Richter Stefan Apostol ist der Vorsitzende eines Geschworenengerichts, das über die Anstaltsunterbringung eines paranoid Schizophrenen entscheiden muss, der sich vor sonnenbrillentragenden Männern bedroht fühlte.

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Wien – Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Doktor K. den Großen Schwurgerichtssaal mit einer Sonnenbrille vor den Augen betritt, um seine Anonymität zu wahren. Denn im vergangenen Herbst fühlte sich der international tätige Wissenschafter von Männern mit ebensolchem Augenschutz noch verfolgt und bedroht. Und soll deshalb, so der Vorwurf von Staatsanwältin Ursula Spreitzer-Kropiunig, am 10. Dezember des Vorjahres versucht haben, sein 20 Monate altes Kind zu töten.

K. ist aber kein Angeklagter, sondern ein Betroffener. Denn der Unbescholtene leidet an paranoider Schizophrenie und war am Tatabend zurechnungsunfähig. Es geht in dem Geschworenenverfahren unter Vorsitz von Stefan Apostol daher um die Frage, ob der Mann in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen werden soll, da es sich um einen Mordversuch handelte.

Betroffener nicht in Haft

Das Ungewöhnliche an dem Fall ist nicht, dass der Betroffene hochintelligent ist, psychische Erkrankungen können schließlich jede und jeden treffen. Sondern dass K. sich auf freiem Fuß befindet. Nach seiner Festnahme reagierte er derart gut auf die verschriebenen Medikamente, dass er Krankheitseinsicht zeigt, seit März in einer privaten betreuten Einrichtung untergebracht ist und wieder forscht.

Gemeinsam mit seiner Verteidigerin Sonja Scheed versucht K., das Gericht davon zu überzeugen, dass er sein Kind damals nicht umbringen wollte. Seine Gattin, die durch das Weinen aufwachte, berichtet als Zeugin, sie hatte den Eindruck, dass ihr Mann Mund und Nase des Kindes mit der Hand abdeckte, es also ersticken wollte. Der medizinische Sachverständige Christian Reiter merkt an, dass das Kind nicht weinen hätte können, wenn seine Atemwege blockiert gewesen wären. Auch Symptome wie geplatzte Äderchen in den Augen, die nach drei Minuten der unterbrochenen Sauerstoffversorgung auftreten, wurden bei dem Kind im Spital nicht beschrieben, ebensowenig Druckstellen.

Bitte um Blausäure

Allerdings nährt K.s Verhalten im Vorfeld das Misstrauen der Anklägerin. Bereits im Oktober soll er seine Ehefrau gefragt haben, ob sie Blausäure besorgen könne. Und die Gattin entdeckte in der gemeinsamen Wohnung auch ein neu gekauftes Schwert, das der Betroffene versteckt hatte. Sie habe damals die Polizei alarmiert, die sagte ihr aber, ohne Angriff könne man von Amts wegen nichts machen.

K. wiederum kontaktierte ebenfalls zweimal die Polizei – um Hilfe gegen die ihn angeblich verfolgenden Sonnenbrillenmänner zu bekommen. Da er ignoriert wurde, wollte er seine Frau dazu bringen, die Exekutive zu rufen, indem er das Kind zum Weinen brachte, behauptet er nun. Die Geschworenen glauben ihm das und sprechen ihn einstimmig vom Mordversuch frei, eingewiesen wird er daher nicht.

Vorsitzender Apostol appelliert dennoch eindringlich an K., seine Behandlung fortzusetzen, um nicht wieder vor Gericht zu kommen. (Michael Möseneder, 18.10.2021)