Nach der Entzauberung des politischen Wunderknaben Sebastian Kurz hofft die Sozialdemokratie auf eine Epoche der politischen Morgenröte. Kann es ihr gelingen die Seele der Österreicherinnen und Österreicher in ausreichender Form in Resonanz zu versetzen und gar eine politische Revolution in der Alpenrepublik entfachen? Davor ein kleiner sentimental-assoziativer Abstecher in eine romantisch-verklärte Zeit, in der noch ein anderer Politikertypus existierte.

Die Liga der außergewöhnlichen Politgentleman

Kärnten im Jahr 2000. Im Büro eines Gewerkschaftsbosses. Die Zimmerdecke ist durch den Genuss unzähliger Marlboro-Zigaretten vergilbt. An der Wand hängt eine große Landkarte der Sowjetunion und auf den Regalen steht eine große Anzahl an Kegelpokalen, die ihren Besitzer mit enormem Stolz beglücken. Der Archetyp eines Gewerkschafters, Spitzenfunktionärs und SPÖlers von einst sitzt mir und einem Bekannten gegenüber. Die Frisur aus den 70ern, ein weißes Hemd und eine tiefe Stimme - bedingt durch einen jahrzehntelangen Tabakkonsum. Der Mann ist eher kleingewachsen, aber zu jeder Schandtat bereit. "Na Burschen, was kann ich für euch tun?", lautet sein Entrée. Gebhard Arbeiter ist leider schon länger tot. Er war einer der wenigen auf der linken Seite, der dem rechten Konterpart Jörg Haider über Jahre hinweg Paroli bot, während ein anderer wahrscheinlich mit der sorgsamen Teezubereitung für seinen Gesundheits- und Körperbewusstsein stets gut gebräunten Chef beschäftigt war.

Bei dem Anblick der neuen SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hätte er vermutlich eine Augenbraue hochgezogen, denn er verfügte über ein gesundes Maß an Antipathie Akademikern gegenüber. Mit gestelztem Hochdeutsch brauchte man ihm gleich gar nicht zu kommen. Kraftausdrücke gehörten in einer Konversation ebenso dazu, wie das Umschwenken auf einen diskreten, seriös-bemühten Tonfall, wenn es um die Anliegen seiner im politischen Sinne Schutzbefohlenen ging und das waren viele. Das “Boboversum“ der SPÖ in der Bundeshauptstadt war nicht seine Welt. Die “Buberlpartie“ vom lieben Jörg noch weniger. Beide waren ihm damals schon zutiefst suspekt. Mit dem heutigen Politikertypus der türkisen Volkspartei hätte er noch weniger anzufangen gewusst. Probleme zwischen verschiedenen Interessen, die Suche nach einem Job oder ein unangenehmer Vorgesetzter waren seine Welt und wurden bei einer Audienz in seinem Büro oder Stammkaffee, welches alles andere als das mondäne Landtmann oder gar das Schwarze Kameel in Wien war, gelöst.

Empathie in der Politik

Beide Alphatiere, der besagte rote Betriebsratsboss sowie Jörg Haider von blauer Seite, hatten eines gemeinsam. Der Handschlag zählte und hatte Gewicht und die Empathie für Menschen, die Hilfe brauchten, war nicht gespielt, sondern real. Das machte noch viele Politiker vor der 2000er-Wende aus. Danach kam die Generation Slim-Fit und dies ist auf mehreren Ebenen so zu verstehen. Unter dem Resultat leiden wir alle über mehr als zwei Jahrzehnte. Damals waren es Männer und ebenso Frauen, die sich nicht über Pseudo-Debatten definierten, sondern - wie beispielsweise Hertha Firnberg - in puncto Leistung und Durchsetzungsvermögen ihre Werte für die Wähler nachvollziehbar demonstrierten. Nun stellt sich die Frage, welcher Vertreter der SPÖ noch in der Lage ist, bei einer “Wählerrückholaktion“ für seine Bewegung das meiste herauszuholen.

Wird Rendi-Wagner die neue Kanzlerin? Oder steigt jemand anderes aus der SPÖ auf?
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Polit-Profiling der SPÖ

Die sozialdemokratische Wertegemeinschaft verfügt trotz aller Prozesse der politischen Wohlstandsverwahrlosung noch immer über Persönlichkeiten, die über ein bestimmtes Ausmaß an Kanzlerfähigkeit verfügen. Sie reichen von der jetzigen SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, über den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, oder den Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser, bis zum burgenländischen Big-Boss Hans Peter Doskozil. Die Zähigkeit und das Durchhaltevermögen ist Rendi-Wagner nicht abzusprechen, die große Unbekannte bleibt, ob sie mit ihrem Medizinerinnenhabitus breite Schichten der Bevölkerung ansprechen kann oder sich nur mit den Grünen beim Angeln matcht.

Ähnlich verhält es sich bei Kaiser. Der eher spröde Intellektuelle und BSA-geschulte Diskutierer ist zwar in Bezug auf seine Seriosität der ideale Kontrastpunkt zur angeschlagenen ÖVP, jedoch ist es nicht seine Stärke, die Mengen in Euphorie zu versetzen. So bleiben Doskozil und Ludwig übrig. Doskozil ist durch seine Angriffe gegen die aktuelle Parteivorsitzende innerparteilich nicht mehr uneingeschränkt beliebt, obwohl er trotz seiner beeinträchtigten Stimme zumindest im Burgenland die Menschen begeistern kann. So bleibt am Ende nur der Bürgermeister von Wien, der eine Art Hybrid aus dem intellektuellen und dem bodenständigen Flügel der Partei darstellt und der - sollte es ihm gelingen, über die Bundeshauptstadt hinaus Beliebtheit zu erlangen - die besten Karten für das Kanzleramt hat. (Daniel Witzeling, 3.11.2021)

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