Ein 32-Jähriger ist wegen Vergewaltigung einer Prostituierten vor einem Schöffengericht. Er bestreitet den Angriff ebenso wie den Vorwurf, er habe der Frau auch die Handtasche mit 3.000 Euro geraubt.

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Wien – "Ich habe ihr Faust gegeben und einen Tritt ins Gesicht", gibt Angeklagter Davut B. eine Körperverletzung von Frau O. zu. Diese hat ihn aber nicht vor das Schöffengericht unter Vorsitz von Tea Krasa gebracht – der Staatsanwalt wirft dem unbescholtenen 32-jährigen vor, in der Nacht des 27. Juni die Frau vergewaltigt und beraubt zu haben, was er strikt von sich weist.

Er hätte einen halben Liter Wodka-Red Bull getrunken, ehe er sich, wie schon öfters, gegen drei Uhr auf den Weg zum Straßenstrich machte, erzählt der arbeitslose Österreicher. Da die Prostituierte, zu der er eigentlich wollte, abwesend gewesen sei, habe er mit der 21-jährigen O. eine Stunde Sex für 150 Euro vereinbart. "Ich habe ihr vorgeschlagen, ins Hotel Bauer zu fahren, das wollte sie aber nicht. Sie hat dann Parkplätze vorgeschlagen, die sind aber Privatgrund. Dann sind wir in ein Waldstück gefahren", sagt der Angeklagte.

"Wir haben Spaß gehabt"

"Was haben Sie dann gemacht?", will die Vorsitzende wissen. "Wir haben Spaß gehabt", hört sie, ehe B. auf Nachfrage zwei sexuelle Handlungen beschreibt. Nach seiner Darstellung gab er dann seinem Harndrang nach und erleichterte sich hinter seinem Auto. Dabei will er beobachtet haben, dass O. in seine Jeans griff, in der er 2.700 Euro hatte. "Ich habe mich dann ins Auto auf die Rückbank gesetzt und sie ins Gesicht geschlagen", gibt er zu. Die zierliche O. soll nach dem ersten Angriff allerdings neuerlich nach seiner Hose gegriffen haben und wollte aussteigen. Daher habe er noch einmal zugeschlagen und sie getreten. "Ich habe überreagiert", gesteht er ein. Er habe der Rumänin noch gesagt, sie solle verschwinden, dann sei er gefahren.

Frau O. erzählt eine gänzlich andere Geschichte. Es seien 15 Minuten für 40 Euro vereinbart gewesen, von einem Hotel sei nie die Rede gewesen. Die Dienstleistung erbrachte sie auf einem Parkplatz, nach Ablauf der Zeit stieg sie wieder aus. "Er ist mir dann nackt nachgelaufen, ich dachte, er will sein Geld zurück, und habe ihm die 40 Euro hingehalten", schildert die 21-Jährige. Stattdessen habe der Angeklagte sie mit dem Kopf gegen eine Zaunlatte oder einen Pfahl geschlagen, sie dann ins Auto gezerrt und sei auf den Waldweg gefahren. Dort habe er sie geschlagen und vergewaltigt und ihr ihre Handtasche, in der sich 3.000 Euro befanden, geraubt.

Taxifahrer alarmierte Polizei

Während des Angriffs sei ein Taxi vorbeigefahren, dessen Lenker sie deutete, er solle anhalten, er sei aber zunächst weitergefahren. Danach habe sie flüchten könne, und dann sei bald die Polizei gekommen – der Taxifahrer hatte diese nämlich alarmiert. "Warum soll Frau O. Sie zu Unrecht belasten?", will Vorsitzende Krasa vom Angeklagten wissen. "Sie will wahrscheinlich ihren Raubversuch verdecken!", meint dieser. "Haben Sie sie damals angezeigt?" – "Nein. Das war ein Fehler." – "Aber warum sollte Frau O. dann unmittelbar danach der Polizei sagen, dass sie vergewaltigt und beraubt worden sei?", wundert sich die Vorsitzende.

