Auch in Pisa gingen Menschen gegen den grünen Pass auf die Straße – wie in vielen anderen italienischen Städten.

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Am Montag hat ein großes Polizeiaufgebot eine Protestversammlung im Hafen von Triest gewaltsam aufgelöst: Zum Einsatz kamen Schlagstöcke, Tränengas und Wasserwerfer. Etwa 3.000 Impfgegner aus dem ganzen Land hatten sich mit den streikenden Hafenarbeitern solidarisiert und den Terminal 4 blockiert. Ein Teil der Belegschaft des Hafens wehrt sich gegen die seit vergangenem Freitag in ganz Italien geltende Anordnung der Regierung, wonach nur noch am Arbeitsplatz erscheinen kann, wer geimpft, genesen oder negativ getestet ist. Zu kleineren und größeren Protestaktionen gegen diese Maßnahme ist es in den letzten Tagen in ganz Italien gekommen – meist nehmen aber höchstens einige hundert Personen daran Teil.

Andrang in Impfzentren

In sehr viel größerer Zahl rennen die Italienerinnen und Italiener derzeit in die Impfzentren: Täglich lassen sich zwischen 60.000 und 80.000 bisher ungeimpfte Personen die erste Dosis verabreichen. Seit Mitte September, als die Regierung von Mario Draghi die Maßnahme für den 15. Oktober angekündigt hatte, haben sich 1,8 Millionen Personen impfen lassen; im Monat zuvor waren es noch 1,2 Millionen Personen gewesen. Mindestens eine halbe Million Menschen haben sich demnach zu einer Impfung bewegen lassen, der sie sich ohne die Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz wahrscheinlich nicht unterzogen hätten. Einen Ansturm ohnegleichen erleben auch die Teststationen und Apotheken – zwischen 500.000 und 600.000 Personen lassen sich derzeit täglich auf das Virus testen, um ungeimpft zur Arbeit gehen zu können.

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Italiens Premier Mario Draghi greift zu harten Maßnahmen, um einen erneuten Lockdown zu verhindern.
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Mit der 3G-Regel am Arbeitsplatz geht die italienische Regierung weiter als jede andere europäische Regierung – aber der sogenannte "Green Pass" verfehlt seine Wirkung nicht. In Italien sind inzwischen 82 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft – in Deutschland sind es 66 Prozent und in der Schweiz und in Österreich 62 Prozent. Die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) ist in Italien auf 29 gesunken, obwohl alle Schulen wieder Präsenzunterricht haben und bis auf die Maskenpflicht in Innenräumen beinahe alle Restriktionen aufgehoben worden sind. In Deutschland liegt die Inzidenz bei 78, in der Schweiz bei 72 und in Österreich bei 168 neuen Fällen pro 100.000 Einwohner.

Politische Gratwanderung

Impfverweigerer von der Arbeit und der Lohnzahlung auszuschließen beziehungsweise sie zu drei kostenpflichtigen Tests pro Woche zu zwingen, ist staatspolitisch eine Gratwanderung. Das weiß auch Mario Draghi, doch für ihn heiligt der Zweck die Mittel: Im Vergleich zur zweiten Welle im vergangenen Herbst, als noch keine Impfstoffe zur Verfügung standen und das halbe Land geschlossen war, ist in Italien die Zahl der täglichen Covid-Toten um das Zwanzigfache zurückgegangen, und die Auslastung der Covid-Stationen liegt heute bei vier bis fünf Prozent. Vor einem Jahr betrug sie das Zehnfache. Das ist es, was für Draghi zählt – und nach 131.000 Toten und einem der härtesten und längsten Lockdowns Europas auch für die überwältigende Mehrheit der Italienerinnen und Italiener. (Dominik Straub aus Rom, 20.10.2021)