionen liegt – fast das Dreifache der 2020 insgesamt vor Ort erwirtschafteten Erlöse.

"Love is in the Bin", das derzeit wohl berühmteste Werk des britischen Street Art Künstlers Banksy, wechselte diese Woche via Sotheby’s London in den Besitz eines asiatischen Privatsammlers: für 18,6 Millionen Pfund (25,4 Mio. US-Dollar, 21,88 Mio. Euro), ein neuer Weltrekord für Banksy.
Foto: Sotheby’s

Bei Kontrahent Christie’s überschritten die Umsätze in Asien bereits zur Jahresmitte die Eine-Milliarde-Dollar-Marke, damit entfiel ein Rekord von 39 Prozent des weltweit erwirtschafteten Umsatzes auf die Region Asien, schildert Dirk Boll, Christie’s-Präsident EMEA (Europe & UK, Middle East & Africa). Hongkong sei für China das, was die Schweiz für den deutschen Mittelstand gewesen sei, sagt Boll. Die gegenwärtige Situation verfolgt er mit seismografischem Gespür und einem fast unerschütterlichen Optimismus. 2024 wird Christie’s einen neuen Hauptsitz in Hongkong eröffnen, wo ganzjährig Versteigerungen stattfinden sollen. Standesgemäß wird man sich dazu in den von Zaha Hadid entworfenen Luxusturm "The Henderson" einquartieren. (Olga Kronsteiner, 16.10.2021)