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"Nichts sollte mit der NS-Zeit positiv in Verbindung gebracht werden." Jakob Schubert, vierfacher Weltmeister.

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"Der Großteil der Kletterszene hält die Diskussion für völlig überzogen." Thomas Behm, Kletterführer-Autor.

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Keltenkalk IV, Seite 359, beschrieben wird das PC-Wandl in der Nähe von Grünbach am Schneeberg, elf kurze Sportkletterrouten "mit boulderartigem Charakter", die meisten 2013 von Thomas Behm erstbegangen. Als Erstbegeher hatte Behm das Recht, die Routen zu benennen, und doch kommen sie in Keltenkalk IV, dem kürzlich erschienenen 500 Seiten starken Kletterführer mit 5.000 Routen in Ostösterreich, namenlos daher. Dabei hat Behm die Routen sehr wohl benannt, wie sein etwas älterer, etwas dünnerer Kletterführer Fischauer Berge belegt. Da heißen die Routen "Großer Brauner", "Kleiner Schwarzer", Schwarzer Afghane", "Negerbrot", "Negerkuss", "Mohr im Hemd", "Mohrenbräu", "Zigeunerschnitzel".

Der Schluss liegt nahe, dass sich der Erstbegeher über PC (Political Correctness) lustig macht. Behm steht seit Jahren in der Kritik. Das Forum bergsteigen.at stieß bereits 2010 eine Diskussion an, die von Presse, Falter und ZiB 2 aufgegriffen wurde. Schon da gab es Berichte über Kletterrouten in Ostösterreich, die etwa unter "Walkürenritt", "Riefenstahl", "Besatzerfraß", "Kristalltag", "Swastikaar", "Heil der Eiche" oder "Ewiges Reich" firmierten. Später kamen, wie der STANDARD bereits berichtete, Namen wie "Greta Dummberg" hinzu, so hatte Behm vor drei Jahren die Route 1 im Klettergarten Bad Fischau getauft. Nun sagt dieser Name wahrscheinlich einiges über den Sänger und garantiert gar nichts über die Besungene aus, dennoch fragten sich immer mehr ostösterreichische Kletterfreaks: Muss das wirklich sein?

In der vierten Keltenkalk-Ausgabe ist "Greta Dummberg" zur Route "Greta Thunfisch" mutiert, da halten sich Humor und Kreativität jedenfalls die Waage. Auch etliche Routen oder ihre ursprünglichen Namen mit NS- und/oder Rassismusbezug wurden umbenannt oder ausgeklammert. Das dürfte auf eine Kraftanstrengung der großen Institutionen Alpenverein und Naturfreunde zurückzuführen sein. Diese machten, da sich Beschwerden gehäuft hatten, schon vor Monaten gegen Behm mobil.

Ideologie und Ärger

Die Naturfreunde mit ihrem Vorsitzenden Andreas Schieder sprachen sich "klar gegen rechte Ideologie im Klettersport" aus. Auch der Alpenverein appellierte "an die Namensgeber, derartige Routenbezeichnungen unverzüglich zu ändern", und hielt fest: "Einige Neubenennungen der letzten Jahre im alten Stil sorgen bei vielen Kletterern für Zorn." Im Verlauf der Diskussion 2010 hatte sich Behm von der NS-Ideologie distanziert und gemeint, er habe sich von gewissen Musikrichtungen inspirieren lassen und halt "einen ironischen Blickwinkel" auf die Tagespolitik.

Nun hat der Alpenverein Behm die Unterstützung, auch mit Material, beim Anlegen von Routen entzogen und legt Behms Führer nicht mehr auf. Daran haben auch die Umbenennungen nichts geändert. "Ich schätze, es werden 20 bis 25 geänderte Namen sein", erklärt Behm auf Anfrage. Und: "Viele Namen gab es ja schon vorher auch nicht mehr." Die Diskussion sei "mittlerweile völlig überzogen".

DER STANDARD hat zu dem Thema auch mit dem Tiroler Weltklassekletterer Jakob Schubert gesprochen. Der Olympiadritte und vierfache Weltmeister zählt auch am Fels zum absoluten Nonplusultra. "Es gibt nichts", sagt Schubert, "das mit der NS-Zeit positiv in Verbindung gebracht werden sollte." Dass jemand Diesbezügliches andeuten oder darauf anspielen wolle, kann er nicht verstehen. Er selbst hat einige wenige Routen erstbegangen, sie heißen "Synergieeffekt" (mit Heiko Wilhelm), "Kein Licht, kein Schatten" oder "Companion of Change". Für Schubert ist klar: "Wenn der Routenname jemanden kränkt, ist es kein guter Name."

