Ein Ego-Shooter-Computerspiel dient in der Dunkelkammer des Volkstheaters als Folie für Lydia Haiders Tötungsorgie "Kreuz brechen. Also alle Arschlöcher abschlachten".

Foto: Nikolaus Ostermann

Hat das Sterben einmal begonnen, nimmt es kein Ende mehr. Die Literatur Lydia Haiders führt immer in den Untergang. Begonnen hat es 2015 im Debütroman Kongregation mit sieben rätselhaften Todesfällen junger Menschen. Im Vorjahr feierte die Splatter-Fantasie Am Ball (gemeint ist der sogenannte Akademikerball) als Theaterfilm am Schauspielhaus Premiere. Und in Kreuz brechen. Also alle Arschlöcher abschlachten, das nun in der Dunkelkammer des Volkstheaters uraufgeführt wurde, geht es dutzenden meist prominenten Männern an den Hals, von Gregor Bloéb bis Peter Handke, von Jesus Christus bis Peter Schröcksnadel. Auch "das ganze STANDARD-Forum" kommt dran.

Die Sätze winden und bäumen sich dabei zu einer von hinausgekotzten Beschimpfungen und Abkanzelungen begleiteten Vernichtungsfantasie auf, wie man sie in der Literatur selten findet. Es ist eine urösterreichische Sprachgeburt, die sich hier vollzieht: Lydia Haider, irgendwie das Enkelkind der Wiener Gruppe (Artmann, Gerstl), dreht mit neuer Wut an der Morbiditätsskala. Ihre Sprache ist akustisches Material, das erst im Gesprochenwerden seinen idealen Zustand erreicht, Material, dem eine physische Komponente innewohnt, das herausgestoßen oder -gespieen wird, das sich in Wellen aufrichtet bis zum letzten Ausatmen.

"Arschloch in der U-Bahn"

Damit einher geht ein experimenteller Sprachgebrauch. Versächlichungen ("das Gegotte", abgeleitet von Gott), herabwürdigende Diminuitivformen ("Hirndlerl", "Kofferkindi") und Fäkalienfuror aller Couleur blähen sich zu einer orgiastischen Partitur, die sich selbst versagt, "eins dieser klassischen Schauspielchen" zu sein, aber in der Volkstheater-Inszenierung dann doch nicht weit darüber hinauskommt.

Regisseur Kay Voges spannt den Text in ein Ego-Shooter-Computerspiel, das in Nummerndramaturgie am Stehpult und vor großer Leinwand recht mechanisch abläuft – von A wie Andreas Khol bis wieder A, das "Arschloch in der U-Bahn", meist illustriert mit Konterfei. Drei Schauspielerinnen (Evi Kehrstephan, Lavinia Nowak und Claudia Sabitzer) staksen in Overalls und hinter gleichförmigen Gesichtsmasken durch diese von der Leinwand abstrahlende Pixelwelt. Rundherum in der kleinen, etwa 50 Personen fassenden Spielstätte unterm Dach hängen Bildschirme: Wir alle sitzen also drin in diesem Joystick-Universum, in dem man (jeweils eine Person im Publikum) immer nur abzudrücken braucht; die gnädige Computerstimme quittiert dann die Trefferquote mit "Niiiiice" oder auch "That was dope".

Hinterhältiger Rhythmus

Zur Sicherheit steht auch Voges selbst auf der Exitus-Liste, wird aber im Vergleich wahrlich geschont. Mit "Krapfenscheißer", "brunzwarmer Aufgesetztheit" oder "Fickfacksemmerl" werden andere bedacht.

Der kleine Abend (60 Minuten) funktioniert, doch tut der Abhakmodus dieser Tötungsfantasie und ihrem hinterhältigen Rhythmus nicht gut. Das (im Text vorgegebene) Schema kerkert ihn zu sehr ein. Und warum werden überhaupt so vielen die Kreuze gebrochen? Ganz einfach: "weil sie darum betteln". (Margarete Affenzeller, 16.10.2021)