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Jens Weidmann war seit Mai 2011 an der Spitze der Deutschen Bundesbank.

Foto: Reuters / Ralph Orlowski

In Berlin war man überrascht, als Bundesbankchef Jens Weidmann den deutschen Bundespräsidenten per Brief um seine Entlassung bat. Ende des Jahres will sich der Volkswirt von der Spitze der deutschen Notenbank zurückziehen. Aus persönlichen Erwägungen, wie er in einem Brief an die Mitarbeiter der Institution schreibt: "Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich." Im Mai 2019 war Weidmanns Mandat erneuert worden – bis 2027.

Der Rückzug habe nichts mit der Bundestagswahl zu tun, berichtet das "Handelsblatt" mit Verweis auf wohlinformierte Insider. Weidmann habe den Schritt schon länger erwogen, auch aus Unzufriedenheit mit dem Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB). Nicht nur hatte er bei der Kür des Nachfolgers von Ex-EZB-Chef Mario Draghi gegenüber der Französin Christine Lagarde den Kürzeren gezogen. Weidmann fühlte sich mit seinem ordnungspolitischen Ansatz im EZB-Rat strukturell in der Minderheit.

Unzufrieden

Der Notenbanker hat in der Vergangenheit immer wieder durchscheinen lassen, dass er einen geldpolitischen Kurs streng innerhalb des Korsetts des Mandats der EZB präferiert. Die Institution sei dafür da, für Geldwertstabilität zu sorgen, nicht etwa, um Klimaschutz zu betreiben. Und auch nicht, um Staaten zu finanzieren. Sorge bereitet dem promovierten Volkswirt etwa das Corona-Notfall-Programm (PEPP). Es läuft bis März und gibt der EZB große Flexibilität beim Kauf von Staatsanleihen. Sollte es verlängert werden, wäre das laut Weidmann ein ordnungspolitisches Problem.

Es sei ihm wichtig gewesen, dass "die klare, stabilitätsorientierte Stimme der Bundesbank deutlich hörbar bleibt". Insgesamt habe sich das Verhältnis von Bundesbank und EZB unter Weidmanns Ägide allerdings entspannt, sagen Beobachter. Sein Vorgänger Axel Weber, dem Weidmann im Mai 2011 mit 43 Jahren nachgefolgt war, hatte einst im Streit um die Krisenpolitik der EZB das Handtuch geworfen.

Warnung vor Inflation

Weidmann warnte zum Abschied vor Inflation: Es gelte, "nicht einseitig auf Deflationsrisiken zu schauen, sondern auch perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren". Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik werde zudem dauerhaft nur möglich sein, wenn der Ordnungsrahmen der Währungsunion weiterhin die Einheit von Handeln und Haften sichere, die Geldpolitik ihr enges Mandat achte und nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte gerate: "Dies bleibt meine feste persönliche Überzeugung – genauso wie die hohe Bedeutung der Unabhängigkeit der Geldpolitik."

Wer Weidmann nachfolgt, ist offen. Das Prozedere: Der Bundespräsident ernennt den Chef der Bundesbank auf Vorschlag der Bundesregierung. Noch ist die große Koalition unter Angela Merkel (CDU) im Amt, aber SPD, Grüne und FDP verhandeln bereits eine Ampelkoalition. Als wahrscheinlich gilt deshalb eine Personalie mit weniger konservativem Profil als Weidmann, der vor seiner Ernennung zum Bundesbankchef Berater der Kanzlerin war. Denkbar als Nachfolgerin ist beispielsweise Isabel Schnabel, die im Direktorium der EZB sitzt und der EZB-Chefin in geldpolitischen Fragen etwas näher steht.

Lindner will Kurswechsel verhindern

FDP-Chef Christian Lindner will einen Kurswechsel der Bundesbank allerdings verhindern. "Mit einem Wechsel an der Spitze der Deutschen Bundesbank darf keine Änderung des politischen Kurses verbunden werden. Die Deutsche Bundesbank muss weiter Anwältin einer stabilitätsorientierten Geldpolitik in Europa sein", sagte Lindner, der als künftiger Bundesfinanzminister gehandelt wird, am Mittwoch in Berlin. Nun gehe es darum, die Neuaufstellung in den nächsten Wochen und Monaten zu besprechen.

Wen sich Lindner als Nachfolger oder Nachfolgerin wünscht, sagte er nicht. Die Ampelkoalition soll laut SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz vor Weihnachten stehen.

EZB-Chefin Lagarde sagte, sie respektiere und bedaure Weidmanns Rückzug – dieser sei auch ein guter persönlicher Freund. (Reuters, luis, 20.10.2021)