So könnte die ausgestorbene Pflanzengattung Asteroxylon mackiei ausgesehen haben: Forschende rekonstruierten das Gewächs samt Wurzeln aus Fossilien.
Illustration: Matt Humpage

Es war ein Paukenschlag in der langen Erdgeschichte, als die ersten Pflanzen vor mehr als 460 Millionen Jahren den Schritt vom Wasser ans Land taten. Im Zuge ihrer Entwicklung festigten sie den Boden, veränderten die Atmosphäre, revolutionierten den Wasserkreislauf und schufen gänzlich neue Habitate.

Die Voraussetzung für diese weltverändernde Transformation war die Ausbildung von Wurzelstrukturen, mit denen die ersten terrestrischen Gewächse in den Uferbereichen von Flüssen und Seen Halt fanden. Was diesen Landgang auslöste, ist bis dato ungeklärt. Die Analyse von DNA-Sequenzen legt jedoch nahe, dass der Wechsel von einem Element zum anderen schlagartig auftrat.

Fest steht jedoch, dass für den Siegeszug der Pflanzen an Land eine besondere Partnerschaft zentral war: die Symbiose mit Mykorrhiza-Pilzen. Letztere ermöglichten es den Pionieren der Flora, Gestein aufzubrechen, Nährstoffe aufzunehmen, Humus als Nährboden zu bilden und dadurch eine völlig neue Nische zu schaffen und in dieser zu wurzeln.

"Man kann sich den Moment nicht gigantisch genug vorstellen", sagt Mathias Harzhauser vom Naturhistorischen Museum Wien (NHM). "Die Bildung von Symbiosen und Wurzeln war sicher eine der größten Revolutionen der Erdgeschichte, die letztlich auch unsere Existenz ermöglichte", so der Leiter der Abteilung für Geologie und Paläontologie des NHM.

Auferstehung der Fossilien

Licht in die mysteriöse Entstehung der pflanzlichen Bodenverankerung konnte nun ein internationales Forschungsteam unter Federführung des Gregor-Mendel-Instituts für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) bringen.

Wie die Analysen fossiler Pflanzen zeigten, bestanden die ersten Wurzelstrukturen aus feinen, hohlen Härchen, die sich in den Boden gruben, Nährstoffe extrahierten und Wasser zu den Pflanzen leiteten.

Ähnliche Härchen finden sich auch an der Oberfläche heutiger Wurzeln: "Lässt man einen Samen keimen, wird man an den Wurzeln feine Härchen entdecken, die dieselbe Funktion erfüllen wie die Härchen an der Unterseite jener Pflanzen, die vor mehr als 400 Millionen Jahren wuchsen", sagt Liam Dolan vom Gregor-Mendel-Institut.

Die ersten tatsächlichen Wurzeln seien dann in Fossilien feststellbar, die zwischen 407 und 420 Millionen Jahre alt sind. "Sie sind zylindrisch geformt, von Härchen bedeckt, weisen an ihren Spitzen schützende Kappen auf und gleichen im Aufbau nahezu allen heute existierenden Wurzeln", sagt der Paläobotaniker.

Um die Schritte vom ersten rudimentären Geflecht zu den ersten wahrhaftigen Wurzeln nachzuvollziehen, nutzte das Team um Dolan Fossilien der heute ausgestorbenen Pflanzengattung Asteroxylon mackiei und eine eigens entwickelte Rekonstruktionstechnologie.

Evolutionäres Experiment

Die 407 Millionen Jahre alten Funde aus dem schottischen Rhynie gelten als die ältesten bekannten Wurzeln und sind in glasartigem Hornstein konserviert. Aus einem mehrere Zentimeter großen Hornsteinblock fertigten die Forschenden Schnittfolgen an und fügte sie zu einem 3D-Bild zusammen. Zutage kam ein Gebilde aus blattartigen Strukturen und Sprossachsen mit gabelartigen Verzweigungen, das die Wissenschafter etwas perplex zurückließ.

Zwar zeigte sich, dass die Wurzeln entstanden, als eine triebartige Achse eine Gabel bildete, bei der ein Zinken seine Triebidentität beibehielt und der zweite eine Wurzelidentität entwickelte. Doch anders als erwartet wiesen die Wurzelachsen keinerlei Härchen oder Schutzkappen auf. "Entweder entwickelten sich diese Charakteristika erst später, oder es handelt sich bei dieser Art der Wurzel um ein evolutionäres Experiment, das in einer Sackgasse endete", schließt Dolan.

Sumpfwälder des Karbon

Trotz dieser offenen Frage förderten die Analysen auch gänzlich Neues zutage. So erkannten die Forschenden, dass die Entwicklung der Wurzeln von spezialisierten wurzel-produzierenden Organen ausging. Zwar funktioniere der Entwicklungsmechanismus heute gänzlich anders, doch finden sich diese Organe noch immer in einigen wenigen Pflanzen wie etwa dem Brachsenkraut. "Viele der riesigen Bäume, die vor 300 bis 400 Millionen Jahren die Sumpfwälder des Karbons formten, bildeten aber auf diese Weise Wurzeln aus", sagt der Forscher.

Von besonderem Interesse für die Wissenschaft sind die Sumpfwälder des Karbon aus zweierlei Gründen. Einerseits handelt es sich bei ihnen um die ersten komplexen Wälder, die ein breites Spektrum an Pflanzen und Baumtypen aufwiesen. Andererseits veränderten die gigantischen Forste, die sich von den heutigen Appalachen über Europa bis Schlesien spannten, das Weltklima drastisch.

"Während die Erhaltung der Wälder heute entscheidend ist, um den Anstieg des CO2-Gehalts zu stoppen, führte die Ausbreitung der ersten Wälder nicht nur zu einem Rückgang der atmosphärischen CO2-Werte, sondern auch zu einer Abkühlung der Erde", sagt Dolan.

Kollabierende Wälder

Das lag einerseits an Fotosynthese, andererseits an Wurzeln, die Silikatgestein aufbrachen und eine chemische Reaktion in Gang setzten, die weiteres CO2 aus der Atmosphäre zog. Für die Wälder selbst sei das ein Verlust gewesen, kommentiert Harzhauser: "Damit kippten die Wälder selbst das Klima und lösten auf der Südhalbkugel eine Eiszeit aus." In der Folge kollabierten die Forste und schufen Platz für die Entwicklung anderer Waldtypen.

Um vollends zu verstehen, wie dieser Einschnitt vonstattenging, gilt es, die Strukturen und das Wachstum der Wurzeln dieser Zeit zu ergründen. Forschungsobjekte für dieses Unterfangen finden sich hierzulande genügend. "Es gibt viele Fossilien aus Österreich, die aus der Zeit stammen, in der Wurzeln komplexere Strukturen ausbildeten", erklärt Dolan. Künftig soll die neu entwickelte Rekonstruktionstechnologie helfen, auch diesen Funden ihre evolutionären Geheimnisse zu entlocken. (Marlene Erhart, 22.10.2021)