Ballade auf die georgische Stadt Kutaissi: Oliko Barbakadze in "What Do We See When We Look at the Sky". Foto: Viennale

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Bald nach Beginn von Alexandre Koberidzes What Do We See When We Look at the Sky? wird man aufgefordert, die Augen zu schließen. Prompt erkennt sich das frisch verliebte Paar danach nicht wieder. In einer freien Form, die Alltagsbeobachtungen in der georgischen Stadt Kutaissi mit einer losen Erzählung verknüpft, beharrt dieser außergewöhnliche Filme darauf, dass sich erst in der Summe flüchtiger Momente der Reichtum des Lebens erschließt. Man fühlt sich an das frühe Kino erinnert, an eine Stadtsymphonie, in der neben Märchenhaftem auch Platz für Erinnerungen an Gianna Nanninis Notte magiche und die WM von 1990 ist.

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STANDARD: Ihr Film ist gleichermaßen Ode an eine Stadt wie an den Fußball. Wo liegen die Verbindungen?

Koberidze: Fußball ist das, was ich gerne gemacht hätte. Film ist das, was ich stattdessen mache – ehrlich gesagt. Ich habe mit diesem Film im Grunde kompensiert, kein Fußballer zu sein. Generell ist Fußball eine Quelle der Leidenschaft, die mir sehr gut gefällt. Und die man zeigen kann: an den angespannten Körpern, wenn sie zuschauen; an den Gesichtern und Körpern, die spielen. Es gibt diese Sequenz, in der die Kinder Fußball spielen, deren Emotion ist mir viel wert. Es wäre schwer, das anders zu zeigen.

STANDARD: Der Film ist auch so etwas wie eine übernatürliche Instanz, die zwei Liebenden, die sich nicht mehr erkennen, zur Hilfe kommt. Wie ist diese Erzählung entstanden?

Koberidze: Eigentlich sollte es viel konkreter werden, sodass man der Geschichte des Paares genau folgen kann. Schon mein letzter Film war so offen wie dieser, ich dachte also, ich mach es diesmal ganz anders, um mich nicht zu wiederholen. Doch dann ist meinem Kameramann und mir klar geworden, dass uns das Umfeld der Stadt viel zu sehr interessiert. Sie hat die Geschichte der beiden Liebenden etwas verdrängt. Das ist eher organisch passiert, nicht konzeptuell.

STANDARD: Worin liegt die Besonderheit der Stadt Kutaissi?

Koberidze: Es ist eine uralte Stadt, von deren Substanz jedoch fast nichts mehr zu sehen ist. Ein Schriftsteller, "Rezo" Gabriadze, hat einmal etwas Kluges über Kutaissi gesagt: Es sei eine Stadt, die zum Mittelmeer gehöre, aber gar nicht dort liege. Viele Menschen, die die Kultur und Politik in Georgien geprägt haben, kommen aus ihr. Das ist bis heute so, es gibt eine wichtige Hip-Hop- und Metal-Szene.

STANDARD: Die Offenheit, mit der Sie die Motive der Stadt verknüpfen, von den Kindern über das Café und die Eiscreme bis zur Musikschule, ist eher an der Poesie orientiert. Wie viel davon ist dokumentarisch?

Koberidze: Es gab ein klares Drehbuch, bei dem ich jedoch versucht habe, Räume frei zu lassen: dafür, dass Sachen passieren, die nicht planbar sind. Auch wenn wir Motive gesucht haben, fragen wir uns, ob noch etwas anderes passieren kann. Können wir schnell einen Schwenk machen? Wir sind auch oft mit einem kleinen Team losgezogen, haben Vordrehs gemacht. Manchmal bin ich spazieren gegangen, am nächsten Tag sind wir mit der Kamera wiedergekommen. Oder wir haben jemanden in der Kneipe kennengelernt, der dann zum Teil des Films wurde. Es sollte vielfältig bleiben, was natürlich auch gefährlich sein kann. Ich hatte Angst, dass ich zu viele Bilder nehme und zum Verbraucher werde. Ich habe mir diese eine ethische Frage gestellt: Wie filmt man Dinge, die man schön findet, ohne sie exotisch darzustellen? Letztendlich habe ich darauf keine Antwort gefunden. Außer dass man Vorsicht und Respekt bewahrt.

STANDARD: Weglassen ist genauso wichtig.

Koberidze: Genau, aber das muss ich noch besser lernen!

STANDARD: Wie viele Motive sind persönlich – in dem Sinn, dass es einen Anker in Ihrer Erinnerung gibt?

Koberidze: Viele, aber auch da muss man eine Grenze finden. Es gibt ein Filmposter, kleine Details. Auch wenn nicht alles gesehen wird, ergibt es ein Gefühl dafür, dass man etwas Persönliches teilen will. Der Fußball und das Gianna-Nannini-Lied kommen aus meiner Kindheit. Ich war sechs, als ich das erste Mal diese Leidenschaft gesehen habe, als Maradona im Finale geweint hat. Damals fand ich das schockierend, doch meine Mutter erklärte mir, dass er verloren habe, deshalb sei es okay. Das war ein Zeichen dafür, dass es eben auch erlaubt ist.

STANDARD: Hatten Sie bei dem Film auch an so etwas wie ein Statement, eine Erfahrung gegen die Entzauberung der Welt gedacht?

Koberidze: Ja, das Märchenhafte, den Zauber habe ich absichtlich so eingebaut, dass man sie nicht als Metapher lesen kann. Wir haben versucht, den Film so zu schneiden, dass die Szenen als Ereignis wahrgenommen werden und nicht als etwas, das für etwas anderes steht. Es war der Versuch zu sagen: Solche Dinge passieren tatsächlich.

STANDARD: Wie im Schlusszitat, in dem es um das Unbegreifliche geht?

Koberidze: Das ist aus Die Nase von Gogol, ich habe diesen Satz lange mit mir herumgetragen. Er sagt, solche Sachen kommen vor. Klarer kann man es nicht formulieren, weil keine Musik, keine Bilder ablenken. (INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh, 16.10.2021)