Schauspielerin Mimsy Farmer schreckt sich 1975 in "Macchie solari" ("Autopsy") von Armando Crispino über das mangelnde Budget für Spezialeffekte. Die zeitlose schöne Musik dazu lieferte Ennio Morricone.

Foto: CAM Sugar

Möglicherweise findet man es heutzutage nicht mehr wahnsinnig erschreckend, wenn auf Bildschirm oder Leinwand ein menschlicher Kopf aus Plastilin explodiert und daraus neben Himbeersaft auch Styroporkugeln stieben. Immerhin ist die Weltjugend mittlerweile dank der naturgetreuen Innenansichten von Toten und Untoten in beliebten Familienserien wie The Walking Dead oder Social-Patchwork-Reißern wie Army of the Dead längst daran gewöhnt, dass man die Schock- und Ekelschwelle entschieden höher legen muss. Goldenes Fleischerhandwerk trifft auf Pathologiehandbuch und Computer Generated Imagery (CGI).

Entschieden beeinflusst wurde der heutige Blut- und Gedärm-Mainstream allerdings von einer filmischen Kunstform, die in Italien in den 1950er-Jahren aufkam und vor allem in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren mit Regisseuren wie Dario Argento, Mario Bava oder Joe D’Amato ihren Höhepunkt erlebte.

Daniele Patucchi - Topic

Im Akkord produzierte italienische Giallo-, Horror-, Splatter-, Zombie-, Kannibalen-, Mystery- und Psychothriller (oder einmal alles zusammen, bitte!) mochten oft am Produktionsbudget leiden. Das wird nicht nur bei den heute meist rührend wirkenden Beuschlreißer- und Hirnschmelzszenen deutlich. Oft wurde auch an plausiblen Dialogen und Handlungssträngen gespart. Im Zweifel kippte man also die ganze Sache in wirre psychedelische Farbexperimente, Traum- und Albtraumszenen, esoterisches Softcore-Geschmuse mit Strumpfhosenfilter vor der Kameralinse, schließlich auch katholische Gothic- und Fetischsymbolik. Merke, nackte Nonnen und der Teufel, der im Kloster umgeht, gingen in Italien immer gut. Zum Beispiel 1979 in Joe D’Amatos Imagini di un Convento (Images in a Convent).

Zum wesentlichen Gelingen der später natürlich von Leuten wie dem unvermeidlichen Quentin Tarantino verehrten Kunstform des auf jeden Fall doppeldeutig zu lesenden Horrorgenres trug dabei die Filmmusik bei. Und diese war mit bekannten italienischen Soundtracklieferanten wie Ennio Morricone, Riz Ortolani oder Bruno Nicolai qualitativ auf der damaligen Höhe der Zeit bestens abgesichert.

Kinderlieder aus dem Grab

Das Album Paura – A Collection of Italian Horror Sounds (Universal) bietet nun einen hübschen Querschnitt durch eine filmhistorisch heute höchstens mit gutem Humor zu nehmende Welt, in der sich allerdings die Musik bestens gehalten hat. Das Mailänder Label CAM Sugar hat auf der Kollektion Paura, Italienisch für Angst oder Furcht, 25 Stücke aus hübsch betitelten Filmen wie Sex of the Devil, The Dead Are Alive! oder Autopsy zusammengetragen. Die Musik verbreitet dabei nicht unbedingt Horror, sondern konterkariert ihn eher.

Riz Ortolani - Topic

Man hört verhuschte Kinderlieder aus dem Grab, James Last lädt zum Fünfuhrtee in die Gerichtsmedizin. Man schlürft Blutorangencocktails zu dezent poppiger Loungemusik mit einer Maultrommel oder einem Cembalo als Leadinstrument. In-A-Gadda-Da-Vida von Iron Butterfly wird dezent groovy glattgebügelt. Marcello Giombini, der tagsüber christliche Beat-Messen komponierte und sich nachts an Querflötenmusik für Slasher-Filme versuchte, dürfte heute ebenso wiederentdeckt werden wie lustige Versuche in Funk und Disco und Synthesizergequietsche, die etwa von der heute kultisch verehrten Band Goblin eingespielt wurden. Eine Entdeckung. (Christian Schachinger, 20.10.2021)