Die Wiener Grünen haben eine neue Parteispitze. Erstmals in der Geschichte der Ökopartei wird sie von einem Duo angeführt: Bei der Landesversammlung in der Wiener Messe sprachen 83,6 Prozent der Delegierten Peter Kraus und Judith Pühringer das Vertrauen aus – für grüne Verhältnisse eigentlich ein gutes Ergebnis.
Allerdings: In absoluten Zahlen stimmten nur 168 Grüne für die beiden nicht amtsführenden Stadträte. Jene, die "angefressen" auf die Partei seien, seien zu einem großen Teil gar nicht erst angetanzt, kommentiert ein Mitglied am Rande der Veranstaltung das Votum. Die Wahl von Kraus und Pühringer wurde wegen der Geschehnisse innerhalb der Partei nach der vergangenen Wien-Wahl notwendig.
Wahl nach Hebeins Abgang
Damals, im Oktober 2020, erreichten die Wiener Grünen mit 14,8 Prozent unter ihrer Spitzenkandidatin und Vizebürgermeisterin Birgit Hebein ihr historisch bestes Ergebnis bei einer Gemeinderatswahl.
Doch schon zu Beginn der Sondierungsgespräche mit Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) wurde – auch bei den Grünen intern– immer wieder über das angespannte Verhältnis des Stadtchefs und der Vize gemauschelt. Dass sich Ludwig für die Neos entschied und die Grünen, mit denen die SPÖ zehn Jahre lang regiert hatte, auf die Oppositionsbank verbannte, wurde Hebein auch persönlich vorgehalten. Die Kritik an der Parteichefin endete im Eklat: Bei einer Sitzung des Gemeinderatsklubs unterlag sie nicht nur David Ellensohn in der Wahl der Klubführung, sie musste sich auch im Votum um die beiden nicht amtsführenden Stadtratsposten gegen Kraus und Pühringer geschlagen geben. Besonders ärgerlich für die Ex-Vizebürgermeisterin: Hebein selbst hatte Pühringer als Quereinsteigerin in die Partei geholt.
Als Konsequenz zog Hebein die Reißleine und trat als Parteichefin ab. Während der eine Teil der Partei sich still freuen konnte, war der andere durchaus "angefressen": Eine Entscheidung gegen die Basis nannte es eine Gemeinderätin damals. Die Wiener Grünen traten zerrüttet ihre neue Rolle als Opposition an.
Keine Kritik
Am Samstag war davon wenig zu spüren. Die eigentlich als kritisch geltende Wiener Basis gab sich zurückhaltend und brav. Da präsentierten Kraus und Pühringer ihr Programm für die anstehenden Jahre, prangerten Rot-Pink in Wien sowie jenes "Sittenbild" an, das sich in den ÖVP-Chats im Zuge der Korruptionsermittlungen aufgetan habe.
Öffentliche Kritik an den beiden wurde nicht geäußert. Im Gegenteil: Erfreut sei man eher, dass die Grünen nun endlich wieder eine Führung haben, die auch führen will.
Auch wenn sich so manch eine Grüne nicht ganz sicher war, wie diese Doppelspitze in Zukunft genau funktionieren solle. So stellte sich etwa die Frage, wer die Partei 2025 in die Wien-Wahl führen werde. Was man, wie Kraus versicherte, noch mit der Basis bestimmen werde – "gemeinsam".
Alles gut – auch im Bund
Und auch mit den Geschehnissen in der Bundespolitik schien die Wiener Basis d’accord. Die Grünen seien maßgeblich für den Austausch von Altkanzler Sebastian Kurz verantwortlich gewesen, hört man da. Der auf der Wiener Landesversammlung als Gastredner aufgetretene grüne Bundessprecher und Vizekanzler Werner Kogler habe der ÖVP klar die Grenze aufgezeigt, heißt es ein bisschen stolz. Dieser ließ in einer halbstündigen Rede selbst voller Lob für die grüne Parteispitze die Geschehnisse seit "diesem ominösen Mittwoch" Revue passieren. "Staatspolitische Verantwortung" habe man in dieser Regierungskrise gezeigt und die "Bewährungsprobe" als Partei bestanden, urteilte er.
Doch das geringe Interesse an der Veranstaltung beschäftigt einige. So gaben lediglich 204 Mitglieder ihre Stimme ab. Zum Vergleich: Bei der Erstellung der Liste für die Wien-Wahl im Februar 2020 waren noch mehr als 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer anwesend, 440 Delegierte stimmten im Jahr zuvor über Hebein als Parteichefin ab – und das, nachdem bereits rund 2600 Wahlberechtigte an der Briefwahl zur Spitzenkandidatur teilgenommen hatten. Die Landesversammlung am Wochenende wäre die erste Möglichkeit seit Ausbruch der Pandemie gewesen, sich in persona zu treffen. Und so orten einige ein Problem in der Mobilisierung.
Grüne Erneuerung
Dem können sich die Grünen in den nächsten zwei Jahren widmen. Geplant ist ein großangelegter Parteiprozess. Dabei soll ein Grundsatzprogramm erarbeitet werden – das gibt es in Wien bisher gar nicht. Der Startschuss fiel nach der Wahl von Kraus und Pühringer in der Messe – doch von den rund 200 Grünen blieben viele nicht vor Ort, um über die Zukunft zu sprechen. (Oona Kroisleitner, 18.10.2021)