Türkis-grüne Regierungssitzungen sind dieser Tage von einer kühlen Atmosphäre geprägt.

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Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat sich noch nicht festgelegt, ob er den Vorsitz im ÖVP-U-Ausschuss führen will.

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Die grüne Fraktionsführerin Nina Tomaselli hat sich bereits dagegen ausgesprochen.

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Die Grünen haben einen neuen Charakterzug entwickelt: Sie sind derzeit geschlossen gelassen. Bis vor zwei Wochen konnten Journalistinnen und Journalisten eigentlich fast immer einen Grünen finden, der sich gerade über den Koalitionspartner ärgert, dem inhaltlich etwas fehlt oder ganz im Gegenteil viel zu weit geht, bei dem, was die Regierung tut, in der die Grünen selbst sitzen.

Aktuell kann man im grünen Regierungsteam oder im Klub oder in Landesorganisationen nachfragen, man bekommt dieselbe Antwort: Läuft doch alles ganz gut jetzt. Und beim von der Opposition angekündigten Untersuchungsausschuss heißt es kühl: Gegen türkise Korruption als Untersuchungsgegenstand habe man nichts. Über den Vorsitzenden müsse man halt noch reden.

Es ist fast so, als hätten die Koalitionspartner Rollen getauscht. Die Grünen lehnen sich zurück, freuen sich über ihr gerade zur Schau gestelltes polittaktisches Geschick, und der Koalitionspartner? Den gibt es halt auch. Aus der Volkspartei hingegen hört man: Man konzentriere sich jetzt auf eine konstruktive Zusammenarbeit in der Regierung, es gehe darum, gemeinsame Projekte voranzutreiben. Klar sei jedoch, sinngemäß: Die Grünen haben sich unfair verhalten.

Gespräch von Kogler und Kurz

Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler und Ex-Kanzler Sebastian Kurz wollen sich diese Woche noch treffen und aussprechen. Man dürfe diesen Termin nicht zu hoch hängen, hört man bei den Grünen. Die beiden hätten ohnehin Kontakt gehabt, telefoniert. Dass ÖVP-Generalsekretär Axel Melchior in einer Aussendung Kogler angegriffen hat, versuchen die Grünen abperlen zu lassen: "So etwas kommt vor."

Kurz hat für diese Woche keine großen medienöffentlichen Termine geplant. Er führe parteiintern viele Gespräche, heißt es. Außerdem koordiniert er als Parteichef weiterhin die türkise Regierungsmannschaft. Am Ministerrat am Mittwoch wird er dennoch nicht teilnehmen, für die ÖVP sitzt dort weiterhin der nun geschäftsführende Klubobmann August Wöginger am Tisch. Große Themen stünden diese Woche aber wohl ohnehin nicht an, hört man von beiden Seiten – so als würde der Alltagstrott schon wieder einziehen.

Grüne könnten Nehammer hinterfragen

Eines treibt manche Grüne allerdings trotzdem um: die Personalie Karl Nehammer. Die Meinungsforscherin Sabine B. – die in der Inseratenaffäre rund um Kurz eine zentrale Rolle spielt – hatte am Abend vor der Hausdurchsuchung sämtliche Chats mit anderen Beschuldigten von ihrem Handy gelöscht. Es stellt sich die Frage, ob und woher sie von der bevorstehenden Razzia wusste.

Hinter den Kulissen erzählen Grüne, dass man hinterfragen müsse, ob der durch und durch türkise Nehammer während solch heikler Ermittlungen Innenminister sein kann. Offen äußern möchte sich dazu jedoch niemand. Weitere Personaldebatten würden der Koalition das Genick brechen, fürchten sie. "Wir konzentrieren uns aufs Regieren, dass große Projekte noch schnell umgesetzt werden, und den neuen U-Ausschuss", sagt ein Grüner.

Streitfrage Ausschuss-Vorsitz

Den von der Opposition beantragten Ausschuss zu möglicher ÖVP-Korruption unterstützen die Grünen vollinhaltlich. Sie wollen keinen Einspruch gegen den von SPÖ, FPÖ und Neos formulierten Untersuchungsgegenstand erheben. Ganz anders also als im Vorfeld des Ibiza-U-Ausschusses: Damals versuchten ÖVP und Grüne, den Untersuchungsgegenstand zu verwässern, scheiterten damit aber am Verfassungsgerichtshof. "Wir haben uns den Antrag der Opposition und den Untersuchungsgegenstand genau durchgeschaut und sehen keine Veranlassung, dass der Untersuchungsgegenstand eingeschränkt wird", sagt die grüne Fraktionsführerin Nina Tomaselli zu den "Salzburger Nachrichten".

Für Konfliktstoff in der Koalition dürfte aber noch eine Ausschuss-Personalie sorgen: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) führt der Geschäftsordnung nach den Vorsitz im U-Ausschuss. Das sorgte schon beim Ibiza-Ausschuss für heftige Debatten, weil alle Parteien außer der ÖVP Zweifel an Sobotkas Überparteilichkeit äußerten. In der "ZiB 2" sagte Tomaselli, dass sie sich für den neuen Ausschuss einen anderen Vorsitzenden wünsche – auch die Opposition spricht sich vehement gegen Sobotka aus.

Die Entscheidung müsste allerdings Sobotka allein fällen – und der lässt sich nicht in die Karten blicken: "Sachlich betrachtet gibt es eine geltende Geschäftsordnung und ein Verlangen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses", sagte sein Sprecher auf Anfrage der Austria Presse Agentur. "Der Geschäftsordnungsausschuss wird über die Einsetzung beraten, und der Präsident wird weitere Fragen zu gegebener Zeit entscheiden." (Sebastian Fellner, Katharina Mittelstaedt, 18.10.2021)