Liebe verzehrt mich zu mir; ich errege und leide die Flamme.
Was tun? Soll ich flehn? Mich anflehen lassen? Um was dann?
Was ich begehre, ist mein. Zum Darbenden macht mich der Reichtum.
(Ovid, Metamorphosen, 3,464–466)

Die Schlüsselstelle in den "Metamorphosen" des Ovid, als Narcissus sein Spiegelbild im Wasser des locus amoenus, eines lieblichen Ortes, erkennt und letztendlich an der unerfüllbaren Liebe zu sich selbst stirbt, wirkt bis heute in der Kunst nach.

Narcissus, Michelangelo Merisi, detto il Caravaggio (1571–1610), Galleria Nazionale d'Arte Antica, Roma.
Foto: The Yorck Project, 10.000 Meisterwerke der Malerei, Gemeinfrei

Narzisstische Persönlichkeiten prägen leider auch in diesen Tagen Politik, Wirtschaft und selbst Wissenschaft. Social Media geben ihnen ein breites Forum, ihre oft destruktive Selbstverliebtheit und Selbstinszenierung auszuleben. Die sozialen Medien der römischen Zeit waren gegebener Maßen anderer Natur: Kaiserliche Propaganda, Bild- und Bauprogramme beherrschten den Alltag. Münzbilder erwiesen sich – vergleichbar mit Twitter – als ein beliebtes schnelllebiges Medium zur Selbstdarstellung und selbst Waffen wurden mit Allegorien des Sieges sowie der Weisheit des Kaisers versehen. Lassen sie uns einen Präzedenzfall aus dem heutigen Österreich, dem römischen Noricum, diskutieren, ein letztendlich irrationales und auch, um es vorwegzunehmen, gescheitertes kaiserliches Repräsentationsvorhaben.

Die Vorgeschichte

Wir schreiben das Jahr 170 n. Chr., das römische Reich wird von den Germanen bedroht, die, die Donaugrenze bei Carnuntum überquerend, entlang der Bernsteinstraße bis Oberitalien vorstoßen. Als Prävention werden 165/166 n. Chr. unter dem Kaiser Marcus Aurelius in Aquileia zwei neue Legionen ausgehoben, welche man an der Donau, in Regensburg (Bayern, Deutschland) und in Enns (Oberösterreich) stationiert. Der Grundriss des Lagers der legio II Italica in Enns lässt erahnen, dass es nur als Provisorium geplant war: anders als zum Beispiel das "normale" Legionslager in Regensburg ist es nicht rechteckig, sondern hat den Umriss eines an den Verlauf der Flüsse und die Topographie angepassten Parallelogramms, wie bei sogenannten temporären Lagern oder Marschlagern.

Wahrscheinlich sollte der Truppenstützpunkt nur als kurzfristige Einrichtung dienen, von dem aus man einen Feldzug gegen die Germanen nach Norden über die Donau durchführen wollte. Der Grundriss evozierte nämlich, dass alle Innenbauten (Badeanlagen, Krankenhaus, Unterkünfte, Verwaltungsgebäude) auch nicht rechteckig, sondern leicht verzerrt waren. Eine befremdend schwierige architektonische Aufgabe. Doch dieses "Provisorium" überdauerte (man möchte beinahe, der Geschichte vorausgreifend, an ein österreichisches Schicksal denken), der Feldzug gegen die Germanen fand andernorts statt und die Legion richtete sich für über 300 Jahr in ihrem "schrägen" Lager ein.

Die Grundrisse der beiden Legionslager in Enns und Albing.
Foto: ÖAW/ÖAI, S. Groh

Der Kaiser und sein Antrieb

Es bedurfte eines Kaisers und Feldherren, der selbst in seiner Zeit den Ruf hatte, äußerst skrupellos und brutal gegen Andersdenkende und potentielle Kontrahenten vorzugehen, um diesen Status quo zu ändern. Caracalla (Alleinregierung 211–217 n. Chr.), der Sohn und Mitregent des Septimius Severus, schaffte nach Ableben des Vaters zuerst seinen Bruder Geta beiseite und ließ zahlreiche seiner Anhänger (man spricht von über 20.000) hinrichten. Oppositionelle und Andersdenkende wurden mit kollektiven Strafmaßnahmen verfolgt und dezimiert, denen auch Unbeteiligte zum Opfer fielen. In Rom etablierte sich ein Spitzelsystem aus Soldaten. Der Kaiser war nämlich beim Militär äußerst beliebt, da er es mit Sonderzahlungen (Donativen) überhäufte und auf Feldzügen sich als "einer der ihren" gebärdete. Der auf der Seite des oppositionellen Senates stehende zeitgenössische Schriftsteller Cassius Dio hielt ihn für einen von quälenden Visionen getriebenen, geistig kranken Menschen, der sich verfolgt fühlte.

Silberdenar aus dem Salzkammergut mit Münzporträt des Kaisers Caracalla, 213 n. Chr.
Foto: ÖAW/ÖAI, N. Gail, Inv. KW_072

Die Selbstverherrlichung äußerte sich bei Caracalla auch durch Bauprojekte, wie zum Beispiel die riesigen "Caracalla-Thermen" in Rom, insbesondere aber durch militärische Bauten, die oft ohne wirklichen fortifikatorischen Wert der bloßen Selbstdarstellung des Regenten dienten. Ein Beispiel ist hier aus Bayern anzuführen, wo in Dalkingen um 213 n. Chr. ein gegen den germanischen Feind, die Alamannen, gerichtetes Prunktor ohne militärische Funktion errichtet wurde.