Ungeschriebenes Gesetz

Behm oder auch Ostösterreich haben natürlich kein Monopol. Laut der deutschen Zeitung TAZ, die sich kürzlich dem Thema widmete, umfasst die "Liste mit problematischen Namen" weltweit etwa 2.000 Routen. In Bayern gibt es ein Klettergebiet namens "Bimboland", in Südaustralien Routen wie "Rape and Carnage" (Vergewaltigung und Massaker), im Rogaland in Norwegen die Tour "Zyklon B". In all diesen Fällen in all diesen Ländern wird über Umbenennungen diskutiert, allerdings ist das Namensgebungsrecht der (fast immer männlichen) Erstbegehenden beinah heilig. Allein in der Schweiz publiziert der Alpen-Club (SAC) die Routennamen – übrigens ohne dass regelmäßig Geschrei über Zensur zu hören wäre.

Andreas Ermacora, Präsident des Alpenvereins und Rechtsanwalt in Innsbruck, sagt dem STANDARD: "Wir können Erstbegehern die Benennung nicht verbieten. Wir können nur versuchen, solchen Menschen klarzumachen, dass das, was ihnen vielleicht lustig erscheint, einer ganz großen Mehrheit gegen den Strich geht. Wir werden sicher nicht über einzelne Bezeichnungen diskutieren oder gar zu feilschen beginnen. Doch wir können uns distanzieren und Maßnahmen setzen, damit Menschen wie Herr Behm vielleicht das Gefühl bekommen, sie stehen allein da."

Dass Thomas Behm dieses Gefühl bekommen könnte, erscheint unwahrscheinlich. "Der Großteil der Kletterszene hält die Diskussion mittlerweile für völlig überzogen", meint er. Laut Alpenverein wollte man mit Behm bereden, wie ähnliche Diskussionen künftig zu verhindern wären. Behm habe die Einladung zum Gespräch ausgeschlagen. Er selbst sieht es so, dass man ihm und den Mitautoren Vorschriften bezüglich Routennamen machen wollte. Er fühlte sich dadurch "an noch nicht so lange vergangene autoritäre Regime erinnert" und wünscht sich, da "kritische Bezeichnungen" ja sehr wohl "eigenverantwortlich" verändert wurden, "eine Entschuldigung seitens des Alpenvereins und der Naturfreunde ob dieser Vorverurteilung".

Fleiß und Sexismus

Behm (Jahrgang 1971), der auch mit FPÖ-Chef Herbert Kickl schon Seilpartnerschaften bildete, würde den Blickwinkel gern "auf die immense Arbeit lenken, die beim Routenerschließen und Kletterführerschreiben zu leisten ist". Er habe binnen dreißig Jahren gut tausend Neurouten erschlossen. Er besteht darauf, nicht mit der Route "Futlochwand" in Verbindung gebracht zu werden ("nicht von mir"), hat aber sehr wohl die Route "Futlapperl" (Schrattenstein) kreiert. Sexistische Routennamen, das wäre sowieso eine eigene Story.

Auch ein Bericht, den er für Freilich – Das Magazin für Selbstdenker verfasst hat, macht klar, dass sich Thomas Behm ungerecht behandelt fühlt. Da ortet er einen "Skandal um Ironie und Meinungsfreiheit" und schreibt: "Der Berg ist längst nicht frei." Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) sieht Freilich als Nachfolgerin des Aula-Magazins, des "Flaggschiffs der österreichischen extremen Rechten".

Das DÖW hat Behm kürzlich wegen Wiederbetätigung angezeigt. Mag sein, dass die Behörden beim Ermitteln dann auch auf die Odal-Rune stoßen, ein Hitlerjugend-Symbol, das Behm schon mal in eine Routenbeschreibung (Hochschwab/Schwobngeist) einbaut. Dass er 2019 eine seiner Routen "Dokumentationsarchiv des österr. Würstlstandes" genannt hat, überrascht dann schon gar nicht mehr. (Fritz Neumann, 20.10.2021)