Nackte Körper, die sich genüsslich in reichlich Schleim aalen. Das ist amüsant anzusehen, spendet aber auch einen leichten Gruselschauer. Nennt man’s ambivalente Gefühle, ist man schon mittendrin im Schleimparadies "Gootopia", in das die Wiener Choreografin Doris Uhlich aktuell ihr Publikum zieht.

Erinnerungen an die Vergangenheit

Mit Hingabe stürzen sich sechs Performerinnen und Performer im Tanzquartier Wien in ein Abenteuer, das reifere Semester an einen Hype aus den 1970ern erinnert: "Slime", der in kleinen grünen Tonnen mit Deckel verkauft wurde und zu ganz viel Schabernack inspirierte. Das Zeug gibt es übrigens heute unter dem Namen "Slimy" wieder. Schon weniger appetitlich, aber echt lustig wirkten in den Eighties die Gespenster der "Ghostbuster"-Filme. Sie bestanden zum Gutteil aus ektoplasmahaft wirkendem Schlatz.

maria ziegelböck

Schlatz ist ein schöner Ausdruck mit Wiener Aroma, dem etwas Ungesundes, aber auch rotzig Trotziges anhängt. Ein Schlatz kann in Gelb- oder Grüntönen hochkommen und durchaus als bayerischer "Lungenhering" auf der Straße landen. Aber genau um dieses Pfui, bitte, geht es bei "Gootopia" nicht, schließlich schwingt hier die Idee von Utopia mit. Da braucht’s keinen Ekelschmäh à la Gerhard Polt.

Selbsteinschleimung

Doris Uhlichs Humor kommt ganz ohne Zynismus aus. Dafür testet die Künstlerin Grenzen aus, löst beengende Normen auf – etwa, wenn sie zum Fetttanz einlädt – und stellt freundliche Bühnengemeinschaften her. So verhält sich’s auch in "Gootopia", wo der in schwarzen Kübeln angerührte, transparente dünne oder kleistertrübe dickere Schleim in beachtlichen Mengen innerhalb genau abgegrenzter Areale verteilt wird. Niemand im Publikum wird angepatzt oder läuft Gefahr auszurutschen.

maria ziegelböck

Sechs nackte Tänzer, darunter Emmanuel Obeya, und Performerinnen wie Ann Muller probieren eine ganze Palette an Möglichkeiten der Selbsteinschleimung durch. Dabei führen sie sich nicht immer ganz jugendfrei auf, denn Schleim kann natürlich auch recht sexy sein. Er schwabbelt, bildet Blasen, und er lässt sich zu dünnen, vergänglichen Membranen ausziehen, die sich einige aus der Gruppe wie Latexkleider überwerfen.

Schleimaal und Schleimpilz

So entstehen einige überraschende Momente, und im Lauf des Stücks verschwindet jede Erinnerung an das Unappetitliche, folglich aber auch die Ambivalenz des Materials. Daher wird "Gootopia" bald allzu eindeutig und beliebig. Hundert Minuten Herumspielen mit ein und demselben nassen Batz ist sicher lehrreich und unterhaltsam. Aber herausfordern muss man sich mit der Zeit schon selbst.

Alexi-Pelekanos

Kurzes inneres Abschweifen ist eine wunderbare Methode: Zum Beispiel an den faszinierenden Schleimaal denken, der zum Schutz vor Fressfeinden in Sekundenbruchteilen das Wasser um sich herum in eine dicke Gallerte verwandeln kann. Oder an den Schleimpilz, der als ganz spezielle Lebensform komplexe Einzeller bildet, die sich netzwerkartig fortbewegen. Die sechs nackten Vielzeller auf der "Gootopia"-Bühne bilden ebenfalls eine Art Netzwerk aus, und im menschlichen Körper hat der Schleim sehr oft eine Abwehrfunktion.

Uhlich will während der Pandemie eine gesteigerte Angst der Bevölkerung vor dem Schleim festgestellt haben. Doch aus dem Stück geht auch eine Abgrenzung, eine Verteidigung und Abwehr hervor. Die ausgedehnten Rituale der Umhüllung mit der feuchten Masse und die eindeutig regressiven Handlungen der nackten Wesen auf der Bühne stehen ganz im Zeichen des Schleimaals. Als Ausdruck einer Sehnsucht, sich doch noch zu schützen vor dem, was künftig auf uns zukommen mag. (Helmut Ploebst, 16.10.2021)