Der Kaiser und sein Plan

Im Zuge seines Germanenfeldzuges 213 n. Chr. hatte Caracalla auch in Enns Großes vor. Er wollte von der Legion ein neues Lager an anderem Platz errichten lassen. Dabei fasste er einen Standort östlich des Ennsflusses, nahe dem heutigen Ort Albing (Gemeinde St. Pantaleon, Niederösterreich), ins Auge. Das neue Lager sollte all dem entsprechen, was der Kaiser als des Kaisers für würdig ansah: eine exakte rechteckige Form, 10 Prozent mehr Fläche, ein Prunktor gegen den Feind, ein Verwaltungsgebäude mit einem Tetrapylon, also mit einem monumentalen Zugang, modernste Befestigungsanlagen mit massiven Türmen. Die Soldaten der Legion übernahmen (gezwungenermaßen) die Bauarbeiten.

Von einem der Kommandanten dieser Legion fand sich in der Siedlung um das Lager Enns ein sensationeller Fund, ein Prunkschwert, das mit Einlegearbeiten aus Rotgold verziert war: Es zeigt Minerva, die Göttin der Weisheit und eine herabschwebende Victoria, die Göttin des Sieges als Allegorien der Macht des römischen Heeres und dessen Oberbefehlshabers, des Kaisers. Das Schwert versinnbildlicht den göttlich/kaiserlichen Willen und dessen Umsetzung durch die irdische Kraft des Militärs, gestützt auf die Ratio der Minerva und fern der Selbstsucht eines Größenwahnsinnigen.

Römisches Prunkschwert (spatha) des Typs Lauriacum mit Rotgoldeinlage aus Enns (Erstes Drittel des 3. Jahrhunderts n. Chr.).
Foto: OOELKG

Der Aufwand für den Neubau des Legionslagers in Albing war sehr groß: Der Kaiser (bzw. seine Vertretung, der Legionskommandant) wählte als Standort nämlich ein denkbar ungeeignetes, sumpfiges Terrain im Mündungsgebiet von Enns und Donau. Dies bedingte, dass alle Mörtelfundamente für die Lagermauern und das Verwaltungsgebäude zuerst mit massiven Holzpfählen gesichert werden mussten. Alleine die Fundamente verschlangen immense Ressourcen an Bauholz, Flussgeröllen und Mörtel, weshalb man auch Bauschutt (Ziegelbruch) aus dem benachbarten Lagerstandort in Enns als "Zusatzstoff" verwendete. Eine Art Recycling, wie es auch heute noch beim Neubau von Straßen Anwendung findet. Die Grundrissgestaltung des nördlichen Prunktores ist bemerkenswert, besitzt es mit fast 40 Meter Breite drei Durchlässe, die jedoch zu keiner Straße, sondern lediglich zur Donau führten. Den Germanen sollte die Macht Roms beziehungsweise des Kaisers "vor Augen" geführt werden!

Der Kaiser und sein Scheitern

Kein Bauabschnitt des Lagers wurde je fertiggestellt, wie in den geophysikalischen Prospektionen mit Magnetik und Radar sowie Grabungen sichtbar gemacht werden konnte. Diese Untersuchungen gewährten den Archäologinnen und Archäologen aber spannende Einblicke in die Konzeption eines Großprojektes, wie und in welcher Reihenfolge die einzelnen Gebäude errichtet werden sollten. Man begann mit der Umfassungsmauer samt den Türmen sowie den vier Lagertoren, die bis zu drei Meter breite Gussfundamente aus überwiegend Flussgeröllen besitzen. Danach konzipierte man das zentrale Verwaltungsgebäude, die principia, wobei hier im Fundamentbereich der 1-1,43 Meter breiten Mauern bis in 1,5 Meter Tiefe Gussbetonmörtel Verwendung fand. Es ist nicht klar, wann die Arbeiten am Großbau eingestellt wurden, wahrscheinlich aber nicht zu Lebzeiten des Caracalla, sondern nach seiner Ermordung 217 n. Chr. Er wurde, Cassius Dio folgend, beim Verrichten seiner Notdurft am Weg zum Heiligtum des Mondgottes Sin im heutigen türkisch-syrischen Grenzgebiet von seiner eigenen Gefolgschaft erdolcht.

Sonnuntergang in Albing. Die Suche nach dem verschwundenen Römerlager des Caracalla mit Georadar.
Foto: ÖAW/ÖAI

Offensichtlich benötigte man doch kein größeres Legionslager im Raum Enns und offensichtlich war dieses Bauprojekt nur dem hochmütigen kaiserlichen Wunsch nach Selbstdarstellung entsprungen. Lag es an den goldenen Göttinnen der Weisheit und des Sieges, die uns vom Ennser Prunkschwert entgegenblicken, dass durch das vorzeitige Ableben des Kaisers eine enorme Ressourcenverschwendung gestoppt werden konnte?

Das nördliche Viertel des geplanten Legionslagers ist heute in den Fluten der Donau verschwunden, von den Fundamenten des Bauprojektes sieht man nichts mehr, hin und wieder pflügt ein Bauer Mörtelbrocken aus dem Ackerboden. So bleibt Albing ein Symbol für die rasche und nachhaltige Vergänglichkeit irdischer Macht und narzisstischer Selbstinszenierung. (Stefan Groh, 21.10.2021)