Finneas wirft zwar selbst Schatten, aus dem seiner Schwester, Billie Eilish, tritt er vorerst aber nicht heraus.

Foto: Matty Vogel

Wie ist es möglich, dass jemand acht Grammys im Regal stehen hat, unter anderem einen für das beste Album des Jahres, wenn dessen Debütalbum noch nicht einmal erschienen ist? Sie haben es bestimmt schon erraten, geht es hier doch um Finneas Baird O’Connell, den älteren Bruder und Produzenten von Billie Eilish Pirate Baird O’Connell. Die Grammys gewann er ausschließlich für die Arbeit am geschwisterlichen Werk. Nun legt Finneas mit Optimist seinen ersten Longplayer vor; bereits im Vorjahr hatte er die EP Blood Harmony veröffentlicht.

FINNEASVEVO

Deren erfolgreichste Nummer, Let’s Fall in Love For The Night, wurde auf Spotify immerhin 278 Millionen Mal angeklickt – für andere Newcomer wäre das wohl wie Weihnachten und Geburtstag gleichzeitig. Finneas’ Erfolg wird aber nicht an dem anderer Singer-Songwriter gemessen, sondern an dem seiner Schwester. Und gegen die stinkt der gute Mann ordentlich ab. Selbst schuld, denn Finneas arbeitet musikalisch nicht gegen den Vergleich an.

Optimist recycelt viele Melodien, Produktions- und Songwriting-Ideen sowie Phrasierungen, die die Geschwister bereits zum Signature-Sound von Billie gemacht haben.

Wie ein Amazon-Paket

Gleich der Opener A Concert Six Months From Now, der ganz ruhig anläuft, um dann zum Rock-Singalong zu werden, borgt sich seinen Aufbau von Eilishs Nummer Happier Than Ever, sein Hurt Locker ist eine schlechtere Variante von NDA. So ließe sich nun für so gut wie alles auf Optimist ein besseres Äquivalent auf den Alben der Schwester finden, die ihre Zeilen mit melancholischer Dringlichkeit transportiert.

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Zwar schreibt auch Finneas tolle Lyrics, aber er liefert sie so blutleer und emotionslos ab wie der Postler ein Paket von Amazon. Mit dem Unterschied, dass das Paket von Amazon im Gegensatz zu Finneas’ Botschaften wenigstens bei einem ankommt. Diese sind wie auch die seiner Schwester hochgradig – Entschuldigung für den englischen Begriff – "generational".

Er singt von den Problemen spät geborener Millennials, die zu sehr mit ihrem schlechten Gewissen angesichts der eigenen Privilegien beschäftigt sind, um handlungsfähig zu sein, sich machtlos und gleichzeitig lächerlich fühlen. Der Schlüsseltrack The Kids Are All Dying bringt diese Denkart mit Zeilen wie "What’s your carbon footprint and could you be doing more? / I’d tried saving the world, but then I got bored" auf den Punkt.

Handwerklich gibt es an Optimist wenig auszusetzen, doch erinnert Finneas’ Debüt vor allem daran, dass man ein toller Musiker, aber kein guter Interpret sein kann. (Amira Ben Saoud, 18.10.2021)