Homeoffice kam, um zu bleiben. Für Markus Wiesner ist das Büro dennoch nicht Geschichte, wenn dieses künftig auch weniger private Fotos zieren werden. Kaputten Drehstühlen kann der Möbelhersteller viel abgewinnen.

Markus Wiesner: "Unternehmen fürchten, dass das Gefühl der Gemeinsamkeit erodiert."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Die Österreicher haben ihre Bürosessel gegen Couch, Küchenstuhl und Gartenbank ausgetauscht. Werden sich viele Arbeitnehmer auf Dauer im Homeoffice einrichten?

Wiesner: Viele Unternehmen wollen ihre Leute zurück, sie fürchten, dass Spirit verloren geht, dass das Gefühl der Gemeinsamkeit erodiert. Und es gibt Diskussion über soziale Vereinsamung. Ein gewisser Anteil der Zeit wird sicher weiter aus dem Homeoffice heraus gearbeitet werden. Manche Dinge aber lassen sich nicht über Videokonferenzen abhandeln.

STANDARD: Müssen Büros dafür gemütlicher und wohnlicher werden?

Wiesner: Es geht um Attraktivität, aber auch um Kosten und Effizienz. Werden Büroflächen um 30 Prozent reduziert? Braucht es Räume für Videokonferenzen und Workshops? Man wird vermehrt darüber diskutieren, ob jeder Mitarbeiter einen eigenen Arbeitsplatz haben wird.

STANDARD: Der persönliche Schreibtisch ist also bald Geschichte?

Wiesner: Ich denke schon. Vor allem dort, wo "remote" gearbeitet wird, wo man nicht die ganze Woche über ins Unternehmen kommt. Nicht jeder wird mehr einen fixen Schreibtisch mit Telefon und Fotos besitzen, einen administrativen Ort des Rückzugs, wenn man sich nicht bespricht. Es wird dafür mehr temporäre, buchbare Arbeitsplätze geben.

STANDARD: Geht damit nicht viel an Bindung zum Arbeitgeber verloren?

Wiesner: Der größte Feind für diese Veränderungen steckt in den Köpfen der Menschen, die Bereiche als ihre private Zone identifizieren. Wir können aber nicht alles haben. Zwischendurch im Homeoffice und digital vernetzt sein, die gleiche volle Ausstattung auch im Office – beides wird es nicht spielen.

Markus Wiesners Familie produziert seit 100 Jahren Sessel. Einst für Kinos, Theater und Festspielhäuser, heute für Büros.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Ihre Familie produziert seit 100 Jahren Sessel und stattete einst Kinos, Theater, Festspielhäuser und Schulen aus. Warum haben Sie mit dieser Tradition gebrochen?

Wiesner: Wir wuchsen einst in Österreich stark als Vollsortimenter. Der Markt war abgeschottet, es gab große Schulbauprojekte, Kinos kamen, wir bauten Möbel fürs Burgtheater. Mit der Marktöffnung und mehr Wettbewerb ist man mit dieser Strategie jedoch überall nur noch Zweiter. Wir mussten uns also spezialisieren. Büroausstattung war naheliegend.

STANDARD: Heute ist Österreichs Markt für Büromöbel hochkonzentriert. Drei Unternehmen, an denen auch Ex-Minister Martin Bartenstein beteiligt ist, bedienen rund 50 Prozent des Geschäfts.

Wiesner: Die fünf großen Anbieter waren immer so etwas wie ein Oligopol. Bis auf Bene konzentrierten sich alle auf Österreich. Ich habe immer gesagt: Sie schlagen so lange aufeinander ein, bis sie tot sind. Das ist dann später mehr oder weniger passiert. Wir selbst haben versucht, uns auch andere Märkte aufzubauen.

STANDARD: Hätte die Wettbewerbsbehörde bei den Zusammenschlüssen hellhörig werden müssen?

Wiesner: Wir waren über die Handhabung sehr erstaunt und haben damals dagegen protestiert.

STANDARD: Die Dominanz weniger Konzerne lässt Kunden zusehends auf Anbieter aus Deutschland umsatteln. Schadet sich Österreichs Industrie mit dieser hohen Marktkonzentration selbst?

Wiesner: Natürlich gibt es dadurch weniger Wettbewerb. Dass sich die Märkte nun weiter öffnen, ist ein normaler Prozess.

STANDARD: Sie fertigen neben Österreich seit 1993 auch in Tschechien. Was kann Tschechien besser als Österreich?

Wiesner: Für Tschechien ist es wichtig, nicht nur Wertschöpfung zu verkaufen, sondern auch zu produzieren. Wir haben auf der grünen Wiese nahe staatlicher Polstermöbelfabriken gebaut. Es gab dort geschultes Personal. In Österreich wollte damals keiner mehr Polsterer werden. Heute arbeiten in Tschechien 40 unserer insgesamt 350 Mitarbeiter.

Markus Wiesner: "Noch nie zuvor wurden so viele Industriebereiche zugleich zu- und wieder aufgesperrt."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Die Industrie leidet unter Lieferengpässen. Gilt das auch für Sie?

Wiesner: Ob Metallgestelle, Aluminiumteile, roher Stahl oder ganze Möbel – die Entwicklung der Rohstoffpreise trifft alle Komponenten in absolut wahnsinniger Intensität.

STANDARD: Werden Möbel teurer?

Wiesner: Wir hatten heuer bereits zwei Preiserhöhungen. Noch nie zuvor wurden so viele Industriebereiche zugleich zu- und wieder aufgesperrt. Die rasche Erholung hat alle überrascht. Und trifft starke Nachfrage auf reduziertes Angebot, weil das Hochfahren nicht schnell genug geht, reagiert das System mit Engpässen und Preiserhöhungen.

