Nordmazedonien, wo am Sonntag gewählt wurde, gilt derzeit als Musterschüler auf dem Balkan.

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Am Dienstag veröffentlichte die EU-Kommission die alljährlichen Länderberichte zu den sechs sogenannten Westbalkan-Staaten, also Albanien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien, Kosovo und Serbien. Seit dem Vorjahr hat sich am Gesamtbild wenig geändert. Nordmazedonien wird in praktisch allen Reformbereichen lobend hervorgehoben, während die Stellungnahme zu Bosnien-Herzegowina durchgehend negativ ausfällt.

In Albanien ist das Bild gemischt. Gelobt werden Reformen in Bereichen wie Asyl, Volkszählung und der Effizienz der Justiz. "Während des gesamten Berichtszeitraums konzentrierte sich die Regierung weiterhin auf Reformen, die für den Weg des Landes in die EU erforderlich sind, trotz der Herausforderung, die negativen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zu bewältigen", meinen die EU-Beamten. Im Bereich Meinungsfreiheit sieht die EU-Kommission allerdings keine Fortschritte. "Die Atmosphäre aus verbalen Angriffen, Hetzkampagnen und Einschüchterungsaktionen gegen Journalisten hat sich nicht verbessert", so die Analyse.

"Kein Fortschritt"

In dem Bericht zu Bosnien-Herzegowina wird in vielen Bereichen "kein Fortschritt" attestiert, etwa im Bereich der Rechtsstaatlichkeit. Die Vorschläge des deutschen Juristen Reinhard Priebe wurden demnach kaum aufgegriffen. "Anhaltende und offensichtliche Anzeichen einer Verschlechterung erfordern weiterhin dringende Maßnahmen, um die Integrität der Bürger zu stärken und das Vertrauen der Bürger in die Justiz zurückzugewinnen", schreiben die EU-Beamten. "Das mangelnde Engagement der politischen Akteure für die Justizreform und das schlechte Funktionieren des Justizsystems untergruben weiterhin die Rechte der Bürgerinnen und Bürger sowie die Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität."

Kritisiert wird von Brüssel auch die mangelnde Versammlungsfreiheit im Landesteil Republika Srpska, "wo Aktivisten eingeschüchtert und gerichtlich verfolgt wurden". Die Politik der Republika Srpska, genauer gesagt der "Widerstand gegen die landesweiten Reformen im Zusammenhang mit dem EU-Gemeinschaftsrecht" wird zur Sprache gebracht. Dieser habe die Einhaltung der EU-Beitrittskriterien durch das Land weiter verlangsamt.

Langsam, ineffizient, anfällig

Besser fällt das Urteil zum Reformwillen im Kosovo aus. Obschon das Justizsystem noch in einem frühen Stadium sei und die Rechtspflege "nach wie vor langsam, ineffizient und anfällig für unangemessenen politischen Einfluss", seien einige Fortschritte erzielt worden, etwa wurden eine Rechtsstaatsstrategie und ein Aktionsplan verabschiedet . Trotz der unternommenen Anstrengungen sei jedoch ein starker und kontinuierlicher politischer Wille erforderlich, um systemische Korruptionsrisiken wirksam zu bekämpfen. Was die Meinungsfreiheit anbelangt, so wird positiv das pluralistische und lebendige Medienumfeld hervorgehoben. Eingefordert werden ein konstruktives Engagement im Dialog mit Serbien und "weitere erhebliche Anstrengungen zur Umsetzung aller früheren Abkommen".

In Serbien wird das neu geschaffene Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte hervorgehoben, das den Dialog mit der Zivilgesellschaft verbesserte. Allerdings wird darauf verwiesen, das die verbalen Angriffe auf Vertreter der Zivilgesellschaft auch im Parlament anhielten. Als positiv wird der parteiübergreifende Dialog, der vom Europäischen Parlament begleitet wird, gesehen. Bezüglich des Justizsystems sieht die EU-Kommission "begrenzte Fortschritte". Ähnlich sieht man in Brüssel die Entwicklungen im Bereich der Meinungsfreiheit. "Die verbalen Angriffe hochrangiger Funktionäre gegen Journalisten gingen jedoch weiter, und Fälle von Drohungen und Gewalt geben weiterhin Anlass zur Sorge", heißt es da.

Mäßig vorbereitet

Die EU-Kommission sieht Serbien als mäßig auf den Wettbewerbsdruck und die Marktkräfte innerhalb der EU vorbereitet. Die Wirtschaftsstruktur verbesserte sich aber weiter, und die wirtschaftliche Integration in der EU blieb hoch. Im Bereich Außenbeziehungen kritisiert die EU, dass eine Reihe von Maßnahmen Serbiens den außenpolitischen Positionen der EU entgegenstehen.

