"Bild" ist die auflagenstärkste Tageszeitung in Deutschland. Die verkaufte Auflage liegt bei 1,2 Millionen Exemplaren. Im August ist Bild-TV auf Sendung gegangen.

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Hat den Job bei "Bild" verloren: Julian Reichelt.

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Kommt von der "Welt am Sonntag" zu "Bild": Johannes Boie.

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Bei Bild tobte am Dienstag wieder die gewohnte Vielfalt. Von "Sektenkindern" konnte man lesen, vom RTL-Sommerhaus der Stars und einem "Lkw-Horror". Alles sehr bunt und ausführlich.

Eher dürr hingegen war eine Mitteilung in eigener Sache: "Axel Springer hat Julian Reichelt (41) als Folge von Presserecherchen von seinen Aufgaben als BILD-Chefredakteur entbunden." Im Nachgang gab es noch Rosen, die sich eher wie Röschen ausnahmen: "Julian Reichelt hat BILD journalistisch hervorragend entwickelt und mit ‚Bild Live‘ die Marke zukunftsfähig gemacht."

Mehr hatte der Springer-Verlag zum spektakulärsten Rauswurf in der deutschen Medienbranche seit Jahren nicht zu sagen. Zu den Vorwürfen, Reichelt habe seine Machtposition für Affären mit abhängigen, jüngeren Frauen am Arbeitsplatz ausgenutzt, fand sich kein Wort. Doch andere reden jetzt umso mehr.

Seinen Job war Reichelt ja zunächst nach einer Story in der New York Times losgeworden. Vorwürfe zu Sex, Lügen und einer Geheimzahlung bei Axel Springer, Politicos neuem Besitzer, lautete der Titel, und schon der dürfte dem Vorstandschef und Großaktionär des Springer-Verlags, Matthias Döpfner, nicht gefallen haben.

Portal "Politico" gekauft

Springer setzt auf Expansion in den USA und kaufte vor kurzem das angesehene Portal Politico. An Business Insider hält der Springer-Verlag 97 Prozent, eine MeToo-Debatte im deutschen Flaggschiff des Konzerns kann Döpfner also nicht brauchen.

An der Reichelt-Story war aber nicht nur die New York Times dran, sondern auch der Spiegel und das Investigativteam der Ippen-Gruppe (Frankfurter Rundschau, Münchner Merkur, Buzzfeed). Nachdem Verleger Dirk Ippen die Veröffentlichung kurz vor Erscheinen persönlich gestoppt hatte, publizierte spiegel.de nun seine Recherchen gemeinsam mit dem Ippen-Team unter dem Titel Warum Julian Reichelt gehen musste.

Gezeichnet wird kein schönes Bild. "Noch wach?" habe der nun Ex-Bild-Chefredakteur einer jungen Kollegin geschrieben. Und: "Ich will deinen Körper spüren." Die Nachrichten seien in der Nacht gekommen oder auch mitten aus der Redaktionssitzung.

Hunderte Nachrichten und Dokumente gesichert

Man habe mit einem "halben Dutzend Frauen, die im Zuge des Compliance-Verfahrens befragt worden waren, sowie mit Vertrauten dieser Frauen" gesprochen, hunderte Nachrichten und Dokumente gesichert, schreibt der Spiegel.

Daraus habe sich folgende Vorgehensweise bei Reichelt nachzeichnen lassen: "Er lobte sie (die jungen Kolleginnen, Anm.) für ihre Arbeit, vertraute ihnen verantwortungsvolle Aufgaben an oder hievte sie in Positionen, für die sie – teils auch nach ihrem eigenen Ermessen – nicht geeignet waren."

Reichelt habe eine Betroffene aufgefordert, ihren Nachrichtenverlauf zu löschen. Denn wenn jemand herausbekomme, dass da was laufe, hätten sie "ganz großen Ärger". Die Frau habe Reichelt zum Sex in Hotels nahe des Springer-Verlags getroffen. Zwar sei dies einvernehmlich geschehen, aber der Druck und das Getuschel der Kollegen habe der Kollegin so zugesetzt, dass sie zur psychiatrischen Behandlung in eine Klinik gegangen und für einige Wochen krankgeschrieben worden sei.

Zahlung von 5000 Euro

Die New York Times berichtet, der damals 36-jährige Reichelt habe auch eine einmalige Zahlung von 5000 Euro an die damals 25-Jährige gutgeheißen, aber Stillschweigen verlangt. Zudem liegt der Zeitung ein gefälschtes Scheidungspapier von Reichelt vor, das die Compliance-Abteilung von Springer erhalten hatte. Dort war das Verhalten Reichelts ja schon im Frühjahr geprüft worden.

Doch der Bild-Chefredakteur konnte schon nach kurzer Auszeit wieder in sein Büro zurückkehren. Vorstandschef Döpfner wollte nicht auf ihn verzichten.

Nun jedoch übernimmt ein Neuer die Bild-Chefredaktion, der in der Branche von vielen als "Anti-Reichelt" gesehen wird: Johannes Boie (37), bisher Chefredakteur von Springers Welt am Sonntag. Er arbeitete früher für die Süddeutsche Zeitung und war zwei Jahre lang Chief of Staff bei Döpfner.

Zuletzt hat er in einem Kommentar geschrieben: "Was in Schwerin und Berlin passiert, ist geschichtsvergessen." Er kritisierte darin die geplante Beteiligung der Linken, "die rechtsidentisch mit der SED ist", an den Landesregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern.

Das dürfte auch in Döpfners Sinne sein. Sowohl der Spiegel als auch die NYT zitieren in ihren Berichten aus einer Nachricht Döpfners an den Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre. In dieser schreibt er über Reichelt, als dieser die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung kritisierte: "Er ist halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt. Fast alle anderen sind zu Propaganda-Assistenten geworden."

Mit Propaganda-Assistenten meint Döpfner dann wohl auch seine Kolleginnen und Kollegen in der Branche. Er ist Vorsitzender des Bundesverbands der Digitalpublisher und Zeitungsverleger. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier schrieb auf Twitter: "Es ist eine Schande für die deutschen Zeitungsverlage, dass jemand wie Döpfner ihr oberster Repräsentant ist." (Birgit Baumann, 19.10.2021)