STANDARD: Auch Fachkräftemangel ist ein Dauerbrenner. Bilden Unternehmen zu wenig Nachwuchs aus?

Wiesner: Wir bilden aus, von Maschinenbau- über Tischlereitechniker bis zu Elektrikern. Gute Leute zu finden war schon vor der Krise herausfordernd, das hat viele Ursachen. Wie können Leute finden und qualifizieren? Wo finden wir Programmierer? Unser Wirtschaftssystem ist stark gewachsen. Corona war nur ein kurzer Einschnitt.

STANDARD: Sind Jobs in der Industrie unattraktiv, die Löhne zu niedrig?

Wiesner: Nein. Wir sind keine familienfeindliche und schlecht bezahlte Branche. Aber brauchen viele Sektoren Arbeitskräfte, geht man dorthin, wo es am attraktivsten ist. Wir selbst sind umgeben von Konzernen. Manche Arbeitnehmer fühlen sich in großen Organisationen nicht wohl und wechseln in Familienbetriebe. Aber eine Stelle ausschreiben, und 25 Leute bewerben sich – das gibt es nicht mehr.

STANDARD: Nehmen Sie auch Langzeitarbeitslose, Männer, die Teilzeit arbeiten oder in Kinderkarenz gehen wollen?

Wiesner: Ja, entscheidend ist, richtige Kompetenzen zu finden. Unsere Gesellschaft verändert sich, damit müssen wir umgehen. Wir haben Leute, die weniger arbeiten wollen. Wir haben viele Schichtmodelle und Sonderregelungen. Zu sagen, ich habe ein Mitarbeiter- und Führungsbild wie vor 20 Jahren, und jeder hat diesem zu entsprechen, können wir uns nicht leisten.

STANDARD: Gehört der Druck, Jobs anzunehmen, verstärkt?

Wiesner: Diese Diskussion ist stark ideologiebesetzt. Langzeitarbeitslosen gehört Unterstützung gekappt, weil sie nicht arbeiten wollen – ist das eine Bild, und es ist falsch. Zu glauben, jeder Mensch will arbeiten, es hapert nur an Bezahlung und attraktiven Unternehmen, ist ebenso falsch. Wir dürfen nicht über einen Kamm scheren. Solange gegenseitiges Verständnis fehlt, gibt es keine Lösung. Dann bleibt es eine politische, ideologische Frage, wer sich bei der Problemlösung durchsetzt.

Markus Wiesner: "Langzeitarbeitslosen gehört die Unterstützung gekappt, weil sie nicht arbeiten wollen – dieses Bild ist falsch. Zu glauben, jeder Mensch will arbeiten, ist ebenso falsch."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Wie halten Sie es mit der ökologischen Steuerreform?

Wiesner: Es geht in die richtige Richtung. Aufgrund der Ressourcenverknappung können wir uns ein Wirtschaftssystem, wie wir es heute haben mit all seiner Verschwendung, nicht mehr leisten. In der Frage des Umgangs mit Rohstoffen passiert zu wenig. Ökologische Kriterien in der Produktentwicklung sind bisher nur freiwillige Empfehlungen. Auch wird viel zu viel weggeworfen. Bekommen wir einen kaputten Drehstuhl zurück, sind in der Regel noch 80 Prozent davon in Ordnung.

STANDARD: Was machen Sie damit?

Wiesner: Nehmen wir an, dass von 1000 Drehstühlen 700 Mechaniken, 800 Drehkreuze, 1000 linke Armlehnen intakt sind. Daraus bauen wir in Zukunft neue Produkte. Gebrauchtes will keiner, daher muss es neu gepulvert und renoviert werden. Wir verkleben nichts mehr, achten auf Reparierbarkeit und Rezyklierbarkeit. Wer Holz mit Stahl, Stahl mit Kunststoff verklebt, produziert Sondermüll.

STANDARD: Ihr Betrieb ist seit 1849 in Familienhand. Sie führen ihn mittlerweile gemeinsam mit Ihrer Tochter. Welches Risiko stellen Familien dar?

Wiesner: Sie sind der größte Vorteil eines Unternehmens, aber auch seine größte Gefahr. Nachfolger brauchen die richtige Qualifikation. Da darf es keine Schönfärberei und Tabus geben, auch wenn es schwer ist, Nein zu sagen. Kinder wie Affen zu trainieren, bis sie unabhängig ihrer Fähigkeiten selbst glauben, dafür geeignet zu sein, halte ich für brandgefährlich. Und es braucht den unbedingten Willen, Betriebe auch über längere Zeit hinweg durch Krisen zu tragen. In diesen Phasen lernt man mehr als in Zeiten sprudelnder Gewinne.

STANDARD: Und wie merkt man, dass es Zeit wird, den Jungen die Führung ganz zu überlassen?

Wiesner: (lacht) Es muss offenbar jemand kommen und es einem sagen. Ich halte Unternehmer, die sich von ihrem Job nicht trennen, für problematisch. Und ich bin, obwohl ich viel arbeite, ein fauler Mensch. Ich habe mir daher immer die besten selbstständigen Führungskräfte gesucht, nicht jene, die an meinen Lippen hängen und auf mein Kommando links oder rechts gehen. Jeder, der in sich hineinhört, spürt, wenn er älter wird. Würde ich das Unternehmen aber abrupt verlassen, wüsste ich nichts mit mir anzufangen. Also haushalte ich mit meinen Kräften. (Verena Kainrath, 16.10.2021)