Foto: Farcry 6
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Die fiktive Inselnation Yara, unterjocht von einem Diktator, der nach einem halben Jahrhundert politischem Stillstand mit einer angeblichen Heilung für Krebs das Land zu Wohlstand und Ruhm zu führen verspricht. Und eine Widerstandsbewegung, die nicht mehr hinnehmen will, dass dafür die Bevölkerung versklavt und politischer Dissenz mit Waffengewalt zum Verstummen gebracht wird. Und der Spieler, der auf der Suche nach Freiheit eigentlich in die USA fliehen will, aber schließlich auch den Kampf gegen das Regime aufnimmt.

Es ist vielleicht nicht das originellste aller Szenarien, das sich die Entwickler bei Ubisoft für Farcry 6 ausgesucht haben, aber es ist zumindest eine Wahl mit viel Potenzial. Und was das Spiel schon in den ersten Minuten klar macht: An der Inszenierung wird nicht gespart. Diktator Anton Castillo, dem Giancarlo Esposito (bekannt unter anderem Breaking Bad und The Mandalorian) Stimme und Gesicht geliehen hat, hat gleich mehrere Freunde des Spielers auf dem Gewissen, weil er das Fluchtboot kapern und versenken lässt. Dort auch an Bord: Dessen Sohn Diego, der nicht aus dem selben Tyrannenholz geschnitzt ist, wie sein Vater.

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Rachefeldzug

Der holt seinen unglücklichen Sprössling von Bord, kurz darauf durchlöchern die Bordgewehre seines Bootes das umgerüstete Fischerboot.Die Protagonistin oder der Protagonist – die Entscheidung, ob man Dani Rojas als Frau oder Mann spielt, ist dem Spieler überlassen – überlebt wie durch ein Wunder und wird am Strand von einer der yaraischen Inseln angespült. Dort entdeckt man einen Pfad zu einem versteckten Stützpunkt des Widerstands, deren Trupp nach einer verfehlten Operation auf diesem Landstück gefangen ist, weil Luft- und Seeblockade eine Rückkehr zu ihrem eigentlichen Hauptquartier unmöglich machen. Grund genug für die nun noch überzeugtere Regierungskritikerin Dani, sich nützlich zu machen und zu helfen. Das Abenteuer beginnt.

Etwa zwei bis drei Stunden verbringt man auf dem ersten Eiland, das man als eine Art erweiterte Tutorialumgebung verstehen darf. Ein lobenswerter Zugang, ermöglicht man den Spielern so nämlich, viele Mechaniken des Games "in Aktion" und eingebettet in Handlung kennen zu lernen. Nicht nur hier wird klar, dass Ubisoft definitiv nicht am sogenannten "Production Value" gespart hat. Farcry 6 ist ganz klar ein AAA-Game und versteckt das in grafischer und akustischer Hinsicht auch kaum.

Wunderschöne Kulisse

Egal ob Start- oder Hauptinsel, Strände, Dörfer, Plantagen, Dschungel oder das Stadtgebiet: Yara ist glaubwürdig gestaltet und wunderschön. Der Blick aus dem Urwald am Berg hinab ins Tal begeistert ebenso, wie der Sonnenuntergang in der Ferne nachts am Motorboot. Überall gibt es entweder die Natur, Gespräche oder Musik zu hören. Die Dialoge sind, mit sehr wenigen Ausnahmen, hörenswert vertont. In Gefechten rufen und schreien Gegner und Mitstreiter, Waffen entleeren sich laut ratternd, Explosionen sehen nicht nur spektakulär aus, sondern lassen auch den Subwoofer beben.

Möchte man sich bei grafischen Aspekten einen Kritikpunkt heraussuchen, dann sind es vielleicht die Animationen, die fallweise ein wenig hölzern wirken und auch nicht immer flüssig ineinander übergehen. Das ist aber Jammern auf ziemlich hohem Niveau.

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Und es ist diese Kulisse, gepaart mit einer zu Anfang auch gut gemachten Erzählung, die einen zu Beginn mitreißt und auch mit ein paar gewagten Charakterentscheidungen dafür sorgt, dass die ersten paar Stunden in Farcry 6 durchaus unterhaltsam sind. So lernt man etwa den Widerstands-Veteranen Juan Cortez kennen, dessen mit einem Shirt bekleidetes Krokodil Guapo zum ersten tierischen Begleiter wird, den man auf Gegner ansetzen kann. Doch sobald man eingespielt ist, auf der Hauptinsel ankommt und das Leben für die Vereinigung der Widerstandsgruppen gerade erst so richtig beginnt, ändert sich das. Und zeigt, warum Kulisse eben längst nicht alles ist.

