Alexander Schallenberg und Werner Kogler präsentieren sich gemeinsam den Medien, müssen aber erst einmal zueinanderfinden. Da gibt es etliche Hindernisse auf beiden Seiten.

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Wien – Alexander Schallenberg hat das schwierige Verhältnis mit den Grünen in seinem Interview im STANDARD am Wochenende sehr offen angesprochen. Es sei jetzt seine dringlichste Aufgabe, diese Risse zu kitten, das werde Zeit brauchen. Schallenberg setzt dabei auch auf Grünen-Chef Werner Kogler. Mit der Regierungsmannschaft will der neue Kanzler nach dem Nationalfeiertag ein "Get-together" abhalten, um vertrauensbildende Maßnahmen zu setzen. Dass das ein langwieriger und schwieriger Prozess werden dürfte, ist Schallenberg durchaus bewusst. Im Interview beschreibt er, dass sich die Koalition auf dünnem Eis befinde. Es brauche nur einer aufstampfen, und schon breche das Eis. "Dann sind wir alle im kalten Wasser."

Werner Kogler scheint jedenfalls bereit, die Grünen wieder Richtung mehr Harmonie mit der ÖVP zu führen. Assistiert wird ihm dabei von der grünen Klubchefin Sigrid Maurer. Die hat keine einfache Aufgabe: Zumindest auf dem Papier ist ihr neues Gegenüber nun Sebastian Kurz. Tatsächlich wird die alltäglichen Agenden aber weiterhin August Wöginger wahrnehmen, der bisher Klubobmann war und nunmehr als Stellvertreter von Kurz seinen Dienst im Klub verrichten soll. Maurer und Wöginger können gut miteinander, sie werden sich auch in der neuen Konstellation zusammenraufen. Maurer wird wohl versuchen, ihre Kontakte mit Kurz auf ein Minimum zu beschränken.

Kurz als Wackelnummer

Gerade Kurz, Klubobmann und auch Vorsitzender der Volkspartei, gilt als die große Wackelnummer in der neuen türkis-grünen Aufstellung. Es waren die Grünen, die ihn mit ihrem Ultimatum aus dem Kanzleramt gehievt haben. Das ist jedem in der ÖVP bewusst, das hat wohl auch Kurz selbst verinnerlicht. Schwer vorzustellen, dass er ganz frei von Rachegelüsten ist. Er hatte die Grünen in die Koalition geholt und damit regierungstauglich gemacht. Dass diese ausgerechnet ihn aus der Regierung rausgekickt haben, hat sicher Spuren hinterlassen. Schallenberg, der an seiner Stelle nun im Kanzleramt sitzt, hat im STANDARD-Interview dazu aufgerufen, Rachegefühle hintanzustellen. Das ist wohl leichter gefordert, als sich daran gehalten. Innerhalb der ÖVP ist der Ärger über den "Verrat" der Grünen immer noch greifbar, das wird wohl auch so bleiben.

Den Grünen ist das durchaus bewusst. Sie haben sich darauf eingestellt, dass es so etwas wie ein Revanchefoul geben wird und dass ihr Spielraum zur Durchsetzung eigener Ideen kaum größer geworden ist. Pessimisten befürchten, dass der Juniorpartner in der Koalition nun auf Granit beißen werde und gar nichts mehr durchsetzen könne.

Mut zusprechen

Andere sehen das nicht ganz so negativ. Das Verhältnis zur ÖVP sei ohnedies immer schlecht gewesen, die letzten Illusionen, mit den Türkisen etwa in Menschenrechtsfragen etwas umsetzen zu können, waren längst dahin. Und immerhin, ein Ziel habe man überraschenderweise doch erreicht: Kurz ist nicht mehr Teil der Bundesregierung. Das könne man ruhig als grünen Erfolg anerkennen, auch wenn das so klingt, als würden sich die Grünen jetzt selbst Mut zusprechen.

Tatsächlich hatten sich viele gedanklich bereits darauf eingestellt, in einer Koalition mit SPÖ, Neos und den Freiheitlichen gegen die ÖVP weiterzumachen. Das schien vor zehn Tagen gar nicht so unwahrscheinlich. Und die Grünen hätten das wohl umgesetzt, hätte Kurz diese Pläne nicht mit seinem Rücktritt durchkreuzt.

Wichtiger Schritt

Dass weitergemacht wird, empfinden sehr viele grüne Funktionäre bei allem Ärger und bei aller Unsicherheit doch als den richtigen Weg. Man wolle die Vorhaben, die mit der ÖVP vereinbart wurden, noch umsetzen, am wichtigsten sei hier die ökosoziale Steuerreform. Es gibt zwar nur wenige, die angesichts des Erreichten in Euphorie ausbrechen, aber die C02-Bepreisung sei ein wichtiger erster Schritt.

Und die Disziplin hält: Der grüne Parlamentsklub steht hinter Kogler und ein wenig auch hinter Schallenberg, die meisten Bundesländer tragen die Fortsetzung der Koalition mit der ÖVP mit. Lediglich in Wien ist der Unmut etwas größer, kocht aber nicht über. Noch wagen sich keine wesentlichen Funktionäre aus der Deckung, die offen ein Ende der Koalition befürworten.

Bruchstellen gibt es, auf beiden Seiten. Schallenberg ist das bewusst. Sowohl bei der ÖVP als auch bei den Grünen wird es Provokationen geben, wird es auch Funktionäre geben, die Öl ins Feuer gießen.

Kampfauftrag U-Ausschuss

Ganz heikel wird der parlamentarische Untersuchungsausschuss werden, dessen Name bereits Kampfauftrag ist: Es soll die "ÖVP-Korruption" untersucht werden. Die Grünen werden nicht für die Einsetzung des Ausschusses stimmen und auch nichts anderes tun, was als Zustimmung gewertet werden kann. Aber: Die beiden Abgeordneten Nina Tomaselli und David Stögmüller sollen in diesen Ausschuss entsandt werden und dort freie Hand bekommen. Die beiden hatten schon in ihrer bisherigen Arbeit bewiesen, dass sie nicht bereit sind, aus koalitionären Überlegungen Rücksicht auf die ÖVP zu nehmen, und so werden sie es wohl wieder halten. Das haben die beiden bereits durchblicken lassen. Die grüne Klubführung wird ihnen dabei keine Steine in den Weg legen, auch das wurde bereits ausgesprochen.

Das könnte bei der ÖVP und vor allem bei ihrem neuen Klubobmann Sebastian Kurz, der wohl im Mittelpunkt dieses Ausschusses stehen wird, noch für großen, für sehr großen Ärger sorgen.

Rendi-Wagner sieht "Regierung mit Ablaufdatum"

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner "befürchtet" jedenfalls, dass die türkis-grüne Koalition nach den jüngsten Turbulenzen eine "Regierung mit Ablaufdatum" ist. Es bestehe offenbar großes Misstrauen zwischen ÖVP und Grünen, das berge die Gefahr von Blockade und Stillstand. Dabei hätte die Regierung "fünf zentrale Punkte" umzusetzen, meinte sie mit Blick auf die vom neuen Kanzler Schallenberg für diese Woche angekündigten Gespräche mit Klubobleuten und Sozialpartnern.

Rasche Maßnahmen gegen die Teuerung, stärkere und raschere Steuersenkung, Pflegereform, Ausbau der Ganztags-Kinderbetreuung samt Rechtsanspruch und "Mitwirkung an der Aufklärung des mutmaßlich korrupten türkisen Systems" sind für Rendi-Wagner die fünf zentralen Herausforderungen, die die Regierung rasch angehen müsse. (Michael Völker, APA, red, 18.10.2021)