Im Gastkommentar kritisiert der Bildungswissenschafter Josef Christian Aigner, dass die Befriedigung der Lobbys der Expansions- und Wachstumsindustrie mehr zählt.

Nach der Aufregung um den Wechsel im Kanzleramt geht es nun wieder um die "öko-soziale" Steuerreform, an deren Wirksamkeit allerdings zahlreiche Expertinnen und Experten große Zweifel hegen.

Gerade angesichts dessen, dass – nach vermeintlich überstandener Pandemie – nun "alles wieder hochgefahren" wird und die Buchhalter der Wachstumswirtschaft schon zufrieden Steigerungsraten selbst im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit 2019 verkünden, wirken die zaghaft ausgehandelten Klimaschutzmaßnahmen geradezu kärglich: und das mit Grünen, deren Handschrift, deren "Bestes aus ihrer Welt" zugunsten eines kleinsten gemeinsamen Nenners unkenntlich geworden sind: weder "öko" noch "sozial", sagen Kritikerinnen und Kritiker. Hochkarätige Klimaforscherinnen und Klimaforscher finden die CO2-Bepreisung viel zu niedrig und viel zu langsam ansteigend. Auch die Ökopartei selbst hatte einen viel höheren Preis gefordert, ist aber offenbar eingeknickt, nicht zum ersten Mal. Und feiert dies auch noch als Erfolg; kaum ein Wort des Bedauerns, dass mit diesem türkisen wirtschaftshörigen Koalitions-"Partner" halt nicht mehr möglich war. Maulkorb?

Greta Thunberg wirft der internationalen Politik Untätigkeit vor. "Es gibt keinen Planeten bla, bla, bla, grüne Wirtschaft bla, bla, CO2-Neutralität bis 2050 bla, bla", sagte die Klimaaktivistin kürzlich in Mailand.
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E-Auto-Zirkus

Dann die Rückgabe der kümmerlich erhöhten Einnahmen durch den Benzinpreis an alle Österreicherinnen und Österreicher! Warum nicht nur an die nachweislich schlecht öffimäßig vernetzten Regionen? Diesel bleibt "natürlich" ungeschoren, eh klar. Man beruft sich auf Pendlerinnen und Pendler – und die Frächterlobby, die ja beispielsweise in Tirol bis in die WKO-Spitze reicht, lässt grüßen. Hauptsache, "die Wirtschaft", die auch gleich kräftig applaudiert, wird entlastet – und die besser Situierten profitieren von der türkis-grünen Umverteilung nach oben mehr als alle anderen!

Skurril auch der als Rettung angepriesene Zirkus mit den E-Autos: "Fette", unnötige SUVs (laut Verkehrsclub Österreich mit höchster Zulassungsdichte in sieben Landeshauptstädten)pressen sich durch die Stadt, oft Nobelmarken, leistbar nur für einige wenige. Der Staat verwöhnt diese Wohlhabenden noch mit tausenden Euro Zuschuss. Die Autoindustrie liefert die Pervertierung dazu: E-Autos, die die Umwelt schützen sollen, "müssen" nämlich 400, 500 oder noch mehr PS haben; das zeugt doch von Ökologiebewusstsein!

Je mehr (unnötige) PS, desto mehr Batteriekapazität brauchen diese Elektroautos, und dafür benötigt es Lithiumabbau in Lateinamerika oder woanders weit weg bei indigenen Volksgruppen, denen wir Fortschritt und Wohlstand verheißen, wenn sie sich ihr Land kaputtmachen und ihre Wasservorräte ausbeuten lassen. Schöne neue Ökomobilwelt!

Nur "bla, bla, bla"

In dieser Gesellschaft, mit so einer Politik, wird der Globus nicht mit Einsicht, Umdenken und Rücksicht auf die Schöpfung rechnen können. Da muss ich der 50 Jahre jüngeren Greta Thunberg recht geben: alles nur "bla, bla, bla".

Die (Un-)Verantwortlichen sind sich offenbar kraft ihrer ideologischen, interessensgebundenen Realitätsverkennung der Dringlichkeit, der die Klimawende bedürfte, noch immer nicht bewusst. Da können Expertinnen und Experten kopfstehen und sich die Finger wundschreiben. Was allemal mehr zählt, ist die Befriedigung der Lobbys der Expansions- und Wachstumsindustrie, die den Ernst der Lage wegen ihrer Gier, ihrer beschränkten Zukunftsperspektiven und auch ihrer eindimensionalen Auffassung von Fortschritt und Wohlstand noch nicht kapiert haben. Die nach wie vor nicht verstanden haben, was man nach Corona erhofft hatte, dass es nicht um ein "Weiter so" oder gar "Noch mehr" gehen kann, sondern um ein radikales Umdenken, bevor sich die kaputte Schöpfung noch intensiver mit Unwetter- und Hitzekapriolen wehrt. Ob wir dann noch auf eine Arche Noah hoffen können, darf bezweifelt werden. (Josef Christian Aigner, 18.10.2021)