Der Name Nowaks fällt in den Chat-Protokollen mehrfach.

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Anderthalb Stunden musste Rainer Nowak seiner Redaktion am Mittwoch Rede und Antwort stehen. Der Grund: Der "Presse"-Chefredakteur kommt in den Chats rund um die ÖVP-Hausdurchsuchungen vor. Auch Nachrichten zwischen ihm selbst und Thomas Schmid, dem damaligen Generalsekretär und Kabinettschef des Finanzministeriums, sind protokolliert. Ob in der "Presse" frisierte Umfragen erschienen sind oder es Interventionen gab, ließ der Redaktionsausschuss untersuchen. Sein Fazit: Keine Interventionsversuche hätten in der Zeitung Niederschlag gefunden, schreibt Nowak in einem Brief an die Leser in der Samstagsausgabe seiner Zeitung.

Im März 2016 etwa, einen Monat vor dem Parteitag der Wiener ÖVP, bemühte sich Schmid, bei der "Presse" Berichte nach seinen Wünschen zu bestellen. "Nowak macht Story Abgrenzung zu Neos. Blümel spielt in Wien Neos an die Wand. Rund um Parteitag spielen wir die Umfragen groß. Macht er uns", schrieb Schmid an den damaligen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). Der freut sich: "Großartig!!! Du bist super!"

Sackgasse Chefredaktion

Schmid scheint in seiner Nachricht an Kurz entweder geprahlt zu haben, oder sein mutmaßlicher Interventionsversuch bei der Tageszeitung lief ins Leere. Weder im März noch im April 2016 erschienen in der "Presse" entsprechende Texte oder Umfragen. Im ORF sagte Nowak dazu am Sonntag: "Interventionen gehen in der "Presse" in die Chefredaktion und bleiben dann aber dort." Die "getürkten Umfragen" seien nicht in der Zeitung gelandet.

Eine mutmaßlich manipulierte Umfrage fand dennoch ihren Weg in das Blatt. Chats zeigen, dass Schmid sowie Kurz’ späterer Pressesprecher Johannes Frischmann im Jänner 2017 versuchten, eine Umfrage von Research Affairs in der "Presse" und "den Bundesländerzeitungen" zu platzieren. Allerdings nur, wenn deren Ergebnisse auch den Wünschen der ÖVP entsprechen. Wenn die Ergebnisse "passen", soll Meinungsforscherin B. sie Nowak anbieten.

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Doch sie fielen anders aus als erhofft, weswegen Frischmann die Zahlen "in Schwankungsbreite frisiert" haben wollte. Zwei Tage später wurde die Umfrage am Rande eines Artikels in der "Presse" zitiert. Doch von der mutmaßlichen Manipulation der Umfrage konnte die Redaktion nichts ahnen, und auch in den Chats findet sich keinerlei Indiz dafür, dass Nowak darüber informiert gewesen sein könnte. Das bestätigt Nowak auf Anfrage. Er habe diese Umfrage nie an seine Redaktion weitergeleitet.

Zu viel Nähe?

Dennoch hinterlassen die Nachrichten einen schalen Beigeschmack. Nowak schien mit Schmid einen sehr kollegialen Umgang zu pflegen. 2017 informierte ihn Schmid, wie DER STANDARD über den damaligen Verdacht auf beeinflusste Umfragen berichtete – einen Verdacht, den Nowak zuvor in einem Newsletter abgetan hatte. In den Chats tauschten sie sich humorvoll über das Thema aus (siehe Grafik). Am selben Tag steckte Nowak Schmid Pläne der Opposition: Die Neos würden im Nationalrat eine Anfrage zu den Umfragen in Verbindung mit dem Finanzministerium planen. "Wichtigtuer", kommentierte er das.

Fragen zu seiner augenscheinlichen Politnähe musste sich Nowak nun auch bei der Redaktionsversammlung am Mittwoch gefallen lassen. Dabei soll er sich bei seinen Mitarbeitern auch dafür entschuldigt haben, dass die Nachrichten der eigenen Marke geschadet hätten.

Schon im vergangenen April erweckten Schmid-Chats den Eindruck, als hätten ÖVP-Funktionäre versucht, Berichterstattung in der "Presse" zu verhindern. Kritische Artikel erschienen trotzdem. Seitdem berichtet Nowak über größere Interventionsversuche an den Redaktionsausschuss.

Beim Treffen am Mittwoch kündigte Nowak an, die Chats in der eigenen Zeitung zu thematisieren. In seinem Brief an die Leser von Samstag schloss er Zahlungsflüsse mit Research Affairs aus und bedauerte, dem Thema aus seinem Newsletter nicht weiter nachgegangen zu sein. Er entschuldigte sich für seinen "unangemessenen" Tonfall und die zur Schau gestellte Nähe.

Österreich, "eine Familie"

Nowak sagt, dass es sich hierbei um Informationsquellen handle und "Kontakte auch zu den (politisch) Mächtigen oder jenen, die es sein wollen", notwendig seien, wenn man eine gute Zeitung machen wolle – "bei aller kritischer Distanz". Dass dieser Diskurs und diese Kontakte in diversen Chats Niederschlag finden, sei "wenig verwunderlich."

Doch manövrieren Journalisten dieses Spannungsfeld mit zu wenig Distanz, kann wie in diesem Fall eine schiefe Optik entstehen, sagt Rubina Möhring von Reporter ohne Grenzen. Wenn Medien bei Politikern Erwartungen erwecken, sei das ein Problem – selbst wenn diese nicht erfüllt werden. "Mein Eindruck ist, dass Österreich eine einzige große Familie ist, in der jeder jeden kennt", sagt Möhring. Sie fordert "klare Schranken" zwischen Schreibenden und Beschriebenen.

Nowak ist zudem nicht nur "Presse"-Chefredakteur. Als Herausgeber und Co-Geschäftsführer des Verlags ist er auch für die finanzielle Dimension seines Unternehmens verantwortlich. Diese Konzentration kann ein Medium – zumindest in der Theorie – anfälliger für die Wünsche von Inseratenkunden machen.

Früher ein No-Go

Was in der österreichischen Medienwelt heute üblich ist, war früher für die Qualitätspresse ein No-Go, sagt Medienforscher Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien. Als etwa 1991 der damalige Profil-Herausgeber Peter Rabl auch eine Managementfunktion im Verlag wollte, streikte die Redaktion für zwei Wochen, von der Gewerkschaft unterstützt. Kaltenbrunner fordert von Medien, sich selbst zu fragen, wie welche Verantwortungen im Unternehmen konzentriert sind. Auch Daniela Kraus vom Presseclub Concordia fordert für Mehrfachfunktionen ein ethisches Regelwerk auf Ebene der Organisationen.

In der "Presse" jedenfalls scheinen sich die Wogen zwischen Redaktion und ihrem Chef weitgehend geglättet zu haben. Nowak spricht auf Nachfrage von einem "peinlichen Moment", nach dem er dennoch nicht zur Tagesordnung übergehen will. Die Chats seien ein "Weckruf". (Laurin Lorenz, Ricarda Opis, 15.10.2021)