Durchwachsen sieht auch die Situation in Montenegro aus. Die Verhandlungen mit der EU seien mit der neuen Regierung durch den Rücktritt oder die Entlassung von 110 Experten, darunter 16 Verhandlungsführer und 24 Arbeitsgruppenleiter, erheblich geschwächt worden. Die meisten dieser Schlüsselpositionen blieben bislang vakant. Einige wichtige Ministerien zeigten im EU-Beitrittsprozess unter ihrer neuen Führung zudem kein ausreichendes und konstruktives Engagement. Es bedürfe auch eines starken politischen Willens, um den öffentlichen Dienst effektiv zu entpolitisieren, die staatliche Verwaltung zu optimieren und Rechenschaftspflicht umzusetzen.

Beispiellose Drogenbeschlagnahmung

Im Bereich Justiz wurden keine Fortschritte erzielt, und die Umsetzung wichtiger Justizreformen stagniert. Schuld ist auch der Mangel an Postenbesetzungen, weil es im Parlament oft nicht die notwendigen Mehrheiten gibt. Trotz eines aktiven Ansatzes der Antikorruptionsbehörde bleibe auch Korruption in vielen Bereichen weit verbreitet und gäbe Anlass zur Sorge, meint man in Brüssel.

Gelobt wird die Arbeit im Kampf gegen die organisierte Kriminalität, insbesondere bei der Verbesserung des Zugangs der Strafverfolgungsbehörden zu wichtigen Datenbanken und der Erhöhung der Zahl der Ermittler und Experten in Schlüsselbereichen. Die Zahl der untersuchten und strafrechtlich verfolgten Fälle nähme zu, und die Zahl der vor Gericht verhandelten Fälle habe sich sogar fast verdreifacht. Die internationale polizeiliche Zusammenarbeit sei gut und führe zu beispiellosen Ergebnissen. So wurden im Sommer im Hafen von Bar 1,4 Tonnen Kokain beschlagnahmt.

Grüne Agenda

Gelobt wird auch, dass die grüne Agenda im Wirtschaftsreformprogramm Eingang gefunden hat – in der Regierung sind seit einem Jahr auch die Grünen vertreten. So sind die Bereiche Energie, Verkehrsentwicklung, Naturschutz und ein Klimaplan Teil der ökologischen Agenda.

Wie bereits in den Jahren zuvor ist auch im Jahr 2021 Nordmazedonien vergleichsweise am eifrigsten und weitesten fortgeschritten. Die dortige sozialdemokratische Regierung von Zoran Zaev unterhält beste Beziehungen zu den EU-Experten vor Ort, Kritik und Anmerkungen werden sofort aufgenommen und umgesetzt.

Gewaltschutzgesetz

Bei der Umsetzung der Justizreformstrategie wurden einige Fortschritte erzielt und etwa die Empfehlungen der Venedig-Kommission aufgegriffen. Das Gesetz zur Verhütung und zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt wurde mit parteiübergreifender Unterstützung verabschiedet. Bei Gender-Mainstreaming und Frauenrechten ist überhaupt eine Verbesserung zu verzeichnen, obwohl Frauen zu den am stärksten von der Pandemie betroffenen Gruppen zählen. Im Bereich der Meinungsfreiheit gab es nur begrenzte Fortschritte. Doch "der allgemeine Kontext begünstigt die Medienfreiheit und ermöglicht eine kritische Medienberichterstattung, obwohl es während der Covid-19-Krise zu erhöhten Spannungen gekommen ist", konstatiert man in Brüssel.

In Bezug auf die wirtschaftlichen Kriterien hat Nordmazedonien einige Fortschritte gemacht und befindet sich auf einem guten Stand der Vorbereitung auf die Entwicklung einer funktionierenden Marktwirtschaft, ist aber nur mäßig darauf vorbereitet, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten. Gleiches gilt für den Binnenmarkt, den freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, für geistiges Eigentum und Wettbewerbspolitik. Das Gesellschaftsrecht und die Umsetzung der Verpflichtungen innerhalb der Energiegemeinschaft werden hervorgehoben.

96 Prozent EU-Angleichung

Nordmazedonien ist auch geopolitisch auf EU-Kurs. "Das Land hat seine Angleichung an die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU auf 96 Prozent und seine Beteiligung an EU-Missionen und -Operationen zur Krisenbewältigung erhöht", lobt die Kommission. Der Haken ist nur: Weil das Nachbarland aus nationalistischen Gründen ein Veto eingelegt hat, kann das einzige Land, das derzeit reale Chancen auf einen EU-Beitritt hat, noch nicht einmal verhandeln. (Adelheid Wölfl, 19.10.2021)