Die Grünen-Spitze Robert Habeck und Annalena Baerbock.

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Der kleine Parteitag der deutschen Grünen hat am Sonntag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP über die Bildung einer gemeinsamen Bundesregierung votiert. Es gab nur zwei Nein-Stimmen und eine Enthaltung. Zuvor hatte Grünen-Co-Chef Robert Habeck für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen geworben. Es gebe jetzt die Chance, politische Inhalte umzusetzen und die Wirklichkeit zu gestalten. "Wir wollen diese Verantwortung." Auch FDP-Parteichef Christian Lindner lobt vor seinen Gremien das Sondierungspapier – diese stimmen am Montag ab. Die SPD hatte bereits am Freitag einstimmig für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen votiert.

"Wir muten uns und den anderen etwas zu"

"Noch ist nichts gewonnen", sagte Habeck mit Blick auf das am Freitag vorgestellte Sondierungspapier der drei Ampel-Partner. "Aber es ist ein Anfang." Alle drei Parteien hätten inhaltlich Federn lassen müssen. Das Sondierungspapier sei aber gut und tragfähig für Koalitionsverhandlungen. "Es ist gelungen, Hoffnungen zu wecken. Wir sind in einer Hoffnungszeit angekommen – einer Hoffnungszeit, die wir nicht enttäuschen dürfen."

Als positive Beispiele für die Grünen nannte Habeck unter anderem Pläne für einen Mindestlohn von zwölf Euro, Kinderrechte, ein modernes Einwanderungsrecht, ein Wahlalter mit 16 Jahren und das Ziel des Kohleausstiegs 2030. Es seien aber nicht alle Forderungen aus dem Wahlkampf umsetzbar gewesen. "Wir haben Verluste in diesem Sondierungspapier zu verzeichnen", so Habeck. Als Beispiele nannte er das Ausbleiben eines generellen Tempolimits oder den Verzicht auf eine Erhöhung des Spitzensteuersatz. "Wir muten uns mit dem Papier etwas zu – den anderen aber auch. Kritik gab zuvor von den Klimaaktivisten der "Fridays-for-Future"-Bewegung, die sich beim Klimaschutz mehr erhofft hatten.

Spekulation über Ministerien

Eine Ampelkoalition wird nach Worten von FDP-Parteichef Christian Linder ein neues Ministerium für Klimaschutz einrichten. "Es gibt ein neues Klima-Ministerium", sagte er am Sonntag in der ARD. Welche Kompetenzen es vereinen solle, sagte Lindner nicht. Im Sondierungspapier der Parteien wird ein Zuschnitt der Ministerien oder deren Besetzung auch nicht genannt. Lindner erwähnte des Klima-Ministerium in einem Atemzug mit Kanzleramt und Finanzministerium sowie dem Hinweis, dass alle Parteien sich in der Regierung wiederfinden müssten. Als sicher gilt, dass ein Klima-Ministerium von den Grünen geführt werden würde und das Kanzleramt Olaf Scholz (SPD) besetzt. Die FDP hat großes Interesse am Finanzministerium. Die Grünen wollen ihnen das aber nicht kampflos überlassen.

Über ein Klima-Ministerium ist bereits seit längerem spekuliert worden. Es könnte neben den klassischen Klimaschutz-Aufgabe des Umweltministeriums auch Bereiche des Verkehrs- sowie den Energie-Teil des Wirtschaftsministerium auf sich vereinigen.

Zur Finanzierung der neuen Aufgaben werde der niedrige Steuersatz auf Diesel nicht fallen, sagte Lindner weiter. Auch die Pendler-Pauschale bleibe. "Das sind ja Subventionen, die, wenn man sie streichen würde, den Charakter einer Steuer-Erhöhung für die breite Mitte der Gesellschaft hätten. Daran ist nicht gedacht." Stattdessen solle man die Überförderung von Elektro-Autos kürzen, auch für Gutverdienende, die einen Dienstwagen hätten.

