Strategieberaterin Heidi Glück schreibt in ihrem Gastkommentar darüber, wie es mit der ÖVP weitergehen könnte.

Kurz muss weg", tönte es monatelang von den Oppositionsbänken, aus Demonstrationschören, Leitartikeln und aus so manchem Justizakt. Die breite Allianz gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz gipfelte in Hausdurchsuchungen. Die grüne Basis revoltierte intern, Kogler geriet in Panik, und die grünen Strategen erzwangen den Rücktritt von Kurz als einzigen Strohhalm, um ihre Regierungsbeteiligung zu retten.

Die Alternative wäre gewesen, ein Bündnis mit der FPÖ einzugehen, was à la longue erfolgversprechende Aussichten nur für Herbert Kickl ergeben hätte. Die inkriminierte Involvierung des Ex-Bundeskanzlers in die Manipulation von Umfragen ist rechtlich offen und erfüllt aus Sicht mancher Juristen nicht unbedingt den Tatbestand der Bestimmungstäterschaft.

Ob der Wechsel in die Klubführung ein guter Schachzug war? Altkanzler Sebastian Kurz kämpft um seine politische Zukunft. Die Justiz will rasch weiterermitteln.
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Ich persönlich glaube nicht, dass Sebastian Kurz so etwas in Auftrag gab, aber Wegschauen war bequem und die geschönten Prozentzahlen im Fellner-Blatt für ihn erfreulich. Mit einem Spin einen Meinungsbildungsprozess zu steuern und so schneller als demokratisch an die Macht zu kommen war verlockend. Was seine Rolle in dieser ungustiösen Causa tatsächlich war, muss das Gericht sine ira et studio objektiv bewerten. Diese Klärung wird dauern, darum muss Neokanzler Alexander Schallenberg beweisen, dass er für Stabilität in der Regierung und in der Republik sorgen kann. Nerven und Besonnenheit in der Krise wird vom gelernten Diplomaten erwartet. Er wird das dann erfüllen, wenn er sein eigenständiges Profil entwickelt. Wenn es ihm gelingt, die Vertrauensbasis zum grünen Regierungspartner wiederherzustellen, die Regierung als Kompetenzteam zu positionieren, in dem auch Platz für Profilierung der Fachminister möglich wird, kann er bald mit der Zustimmung aus dem Volk rechnen. Der neue ÖVP-Klubobmann Sebastian Kurz muss sich darauf einstellen, dass auf der Politikbühne auch andere punkten können und sich die Umfragen für seine Partei auf niedrigerem Niveau einpendeln. Die Enttäuschung über ihn sitzt bei vielen tief, auch weil das Vertrauen so hoch war.

Enttäuschung sitzt tief

Mit den Blankoschecks aus den ÖVP-Ländern ist es nun vorbei, die "alten" Machtkonstellationen bei den Konservativen sind wieder hergestellt. Ab jetzt reden die schwarzen Landesfürsten auch in bundespolitisch relevanten Fragen wieder mit, hoffentlich künftig mehr hinter als vor den Kulissen. Dennoch muss die ÖVP jetzt wieder in den konstruktiven Arbeitsmodus zurückkehren und vor allem auch ihren aggressiven, in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Konfrontationskurs mit der Justiz beenden und die Hanger-Games vom Spielplan absetzen. Die Gegner warten weiterhin auf den endgültigen Abgang von Kurz aus der Politik und werden jeden seiner Schritte, jede seiner Aussagen minutiös und misstrauisch deuten, im Versuch, ihn nicht wiederauferstehen zu lassen.

Eines lernen hoffentlich alle Ungeduldigen und Machthungrigen aus dieser Krise: Die Wahl der Mittel muss immer anständig bleiben. Wir wissen schon: Das Klima in der Politik ist schlecht, der Umgang ruppig, der Respekt eine aussterbende Tugend – aber der Machiavellismus als Staatsdoktrin ist keine Erfindung von Türkis, Schwarz, Rot oder Blau. Toxische Umgangsformen in der Tagespolitik sind schon lange die Norm, und sie sind auch der Humus, auf dem die Bosheit wächst, die wir täglich lesen, hören und sehen. Wer sich in der Pose der Entrüstung gefällt, soll sich in den Spiegel schauen.

"Sollte die juristische Suppe gegen Kurz zu dünn sein und sollte er unbescholten bleiben, könnte das auch eine neue Dynamik unter seinen Sympathisanten entfalten."

Das Trommelfeuer der Opposition gegen Kurz rund um die Chataffäre verrät, dass es den Akteuren gar nicht darum geht, die dringend notwendige Politik für die Menschen zu machen und das Anpacken der vielen Baustellen der Republik in den Mittelpunkt zu stellen, sondern um billige Triumphe über den politischen Feind, gespeist aus Hass und Neid. Dafür ist typisch: Kaum ist die Beute zur Strecke gebracht, wird eine neue Jagdgesellschaft zusammengestellt, um im nächsten U-Ausschuss die Sache am Kochen zu halten, Erkenntnisgewinn hin oder her. Die Botschaft an die Kurz-Wähler lautet: Ihr seid einem Scharlatan aufgesessen, bekehrt euch und kommt zu uns. Das wird es nicht spielen. Sollte die juristische Suppe gegen Kurz zu dünn sein und sollte er unbescholten bleiben, könnte das auch eine neue Dynamik unter seinen Sympathisanten entfalten. Wenn er es jetzt geschickt anstellt, ist sein Potenzial beim Wahlvolk nicht nur wegen der Schwäche seiner Gegner weiter abrufbar.

Charme und Charisma

Ob sein Wechsel in die Klubführung mittelfristig klug war, wird sich bald weisen. Wenn dieser Schritt dazu führt, dass sein über alle Fraktionen hinweg anerkannter Vizeklubobmann August Wöginger nun in seiner Autorität relativiert wird, ist es ein Pyrrhussieg. Als "Nur"-Parteichef durch die Bezirksparteiorganisationen zu ziehen, mit Charme und Charisma um neue Zustimmung zu werben würde vermutlich Schallenberg mehr Luft und der Konkurrenz im Parlament weniger Angriffsmöglichkeiten bieten. Das muss ja nicht gleich das gänzliche Verschwinden von der öffentlichen Bildfläche bedeuten.

Übertrieben sind die hysterischen Reaktionen der Medien- und Twitteria-Blase auf erste Aussagen von Alexander Schallenberg. Eine unnötige Fleißaufgabe war wohl sein Urteil über die Ermittlungen, dass die Vorwürfe gegen Kurz falsch sind. Seine Loyalitätserklärung für Kurz war daher nicht überraschend, aber politisch-logisch und menschlich verständlich. Dass sich Schallenberg im Parlament nicht von Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger ärgern lassen wollte und diese Form des "Postwegs" zurückwies, war emotional nachvollziehbar, wenn auch unüberlegt.

Wie die Kurz-Story letztlich enden wird, bleibt offen und wird wohl davon abhängen, ob es weitere Chats seiner engsten Gefährten gibt, die ihn mit in den Abgrund reißen. Aber es sollte sich niemand zu früh freuen. Dennoch muss sich die Volkspartei Gedanken um die Wiederherstellung ihrer Glaubwürdigkeit und Integrität machen. (Heidi Glück, 15.10.2021)