Der Wald erfüllte schon immer verschiedenste Funktionen.
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Der Wald ist so was wie ein Tausendsassa: Er liefert Baumaterial, Industriegrundstoffe und Energieträger. Nebenbei ist er Erholungsraum, Ökosystem und Hoffnungsträger fürs Klima. Wie sich das alles ausgeht, erklärt Daniela Kleinschmit, Professorin für Forst- und Umweltpolitik.

STANDARD: Vor welchen Aufgaben steht man in der Waldpolitik?

Kleinschmit: Der Wald hat schon immer verschiedenste Funktionen erfüllt, zu denen auch die Lieferung von Rohstoffen gehört. Mit dem Klimawandel kam nun ein großes Thema hinzu. Auf der einen Seite muss sich die Waldwirtschaft anpassen. Sturmschäden, Dürre und Borkenkäferbefall zeigen, dass der Status quo nicht bleiben kann. Gleichzeitig wird der Wald in seiner Rolle als CO2-Senke auch als Klimawandellösung gehandelt. In den letzten Jahrzehnten ist zudem die Idee der Bioökonomie aufgekommen, in der der Wald als Biomasselieferant eine große Rolle spielt. Die Ansprüche sind also gestiegen. Die Forschung arbeitet an Lösungen, um alle diese wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dienstleistungen, die dem Wald abverlangt werden, zu optimieren. Die einhergehenden Zielkonflikte sollen moderiert werden.

STANDARD: Wie kann eine waldbasierte Bioökonomie aussehen?

Kleinschmit: Meist stehen zwei Aspekte hinter der Idee der Bioökonomie: einerseits die Nutzung erneuerbarer Rohstoffe anstelle der fossilen, andererseits die Entwicklung neuer Technologien, Produkte und Dienstleistungen. Verschiedene Länder setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte. Länder mit großen Waldbeständen setzen auf die Nutzung von Bioressourcen. Finnland ist ein Beispiel dafür. In Deutschland, wo weniger Wald vorhanden ist, spielt die Entwicklung neuer Technologien, zum Beispiel zur effizienten Biomassenutzung, eine größere Rolle.

Daniela Kleinschmit erforscht den Waldwandel.
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STANDARD: Eine neue EU-Waldstrategie für 2030 sieht vor, mehr Daten über die Bestände zu sammeln und neue organisatorische Werkzeuge zu entwickeln. Ein Ziel ist, drei Millionen zusätzliche Bäume zu pflanzen. Wie schätzen Sie die Initiative ein?

Kleinschmit: Vorweg: Anders als in der Agrarpolitik hat die EU kein Mandat für die Forstpolitik. Die Strategie kann also nur eine Empfehlung sein. Es wird darin sehr stark auf Naturschutz und Klimamaßnahmen fokussiert. Bei der Frage, wie diese Ansprüche ohne große Zielkonflikte mit der wirtschaftlichen Nutzung zusammengehen, könnte die Strategie aber, vorsichtig formuliert, etwas konkreter sein. EU-Staaten, die selbst eine starke Waldpolitik betreiben, gehen diese EU-Positionen zu weit. Das Ansinnen der EU, auch die Waldpolitik zu regeln, ruft durchaus Kritik hervor.

STANDARD: Wie schafft man es überhaupt, Veränderungen, die so viele Ansprüche vereinen sollen, in der Praxis umzusetzen?

Kleinschmit: Die Zuständigkeiten in der Waldpolitik sind auf viele Stellen verteilt, die gemeinsam an einer insgesamt optimalen Lösung arbeiten müssen. Da braucht es zum einen eine horizontale Integration über verschiedene Sektoren – Wasser, Energie, Holz, Klima –, zum anderen eine vertikale Integration der Politik von der lokalen bis zur internationalen Ebene. Dazu stellt sich die Frage, auf welcher Ebene ein optimales Ergebnis erreicht werden soll: Muss ein Förster für seinen Bereich alles unter einen Hut bekommen? Oder spezialisiert sich eine Waldregion auf Naturschutz und eine andere auf Holzwirtschaft? Optimiert man über ein Bundesland hinweg, über einen Nationalstaat oder über die ganze EU? Diese Fragen muss man sich stellen.