Der "Farcry-Effekt"

Es beginnt zu wirken, was ich den "Farcry-Effekt" nennen würde, dem Ubisoft schon seit geraumer Zeit nicht entrinnt. Die Erzählung wird zwar nicht unbedingt platter, aber berechenbarer und nimmt auch nicht die Fahrt auf, die sie bräuchte, um motivierend zu bleiben. Der Grund dafür, so scheint mir, ist, dass man daran scheitert, die beeindruckend große Spielwelt sinnstiftend zu füllen und auch versucht, die Spielzeit zu strecken. Ein Spagat, der etwa Open-World-Rollenspielen wie Skyrim oder The Witcher 3 ganz gut gelingt, wo es eine spannende, abwechslungsreich gestaltete Handlung als roten Strang und zahllose Nebenaufträge als Sahnehäubchen gibt.

Der Shooter Farcry 6 löst das leider anders. Es konfrontiert den Spieler mit gefühlt tausend Sammel-, Ausbau- und Upgradeoptionen (die auch ein Kernelement käuflich erwerbbarer Zusatzinhalte sind, die man entweder via Premiumwährung oder als Season Pass kaufen kann), Nebenmissionen und Minigames. Zu letzterem gehört ein als stark simplifiziertes Beat’em-up umgesetztes Hahnenkampfspiel, das auch schon kontrovers diskutiert wurde. Die Existenz solcher tierverachtenden Traditionen abzubilden, halte ich per se nicht für falsch. Man könnte sich ihnen aber auch kritisch oder zumindest aus einer reinen Beobachterperspektive nähern, statt sie als uninspiriertes "Spiel im Spiel" zu einem Gaudium mit Sammelmechanismus (man kann weitere Hähne finden und freischalten) zu machen.

Schema F

All das vermag aber nicht davon ablenken, dass Farcry 6, wie auch schon fast alle Vorgänger, letztlich kaum mehr als eine Abfolge von "Zerstöre dieses Ziel" und "Erobere diese Basis" Missionen ist. Das ist die ersten paar Mal ganz witzig, wird aber auf Dauer repetitiv. Dass Gegner nur in der Masse oder als "Bullet Sponges" gefährlich werden, weil ihre künstliche Intelligenz selten den Grad von frisch umgerührten Kartoffelpüree übersteigt, macht das auch nicht besser.

Oft genug reicht es, sich nach der Entdeckung 50 Meter weg zu bewegen und ins hohe Gras zu knien, um für die meisten Feinde praktisch unsichtbar zu werden. Räume mit nur einem Eingang lassen sich hervorragend zum Bollwerk umfunktionieren. Entweder kommen die Gegner nicht herein und man kann sie dank Autoheal mit kurzen Ausflügen vor die Tür nach der Reihe eliminieren. Oder sie laufen brav im Gänsemarsch durch die Tür. Die taktische Option "durchs Fenster springen" ist zwar vorhanden, wird aber scheinbar zufällig und auch nicht immer im geeignetsten Zeitpunkt gewählt. Theoretisch kann man viele Basen vorab aus der Ferne per Handy auskundschaften, wirklich notwendig ist das aber nicht.

Gekämpft wird mit klassischem Waffenarsenal, aber auch einen Spezialrucksack namens "Supremo" und sogenannte "Resolver Weapons". Dabei handelt es sich um vom Widerstand zusammen geklopfte Experimentalwaffen, die so aussehen, als hätte MacGyver sie persönlich gebastelt. Sie bringen verschiedene Sonderfunktionen und etwas Abwechslung mit, können aber das Gamedesign aus der Konserve nicht retten.

Fazit

Um einen weithin bekannten Britney-Spears-Song zu paraphrasieren: Oops, they did it again. Ubisoft hat einmal mehr Farcry ein spannendes Szenario beschert und das große Potenzial weitgehend versenkt. Ja, es macht ein paar Stunden Spaß, Yara zu Wasser, zu Lande und aus der Luft zu erforschen und dabei ein paar Stützpunkte zu erobern. Beim Versuch, gleichzeitig ein Storyshooter und andererseits eine Art "Open-World-Chaosbaukasten" à la Just Cause zu sein, hat das Game aber seine Seele eingebüßt. Erstere Ambition fällt den Mühen um die Streckung der Spielzeit zum Opfer, für Zweiteres nimmt man sich dann selbst doch etwas zu ernst.

Was übrig bleibt, ist nicht unbedingt ein schlechtes Game, aber eines, das vorwiegend gut aussieht und schön klingt, aber schnell an inhaltlicher Substanz verliert. Wer sich mit technisch gut gemachter Schema-F-Action ablenken will und die Motivation findet, den ganzen möglichen Upgrades für die eigene Ausrüstung und die Widerstandsbasen nachzujagen, den wird Farcry 6 zufrieden stellen. Wer mitreißende Erzählung oder innovatives Gamedesign erwartet, wird auf Yara leider nicht fündig. Leider. (Georg Pichler, 18.10.2021)

Farcry 6 ist für PC (Windows, Epic Games Store/Ubisoft Connect), Xbox, Playstation und Stadia erschienen.