APA / BKA / Florian Schroetter

Der Bundespräsident stellte sich ebenso ein wie der Bundeskanzler und der Sozialminister: Wenn der Österreichische Seniorenrat wie diesen Mittwoch seine Vollversammlung abhält, darf die Staatsspitze nicht fehlen. Nach Hause gingen die Politiker mit einigen Aufträgen im Gepäck. Die Pensionistenlobby, die einen immer größeren Teil der Bevölkerung repräsentiert, deponierte Wünsche: Eine große Pflegereform wird ebenso vermisst wie die Regelung der Sterbehilfe oder der von Sebastian Kurz versprochene "Pakt gegen die Einsamkeit".

Doch der Ruf nach Reformen ertönt auch vice versa. Pünktlich zum Event flammte eine Debatte um das Pensionssystem auf. Einmal mehr im Fokus: die hohen Kosten.

Frage: Akteure wie die Neos oder die wirtschaftsliberale Agenda Austria monieren ein "Pensionsloch". Was ist damit gemeint?

Antwort: Im heimischen Umlagenverfahren zahlen die Erwerbstätigen mit ihren Versicherungsbeiträgen die laufenden Bezüge der Pensionisten. Vom Einkommen werden dafür 22,8 Prozent abgezwackt, wobei 12,55 Prozent formell auf die Arbeitgeber entfallen. Doch die Beiträge reichen nicht aus, um alle Pensionen in der gesetzlich gewährleisteten Höhe auszahlen zu können. Laut Alterssicherungskommission werden in der Pensionsversicherung (ohne Beamte) dadurch nur etwa drei Viertel der Ausgaben abgedeckt. Die Differenz zu den tatsächlichen Kosten ist das, was mit dem "Pensionsloch" gemeint ist.

Frage: Die Pensionen werden aber trotzdem ausbezahlt. Wer füllt dieses "Loch" denn auf?

Antwort: Der Staat mit Steuergeld. Im kommenden Jahr soll das 12,5 Milliarden Euro kosten, dazu kommen noch 10,7 Milliarden für die Beamtenpensionen. Das sind etwa 23 Prozent des gesamten Bundesbudgets. Und: Der Zuschuss wird laut allen Prognosen steigen.

Frage: Warum?

Antwort: Das liegt vor allem an der demografischen Entwicklung. Erstens steigt die Lebenserwartung rapide, zweitens kommen besonders geburtenstarke Jahrgänge – die sogenannte Babyboomer-Generation – allmählich ins Pensionsalter. Laut Statistik Austria wird die Bevölkerung über 65 Jahre bis 2060 um mehr als eine Million anwachsen, während die Gruppe der 20- bis 65-Jährigen voraussichtlich schrumpft. Das bedeutet: Immer weniger Bürger im Erwerbsalter müssen mit ihren Versicherungsbeiträgen die Leistungen der immer zahlreicheren älteren Menschen finanzieren.

Frage: Dann ist es also gerechtfertigt, von einem "Pensionsloch" zu sprechen?

Antwort: Das sehen jene Kritiker so, die wegen der hohen Kosten nach einer Pensionsreform rufen. Seniorenvertreter hingegen halten dieses Schlagwort, das natürlich eine negative Schlagseite hat, für einen Kampfbegriff. Es sei nichts Verwerfliches daran, wenn ein Teil der Pensionsausgaben mit Steuergeld statt mit Beiträgen bestritten werde, lautet der Einwand: So oder so bezahlen in letzter Konsequenz die Bürger. Bei der Konzeption des Pensionssystems sei es vorgesehen gewesen, dass bis zu einem Drittel der Altersversorgung von staatlichen Zuschüssen gespeist werden könne, behauptet der sozialdemokratische Pensionistenchef Peter Kostelka. Festgeschrieben ist das im Gesetz aber nicht.

Frage: Kommen Einwände nur von den Seniorenvertretern?

Antwort: Nein. Christine Mayrhuber vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) hält es für geradezu "absurd", von einem "Pensionsloch" zu sprechen. Diese grobe Vereinfachung unterschlage, dass mit den Pensionsausgaben nicht nur die Altersversorgung im engeren Sinn, sondern auch "gesamtgesellschaftliche Aufgaben" bestritten würden. So schreibt der Staat für bis zur vier Jahre, die wegen Kindererziehung nicht gearbeitet werden, Beiträge gut – damit Eltern nicht noch größere Pensionseinbußen drohen als ohnehin schon. Kompensation gibt es auch für Wehr- und Zivildienst. Die Finanzierung der Hinterbliebenenpensionen und der Ausgleichszulage, eine Art Mindestpension, seien soziale Maßnahmen, sagt Mayrhuber, mit der Invaliditätspension würden gesundheitspolitische Ziele verfolgt. Nicht ohne Grund werde sie in Schweden, das oft als Vorbild gehandelt wird, von der Krankenversicherung bezahlt.

Würden den einzelnen Bürgern nur so hohe Pensionen ausgezahlt, wie die entrichten Beiträge hergeben, existierten all diese Leistungen nicht.

Frage: Alles in allem: Wie stark droht der Zuschuss ins Pensionssystem zu steigen?

Antwort: Statt in Milliarden zu rechnen, ist es aussagekräftiger, die Kosten ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung zu setzen. Laut der Prognose des heuer erschienenen Ageing Report der EU sollen die Ausgaben für die heimischen Pensionen insgesamt (inklusive Beamten) bereits in naher Zukunft beträchtlich steigen – von rund vier Prozent derzeit auf 6,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2035. Das Szenario hat sich damit deutlich verschlechtert. In der Prognose von 2018 fiel der Anstieg moderater aus (siehe Grafik).

Frage: Wie haltbar sind solche Voraussagen?

Antwort: Natürlich gibt es da großer Unsicherheiten. Eine Wirtschaftskrise kann die Beschäftigung und damit die Beitragszahlungen einbrechen lassen, ein Boom löst das Gegenteil aus. In der Vergangenheit hat sich manch negativer Ausblick nicht bewahrheitet, darauf bauen Pensionistenvertreter auch jetzt. Die Neos hingegen halten selbst die EU-Prognose noch für zu optimistisch und verweisen auf den jüngsten Bundesrechnungsabschluss des Rechnungshofs: Anders als im Ageing Report sollen die Kosten demnach auch nach 2035 weiter steigen. Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker vermutet, dass die Regierung geschönte Zahlen nach Brüssel liefern könnte, und würde die Prognose gerne völlig in der Hand der EU-Kommission sehen.

Frage: Welcher Anstieg ist verkraftbar?

Antwort: Das ist eine Frage der Prioritäten: Möchte der Staat keine neuen Geldquellen anzapfen, muss er auf andere Ausgaben verzichten. Kritiker warnen, dass die Pensionskosten jeden Spielraum für Investitionen oder Steuersenkungen auffressen würden. Die Gegenseite hält den Anstieg für verkraftbar: Wenn Pensionisten einen immer größeren Anteil an der Bevölkerung ausmachen, sei es logisch und gerechtfertigt, für die Pensionen auch etwas mehr Geld auszugeben. (Gerald John, 20.10.2021)