Auch einem der Schöffen ist etwas unklar: "Sie sagen, Sie hätten beim Urinieren bemerkt, dass die Frau in Ihre Hosentasche greift. Warum steigen Sie dann auf der Fahrerseite hinten ein? Es wäre doch viel logischer, zur Beifahrertüre zu gehen und zu fragen, was sie da macht?" – "Daran habe ich nicht gedacht", meint B. dazu. Der Angeklagte hält auch dezidiert fest, dass er und Frau O. sich beide selbst ausgezogen hätten. Die DNA-Sachverständige Christina Stein widerlegt das in ihrem Gutachten: Auf dem Bund von O.s Hose wurde an der Innenseite Genmaterial des Angeklagten gefunden.

Verteidiger Christian Haas bemüht sich, Widersprüche in der Aussage von Frau O. aufzudecken und ihre Glaubwürdigkeit generell in Zweifel zu ziehen. Bemühungen, die nach der Aussage des Taxifahrers ziemlich hinfällig sind. Der unbeteiligte Zeuge schildert nämlich, er sei auf der Fahrt zu einem Kunden gewesen, sein Navigationssystem habe ihn durch den Wald gelotst. Zunächst habe er in dem parkenden Auto nur gesehen, dass eine Frau mit nackten Oberkörper halb aus dem Fenster der Rückbank hing. "Ich dachte, die beiden haben Sex, und wollte nicht spannen", erinnert der Zeuge sich.

Hilferufe der nackten Frau

Als er aber etwa fünf Meter entfernt vorbeigefahren sei, habe er gesehen, dass die Frau ihm deutete. "Dann habe ich die Musik bei mir ausgeschaltet und gehört, dass sie ,Hilfe!' schrie. Da habe ich mir dann gedacht, dass es eine Vergewaltigung sein muss." Da er Angst hatte, sei er noch kurz weitergefahren, ehe er die Polizei rief. Als die eintraf, seien bereits eine weitere Frau und ein Mann bei Frau O. gestanden, die geschrien und geweint habe.

Die vom Zeugen erwähnte zweite Frau ist ebenfalls Sexarbeiterin und sagt aus, sie habe in der fraglichen Nacht einen Anruf von O. erhalten, die Verbindung sei aber abgebrochen. Sie rief zurück, allerdings hob O. nicht ab. "Nach zehn Minuten habe ich mir dann Sorgen gemacht, da ich sie nicht erreiche. Ich habe ein anderes Mädchen gebeten, dass sie ihren Mann anrufen soll, der ein Auto hat, und habe die Polizei verständigt."

Erst sei sie zu einem Parkplatz gefahren, den O. bei ihrer Tätigkeit normalerweise benutzt, dort sei sie aber nicht gewesen. Über eine Ortungsapp habe sie ihre Kollegin schließlich ausfindig machen können, da sei auch schon die Exekutive gekommen. Ihr gegenüber habe O. vor allem von der geraubten Tasche gesprochen, eine Vergewaltigung habe sie nicht erwähnt, behauptet die Zeugin zunächst. Später lässt sie allerdings von der Dolmetscherin doch übersetzen, O. habe etwas von Sex unter Gewaltanwendung gesagt.

Zeugin lobt Angeklagten

Die Zeugin lobt dann den Angeklagten: Er sei in den vergangenen beiden Jahren etwa fünfmal bei ihr gewesen und habe nie Probleme gemacht. "Der ist in Ordnung", ist sie überzeugt. Sie sagt auch, er habe immer 15 bis 20 Minuten gebucht und es sei ihm wichtig gewesen, keinen Stress zu haben. Die Verrichtung habe aber stets auf einem Parkplatz stattgefunden, ein Stundenhotel sei nie Thema gewesen.

Der Senat berät 20 Minuten, ehe er B. anklagekonform zu vier Jahren unbedingter Haft verurteilt. "Frau O. wirkte sehr glaubwürdig, bei Ihnen hatten wir diesen Eindruck nicht so", begründet die Vorsitzende die Entscheidung. "Aber vor allem der Taxifahrer, der nichts mit der Sache zu tun hat, hat gesagt, es sei eine Vergewaltigung gewesen." Neben den geraubten 3.000 Euro muss B. Frau O. auch 2.000 Euro Schmerzensgeld zahlen, die durch die "wirklich brutale Vorgehensweise" noch immer Albträume hat. Der Angeklagte und sein Verteidiger melden Nichtigkeit und Berufung an, der Anklagevertreter gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 19.10.2021)