STANDARD: Werden wir langfristig weiterhin auf Holzimporte aus Ländern setzen, in denen man nicht so genau auf Umwelt- und Sozialstandards schaut?

Kleinschmit: Das ist eine wichtige Frage. Wenn man fossile Rohstoffe durch erneuerbare ersetzen, gleichzeitig aber größere Flächen unter Schutz stellen möchte, stellt sich die Frage, wo die Biomasse herkommen soll. Ich befürchte, dass durch Importe von Biomasse die Probleme in eine andere Weltregion verlagert werden. Die Bioökonomie sieht die Lösung unter anderem in einer effizienteren Nutzung. Generell gilt, den Konsum von kurzlebigen Einwegprodukten einzuschränken. Gleichzeitig wird eine Kaskadennutzung oder Kreislaufwirtschaft angestrebt. Das Holz durchlebt zum Beispiel mehrere Produktleben, in denen die stoffliche Nutzung vor der energetischen Nutzung steht. Zuerst dient es vielleicht als Dachstuhl, später als Bauholz und zuletzt als Heizmaterial.

STANDARD: Hier stellt sich auch die Frage, ob es überhaupt vertretbar ist, etwa im Amazonas darauf zu drängen, die Urwälder zu schützen. Immerhin wurde in Europa schon längst alles abgeholzt. Wie sehen Sie das?

Kleinschmit: Das stimmt. Auch wenn der Schutzgedanke richtig und gut ist, hat die Forderung einen neokolonialistischen Touch. Diese Zusammenhänge sind auch einer der Gründe, warum es kein internationales Abkommen in der Waldpolitik gibt. Es hilft nicht, mit erhobenem Finger zu sagen, dass man den Wald schützen soll. Die Staaten wollen eine wirtschaftliche Entwicklung durchmachen. Um eine Einigung zu erzielen, muss man stärker auf diese Länder zugehen und eine finanzielle Kompensation erwägen.

STANDARD: Österreich hat seit 2019 eine Bioökonomiestrategie. Wie schätzen Sie die Situation hier ein?

Kleinschmit: Wenn Finnland als Beispiel für eine sehr ressourcenbasierte Bioökonomie gilt, Deutschland dagegen als sehr technisch orientiert, dann liegt Österreich in der Mitte. Die Waldwirtschaft ist hier ein starker Sektor mit vielen Akteuren, die bei der Entwicklung der Strategie auch stark einbezogen wurden – was ich gut finde. Österreich kann etwa beim Bauen mit Holz in positiver Weise aus der Tradition schöpfen. Die Menschen pilgern richtiggehend zu den Vorarlberger Holzbauten. Deutschland kann da sehr viel lernen. Dennoch muss man auch auf neues Denken drängen. Es wird neue Akteure und neue Märkte geben, entsprechende Netzwerke sind aber erst zu bilden. Dieser Strukturwandel muss begleitet werden.

STANDARD: Die Waldwirtschaft gilt bis heute als Männerdomäne. Erleben Sie, dass diese Strukturen langsam aufbrechen?

Kleinschmit: In Deutschland nimmt die Zahl der Waldbesitzerinnen deutlich zu. Im Management der Forstverbände spiegelt sich das aber noch kaum. Mehr als die Hälfte unserer Studierenden sind weiblich. In der forstberuflichen Praxis ist man dagegen längst nicht bei 50:50. Ob das daran liegt, dass Frauen zu wenig Chancen bekommen, oder ob sie andere Berufe, etwa in der Waldpädagogik oder Kommunikation, vorziehen, kann ich nicht sagen. (Alois Pumhösel, 25.10.2021)