Nach dem Mord an David Amess wird in Großbritannien über die Sicherheit von Parlamentariern debattiert. Speaker Lindsay Hoyle prüft gemeinsam mit Innenministerin Priti Patel mögliche Schritte zur Risikovermeidung, insbesondere bei Bürgersprechstunden, die bisher ohne Einschränkung besucht werden können. Dabei solle es auch bleiben, meint das Duo: "Abgeordnete müssen weiterhin zugänglich bleiben."

Sir David Amess, 38 Jahre lang Abgeordneter, wurde am Freitag ermordet.
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Sir David Amess hatte Freitagmittag das methodistische Gemeindezentrum von Leigh-on-Sea in seinem Wahlkreis Southend in der Grafschaft Essex gerade betreten, als ein junger Mann mehr als ein Dutzend Mal auf den Abgeordneten einstach. Nach zweieinhalb Stunden gaben Rettungssanitäter und der per Hubschrauber herbeigeeilte Notarzt den Kampf um das Leben des 69-Jährigen auf.

Der mutmaßliche 25-jährige Täter ließ sich widerstandslos am Tatort festnehmen. Ersten Ermittlungen der Terrorfahnder zufolge handelt es sich bei ihm um einen Briten somalischer Abstammung. Offenbar gehört er zu jenen jungen Leuten, die durch die Internetpropaganda von Gruppen wie Al-Shabaab, dem ostafrikanischen Al-Kaida-Ableger, radikalisiert wurden. Der Mann soll am umstrittenen Regierungsprogramm Prevent teilgenommen haben, das sich die Deradikalisierung gefährdeter Extremisten zum Ziel gesetzt hat. Beim Inlandsgeheimdienst MI5 stand er nicht auf der Gefährderliste.

Amess hatte dem Unterhaus insgesamt 38 Jahre als Konservativer angehört. Der Katholik hatte aus seinem Glauben nie ein Hehl gemacht; die Ermittler gehen deshalb der Frage nach, ob dies den Täter zusätzlich motiviert haben könnte. Der örtliche Priester berichtete, er sei am Tatort unter Verweis auf die Spurensicherung daran gehindert worden, dem Sterbenden die letzte Ölung zu geben.

Wie kann man für Schutz sorgen?

Parteiübergreifend diskutieren nun Abgeordnete, wie sie sich besser vor Anschlägen schützen können. Labour-Veteran Chris Bryant erinnerte an seine vor fünf Jahren ermordete Fraktionskollegin Jo Cox. Seine Parteikollegin Diane Abbott brachte eine Plexiglastrennwand ins Spiel. Der konservative Ex-Offizier Tobias Ellwood plädierte sogar für eine Aussetzung der direkten Bürgerkontakte. Das sei nicht die richtige Reaktion, erwiderte dessen Fraktionskollege David Davis, "das wäre nicht in David Amess’ Sinn".

Schon in den vergangenen Jahren wurden Wahlkreisbüros und Privathäuser von Abgeordneten zusätzlich gesichert, das Personal zu erhöhter Vorsicht aufgerufen. Der routinemäßige Schutz bei zuvor angekündigten Terminen durch Polizeibeamte oder durch private Sicherheitsdienste auf Staatskosten gehört zu den Maßnahmen, die jetzt diskutiert werden.

Innenministerin Patel wies auch auf die Flut von Onlinebeschimpfungen – bis hin zu Morddrohungen – hin, denen Abgeordnete ausgesetzt sind. Sie erwägt deshalb klarere Vorschriften für Internetfirmen wie Facebook und Twitter. Besonders gegen anonyme Accounts müsse gezielt vorgegangen werden. Immer wieder kämen Kolleginnen und Kollegen mit schlimmen Beispielen zu ihm, berichtete der Chef des Medienausschusses, Julian Knight. "Aber Facebook nimmt das nicht ernst." (Sebastian Borger aus London, 18.10.2021)