FDP-Chef Christian Lindner spricht von einem eigenen Ministerium für Klimaschutz, sollte die Ampel-Koalition aus SPD, Grüne und FDP zustandekommen.
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Mindestlohn für FDP "einmalige Ausnahme"

Lindner warb am Sonntag in den eigenen Reihen für das "Ampel"-Bündnis. "Im Sondierungspapier sind viele Anliegen der FDP enthalten", sagte Lindner der "Bild am Sonntag". Es habe selten eine größere Chance gegeben, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat zu modernisieren. "Diese Chance wollen wir nicht verstreichen lassen."

Das Papier enthalte FDP-Anliegen "von soliden Finanzen über Investitionen in saubere Technologien und Digitalisierung, bessere Bildung bis zur gesellschaftlichen Liberalität", sagte Lindner weiter. Er hob zudem hervor, dass die Gespräche "professionell, diskret und fair" seien. Die geplante Mindestlohn-Erhöhung auf zwölf Euro, die ein Kernanliegen der SPD ist, verteidigte Lindner als "einmalige Ausnahme". Diese Ausnahme sei "vertretbar und entspricht der Meinung der Bevölkerungsmehrheit."

Die Arbeitgeber hatten diesen Schritt als "brandgefährlich" und "schweren Eingriff in die Tarifautonomie" kritisiert. Eigentlich hat die von der Bundesregierung eingesetzte Mindestlohnkommission, in der Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter sitzen, die Aufgabe, Empfehlungen zur Höhe des Mindestlohns abzugeben.

Unionfraktionschef warnt vor "strammer Linksagenda"

Anders als die CDU-Politiker Armin Laschet und Friedrich Merz hat Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus erneut scharfe Kritik an dem Sondierungsergebnis von SPD, Grünen und FDP geübt. "Das ist die strammste Linksagenda, die wir seit Jahrzehnten in Deutschland gehabt haben", sagte Brinkhaus am Sonntag auf dem Deutschlandtag der Jungen Union (JU) in Münster. Er sieht das vorgestellte Sondierungspapier als ein "soziales Füllhorn" und ein "soziales Wünsch-dir-was".

"Allen wird alles gegeben", kritisierte Brinkhaus. Die Pläne seien jedoch "überhaupt nicht gegenfinanziert". So stehe nicht klar in dem Papier, dass die Schuldenbremse eingehalten werden solle. Steuererhöhungen solle es keine geben, aber Subventionen sollten abgeschafft werden. Das bedeute, "dass die Pendlerpauschale abgeschafft, Diesel teurer" werde, sagte der CDU-Politiker weiter. Er warf den drei Parteien zudem vor, dass sie ein anderes Gesellschaftsbild anstrebten und das Familienbild umbauen wollten.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus fürchtet sich vor einer "strammen Linksagenda".
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Aus Brinkhaus' Sicht konnte die FDP in den Sondierungen wenig durchsetzen. Das Papier enthalte "erbärmlich wenig" zu den Bereichen Technik und Innovation oder zur Umsetzung der Klimaziele, kritisierte er weiter. Deutschland steuere zudem auf eine "Großstadtkoalition" zu, "da wird das Leben im ländlichen Raum nicht stattfinden".

Zugleich rief Brinkhaus die Union nach der Niederlage bei der Bundestagswahl zur Geschlossenheit auf. "Wir müssen ändern, wie wir zusammenarbeiten", sagte der CDU-Politiker in Münster. Dabei müssten Loyalität und Zusammenhalt wieder im Mittelpunkt stehen. Brinkhaus verwies als positives Beispiel im Wahlkampf auf die SPD, die gestanden habe wie ein Block und sei ohne Inhalte erfolgreich gewesen. "Nach einem Ereignis wie dem am 26. September kann man nicht nur Normalität übergehen und so weiter machen", sagte Brinkhaus. Er bezeichnete das historisch schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl als "vernichtend". (APA, Reuters, red, 17.10.2021)