Das Betretungsverbot im Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen im Frühjahr 2020 war gesetzeswidrig.

Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Die Zeit des ersten Lockdowns stellte im Frühjahr 2020 für viele eine besonders einschneidende Erfahrung dar; man wusste noch vergleichsweise wenig über die Verbreitungsart des Coronavirus, und die erlassenen Ausgangsbeschränkungen kannte man bis dato in der Form nicht. Besonders gravierend waren die Einschränkungen jedoch für Bewohner von Massenquartieren, die aufgrund einzelner Fälle oft großflächige Quarantänemaßnahmen mittragen mussten.

Ein besonders aufsehenerregender Umgang mit dem Auftreten von Krankheitsfällen wurde im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen gewählt: Dort erließ die Bezirkshauptmannschaft Baden eine Verordnung, die sowohl das Betreten als auch das Verlassen der Einrichtung für mehrere Wochen verbot. Betroffen waren allerdings nur die Bewohner, nicht das Personal. Und zwar unabhängig davon, ob sie infiziert waren oder direkte Kontaktpersonen von Infizierten waren. Zu dem Zeitpunkt lebten etwa 600 Asylwerber dort.

Ging von Dunkelziffer aus

Diesen war es untersagt, das Gelände zu verlassen – egal aus welchem Grund und unabhängig davon, ob sie einen negativen Test vorweisen konnten. Infizierte Personen und direkte Kontaktpersonen waren in einem eigenen Gebäude untergebracht. Anfang April, also während der Ausgangssperre, waren sieben Personen nachweislich infiziert. Man ging aber von einer höheren Dunkelziffer aus.

Diese Ausgangssperre war gesetzeswidrig. Das hat der Verfassungsgerichtshof nun erkannt, das Erkenntnis liegt dem STANDARD vor. Demnach war jener Paragraf der zugrunde liegenden Verordnung rechtswidrig, der sowohl das Betreten als auch das Verlassen des gesamten Geländes der Einrichtung untersagte. Die Verordnung wurde von der Bezirkshauptmannschaft (BH) Baden erlassen. Für diese Art von Regelung hätten der BH aber die gesetzlichen Grundlagen gefehlt, meint das Höchstgericht.

Zum Vergleich: Damals galten für die allgemeine Bevölkerung ebenfalls Ausgangsbeschränkungen. Verboten wurde das Betreten öffentlicher Orte, wobei bestimmte Ausnahmen definiert wurden – etwa Spazierengehen, Einkaufen oder berufliche Zwecke. Auch diese Verordnung wurde vom VfGH nachträglich aufgehoben, weil es dafür keine gesetzliche Grundlage gab. Daraufhin wurde das Covid-Maßnahmengesetz novelliert, um – mit entsprechenden Ausnahmen – auch das Verlassen des privaten Wohnbereichs und das Betreten öffentlicher Orte untersagen zu können.

Risiko minimieren

Das heutige Gesetz würde jedoch auch eine Verordnung, wie sie damals in Traiskirchen galt, nicht ermöglichen. Die Bezirkshauptmannschaft rechtfertigte die Verordnung im Nachhinein damit, dass das Ziel gewesen sei, das Ansteckungsrisiko sowohl für neu einziehende Asylwerber als auch bereits dort aufhältige Bewohner "so weit zu minimieren, dass sich das Virus nicht diffus und exponentiell innerhalb der Einrichtung ausbreiten kann". Zudem gebe es bei den Bewohnern üblicherweise eine hohe Mobilität, weshalb ein effektives Contact-Tracing keinen Erfolg gehabt hätte: "Es musste im Rahmen der Contact-Tracings in der Betreuungsstelle Ost (Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, Anm.) gegenüber dem Contact-Tracing außerhalb (...) vermehrt mit fehlenden Namen oder Erinnerungslücken gearbeitet werden. Die sprachlichen Barrieren waren ebenso hinderlich, da die Asylwerber*innen ihren sprachlichen Hintergrund unter anderem auch änderten und erneut ein Dolmetscher angefordert werden musste", schreibt die BH Baden in einer Stellungnahme an den VfGH. Demnach hätten alle Bewohner als "ansteckungsverdächtig" gegolten.

