In wenigen Tagen jährt sich der Terroranschlag von Wien zum ersten Mal.

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Fast ein Jahr ist es nun her, dass der Wiener Attentäter vier Menschen erschoss und viele weitere verletzte. Genauso lang, nämlich seit der Nacht des 2. Novembers, laufen die Ermittlungen "auf Hochtouren", wie die Behörden am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mitteilten.

Polizei-Chefermittler Michael Lohnegger und Staatsanwältin Nina Bussek lieferten einen Überblick über den Zwischenstand der bisherigen Ermittlungsergebnisse – wobei man aus ermittlungstaktischen Gründen nicht über alles öffentlich sprechen könne, wie Lohnegger betonte. Was man jedoch sagen könne: Seit der Terrornacht wurden 20 Festnahmeanordnungen, 150 Telefonüberwachungen, dutzende Hausdurchsuchungen und 25 akustische und optische Überwachungen durchgeführt. Zusammenarbeit gab es dabei auch auf internationaler Ebene: etwa mit deutschen, schweizerischen, belgischen oder slowenischen Kollegen.

Mit Letzteren hatten die Ermittler vermutlich vor allem im Falle Marsel O.s zu tun, eines Slowenen, der in die Beschaffung von Waffen und Munition für den Attentäter involviert gewesen sein soll. Er ist einer von vier Personen, die mit dem Waffenkauf zu tun gehabt haben sollen – aber der Einzige, der sich noch auf freiem Fuß befindet. O. soll laut STANDARD-Informationen den späteren Attentäter noch wenige Wochen vor dem Anschlag persönlich getroffen haben.

Vermittlung

Das sagt zumindest der Tschetschene Adam M. aus, der die Übergaben der Kalaschnikow im Juni 2020 und der Munition wenige Wochen vor dem Attentat abgewickelt haben soll. M. sieht sich aber nur als Vermittler, sein Partner Marsel O. sei der wahre Waffenverkäufer. Dieser stritt das gegenüber den slowenischen Behörden bisher alles ab.

Auf Nachfrage, wieso sich der Mann weder in Österreich noch Slowenien in Untersuchungshaft befindet, gibt die Staatsanwaltschaft an, dass die Voraussetzungen für eine Festnahme nicht vorlägen. Man habe nicht feststellen können, "dass er in Kenntnis darüber war, dass der Käufer ein Attentat geplant hat".

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So richtig trauen die österreichischen Behörden Marsel O. aber offenbar nicht. Durch eine Europäische Ermittlungsanordnung lässt man ihn von einem slowenischen Gericht vernehmen. Inzwischen wurden von den slowenischen Kollegen außerdem die Handydaten des Verdächtigen an die Staatsanwaltschaft Wien übergeben, auch ein DNA-Abstrich wurde beantragt. Das Ergebnis ist noch nicht bekannt.

Der Anwalt von O. spricht davon, dass lediglich M. seinen Mandanten belasten wolle. Dass es noch keine Festnahmeanordnung gibt, sei für ihn ein Indiz, dass beim DNA-Test nichts rausgekommen sei. Bleiben noch drei andere Beschuldigte, von denen sich zwei in U-Haft und einer in Strafhaft befinden. Letztgenannter allerdings wegen Suchtgiftdelikten. Bei den beiden Männern in U-Haft handelt es sich um einen Jugendfreund des Täters und um jenen Mann, der den Slowenen O. belastet.

Insgesamt wird gegen 30 Personen ermittelt, die man in engerem Zusammenhang mit dem Terroranschlag bzw. Vorbereitungshandlungen dafür sieht. Sieben davon befinden sich aktuell noch in Untersuchungshaft. Den Beschuldigten wird zum Teil vorgeworfen, den Attentäter im Vorfeld mental unterstützt zu haben, etwa indem sie ihn in seinen Plänen bestärkt haben. Die Strafandrohung beträgt in diesen Fällen zehn bis zwanzig Jahre oder lebenslange Haft. Niemandem davon wird angelastet, in der Tatnacht selbst dabei gewesen zu sein.

Einzeltätertheorie

Denn was mittlerweile klar sei, meint Bussek: Die sogenannte Einzeltätertheorie habe sich bestätigt. "Wir gehen davon aus, dass der Attentäter in der Nacht alleine tätig war, alleine gehandelt hat und keine Mittäter hatte."

Lange ungeklärt war bekanntlich, wie der Attentäter an den Anschlagsort gekommen ist. Zwischenzeitlich stand im Raum, dass ihn der mutmaßlich engste Komplize zum Tatort fuhr, nun ist man aber sicher, dass er zu Fuß kam – Hunde hätten das erschnüffelt.

Neben den Hauptbeschuldigten haben die Ermittlungen, salopp formuliert, auch einige "Nebenprodukte" hervorgebracht. So konnten mehrere Personen ausgeforscht werden, die dem IS zugerechnet werden oder denen vorgeworfen wird, in Verbindung zu einem Terrornetzwerk zu stehen. Sie sollen etwa Propagandamaterial vertrieben haben. Drei dieser Beschuldigten wurden bereits angeklagt, zwei verurteilt, in einem Fall steht die Hauptverhandlung noch aus.

Einen Großteil ihrer Zeit verbrachten die Ermittler vor dem Bildschirm: So seien insgesamt 1900 Stunden Videomaterial analysiert worden und 15 Terabyte an sonstigem Datenmaterial ausgewertet worden, berichtete Lohnegger.

Flächenmäßig sei der Tatort des Anschlags der größte, mit dem man in Wien je konfrontiert gewesen sei. Mittels Lasertechnologie habe er sich aber originalgetreu rekonstruieren lassen.

Chefermittler Michael Lohnegger und Staatsanwältin Nina Bussek präsentierten am Donnerstag einen Zwischenstand der Ermittlungen zum Terroranschlag vom 2. November 2020. (elas, fsc, jan, jop, van, 20.10.2021)