Das Problem: Das Covid-Maßnahmengesetz erlaubte der Bezirkshauptmannschaft zwar, das Betreten bestimmter Orte zu untersagen. Zumindest dann, wenn das für die Bekämpfung der Pandemie notwendig ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass die BH allen Bewohnern vorschreiben durfte, dass sie das Gelände nicht verlassen dürfen. Das Epidemiegesetz erlaubt zudem, die Bewegungsfreiheit von Betroffenen einzuschränken. Jedoch nur bei jenen, die, wenn sie nicht überhaupt krank sind, zumindest als "ansteckungsverdächtig" gelten, sie eine Gefahr für die Gesundheit anderer darstellen und keine gelinderen Mittel möglich sind.

"Dass sämtliche in der Betreuungsstelle Ost untergebrachten (rund 600) Personen zumindest ,ansteckungsverdächtig' waren (...), kann der Verfassungsgerichtshof auf Grund der beschriebenen Situation (...) nicht finden", heißt es im Erkenntnis. Auch etwaige Schwierigkeiten bei der Kontaktnachverfolgung "vermögen eine Ausgangsperre für sämtliche Bewohner (...) jedenfalls nicht zu rechtfertigen".

Man akzeptiere das VfGH-Erkenntnis "selbstverständlich", sagt Bezirkshauptfrau Verena Sonnleitner. Man habe damals schlicht eine andere Rechtsauffassung vertreten. Heute seien derartige Regelungen ohnehin hinfällig, da viel weitreichendere Testmöglichkeiten vorhanden seien. Jeder neu eintreffende Bewohner werde getestet. Mit Stand 17. Oktober waren 46 Personen infiziert. Zusätzlich zu den Infizierten befanden sich 77 Personen als Kontaktpersonen in Quarantäne.

Maßnahmenbeschwerde

Dass diese Verordnung überhaupt geprüft wurde, hat eine lange Vorgeschichte und hängt damit zusammen, dass sich zwei Bewohner gegen die verhängte Ausgangssperre auf offiziellem Wege beschwerten. Als sie von der Polizei am Verlassen des Areals gehindert wurden, erhoben sie Maßnahmenbeschwerde beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich. Immer, wenn er versucht habe, das Areal zu verlassen, sei er von Securities oder der Polizei daran gehindert worden, sagt einer der Beschwerdeführer zum STANDARD. Er habe etwa ein Jahr in Traiskirchen gelebt, die Zeit der Ausgangssperre sei "sehr hart" gewesen.

Die Beschwerde wurde vom Gericht allerdings zurückgewiesen. Begründet wurde das – verkürzt formuliert – damit, dass die Polizei keine physischen Zwangsmittel anwendete, als sie den Betroffenen das Verlassen verbot. Zudem hätte physische Zwangsgewalt auch bei Nichtbefolgung nicht gedroht. Daraufhin wandten sie sich an den Verfassungsgerichtshof.

Was wiederum das Höchstgericht dazu veranlasste, die Verordnung an sich zu prüfen. Bezüglich der Maßnahmenbeschwerde selbst liegt noch keine Entscheidung vor.

"Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sind wichtig. Aber die unterschiedslose Anhaltung von 600 Menschen durch die BH Baden war klar rechtswidrig", sagt Rechtsanwalt Clemens Lahner, der die Beschwerdeführer vertritt. Die Betroffenen seien unabhängig von jeglichem Verdacht einer Infektion oder eines Kontaktes zu Infizierten wochenlang interniert worden. Nun sei die Rechtswidrigkeit dieser Vorgehensweise "eindeutig festgestellt" worden. (Vanessa Gaigg, 19.10.2021)