Das Pixel 6 in der Farbausführung "Sorta Seafoam".

Foto: Google

Der Name Google ist untrennbar mit Android verbunden: Der Tech-Gigant aus dem kalifornischen Mountain View ist fast im Alleingang für die Entwicklung jenes Betriebssystems verantwortlich, das wie kein zweites die Smartphone-Welt dominiert. Doch das gilt eben nur für die Software. Zwar stellt Google schon seit Jahren auch eigene Smartphones her, deren Verbreitung ist aber endenwollend: Nicht einmal ein Prozent beträgt der aktuelle Marktanteil der Pixel-Geräte in der Android-Welt. Das will das Unternehmen nun ändern: Mit dem Pixel 6 und dem Pixel 6 Pro hat Google zwei neue Smartphones vorgestellt, die in ernsthafte Konkurrenz zu Samsung und Apple treten sollen.

Alles neu

Im Vergleich zu früheren Jahren hat Google die Hardware von Grund auf erneuert. Es gibt etwa ein komplett überarbeitet Kamerasystem samt neuen – und größeren – Sensoren, die Fingerabdruckerkennung wurde unter den Bildschirm verlagert, und große – je nach Modell 6,4 oder 6,7 Zoll – Bildschirme mit hohen Bildwiederholraten, wie man sie von anderen aktuellen High-End-Geräten gewohnt ist. Auch in Hinblick auf Netzwerkunterstützung – 5G und WiFi 6E –, Akku und andere Komponenten gibt es im direkten Vergleich wenig auszusetzen – hier war Google offenbar bemüht, diesmal wirklich alle Punkte auf der Checkliste zu erfüllen. Wer all das im Detail nachlesen will, sei auf unseren Artikel zur Vorstellung verwiesen.

Hard- und Software gemeinsam

Der wahre Star des Geschehens verbirgt sich aber im Inneren, und der macht klar, wo Googles Fokus liegt. Unter dem Namen Tensor wurde ein eigener SoC, wie die Kombination aus Prozessor, Grafikeinheit und anderen Komponenten auf Smartphones heißt, entwickelt. Dieser soll zwar eine Performance auf dem Niveau anderer aktueller High-End-Geräte bieten, dafür hätte man aber keinen eigenen Chip entwickeln müssen – immerhin ist so etwas ein äußerst kostspieliges Unterfangen. Googles Motivation liegt einmal mehr beim Maschinenlernen oder, wenn man so will, künstlicher Intelligenz. Das Pixel 6 soll also Dinge ermöglichen, die nur mit einer engen Verzahnung von Hard- und Software möglich sind, wie man sie mit konventionellen Chips nicht erreichen könnte.

Ein konkretes Beispiel hierfür ist die Spracherkennung: Beim Pixel 6 könne man dank speziell darauf optimierter Hardware erheblich bessere Maschinenlernmodelle direkt am Gerät einsetzen, womit die Erkennung nicht nur erheblich flotter, sondern auch wesentlich zuverlässiger werde, verspricht Google. Noch deutlicher wird dieser Ansatz bei den Videofähigkeiten: Für diese wurde in Tensor gezielte Hardwarebeschleunigung für eine Technologie namens "HDRNet" eingebaut. Damit sollen aufwendige Berechnung zur Verbesserung von Farben und Kontrast bei Videoaufnahmen in Echtzeit möglich sein, wie sie bei Smartphones bisher undenkbar waren. Nun müssen natürlich erst unabhängige Tests zeigen, ob diese Pläne auch wirklich aufgehen; wohin die Reise geht, ist aber klar.

Googles erster eigener SoC, Tensor, mischt eigene Hardware von Google mit klassischen CPU- und GPU-Komponenten nach ARM-Designs.
Grafik: Google

Support

Google hat noch einen weiteren Grund für einen eigenen Chip – hat man doch dessen Support ganz in der eigenen Hand und befreit sich aus der Abhängigkeit von Qualcomm, die sich im komplexen Android-Update-Gefüge über die Jahre zunehmend zum Problem entwickelt hat. Entsprechend ist das Pixel 6 auch das erste Android-Smartphone mit dem Versprechen, fünf Jahre lang monatlich Sicherheitsaktualisierungen zu liefern. Dass man dabei – zumindest vorerst – nicht über drei große Versionssprünge hinausgeht, ist eine gewisse Enttäuschung, darf aber nicht über die Relevanz dieses Fortschritts hinwegtäuschen – übt Google damit doch gehörigen Druck auf andere Android-Hersteller aus.

Weniger erfreut wird man diesen Schritt wohl bei Qualcomm zur Kenntnis nehmen. Denn auch wenn Google ein vergleichsweise kleiner Kunde für den Chiphersteller war, so ist die Signalwirkung unübersehbar. Zumal derzeit auch noch andere große Hersteller wie Microsoft oder Oppo an der Entwicklung eigener Chips arbeiten sollen. Samsung geht ohnehin schon länger in diese Richtung. Die Zeit, in der Qualcomm – zumindest in oberen und mittlerweile Leistungskategorien – die Android-Welt fast im Alleingang dominierte, könnte sich damit dem Ende zuneigen. Das weiß man offenbar auch bei Qualcomm, reagierte doch der offizielle Twitter-Account des Unternehmens vor einigen Tagen reichlich unentspannt auf Googles Pläne – und sprach von einem Warnzeichen, wenn Smartphone-Hersteller eigene Chips statt eines Snapdragon verwenden wollen.

Langfristige Pläne

Ein eigener Chip, das geht natürlich nicht über Nacht. Im Gespräch mit "The Verge" betonen denn auch Google-Chef Sundar Pichai und dessen Hardwareboss Rick Osterloh, dass die Entwicklung schon vor mehreren Jahren begonnen habe, da sich damals schon abzeichnete, dass die am Markt zu kaufenden Chips für die eigenen Maschinenlernaufgaben nicht ausreichen. Beim Pixel 6 laufen diese Initiativen nun erstmals zusammen – was übrigens auch der Grund ist, warum es zuletzt etwa ruhiger rund um Googles Hardwareabteilung wurde.

Pichai betont dabei, dass es sich bei der Smartphone-Entwicklung um kein Hobby handle. All die Hardwareentwicklungen seien auf einen Zeitrahmen von zehn bis zwanzig Jahren gedacht. Mit dem Pixel 6 hofft man nun aber erstmals signifikante Zuwächse beim Marktanteil zu sehen. Konkrete Zielsetzungen nennt der Google-Chef nicht, ein Bericht von Nikkei Asia macht aber klar, in welchem Bereich sich das bewegt. So soll Google für den Marktstart doppelt so viele Geräte wie in den Vorjahren bei den eigenen Partnern bestellt haben. Konkret ist von rund sieben Millionen Stück die Rede. Das wäre im Vergleich zum Gesamtvolumen anderer Hersteller noch immer relativ wenig, aber eben ein deutlicher Zuwachs und auch ein nicht zu vernachlässigender Anteil des High-End-Markts für Android-Geräte.

Preis: Check! Werbung: Check! Verfügbarkeit: Hm ...

Gute Hardware alleine garantiert aber noch keinen Erfolg, das hat der Smartphone-Markt über die Jahre eindrücklich demonstriert. Es müssen noch drei andere Faktoren stimmen: Preis, Bewerbung und Verfügbarkeit. Beim ersten davon scheint Google schon einmal auf einem guten Weg: Die 649 Euro, ab denen das Pixel 6 zu haben ist, sind zwar noch immer viel Geld, liegen aber doch deutlich unter dem Listenpreis vergleichbarer Geräte von Samsung oder Apple. Vor allem wenn man die in vielen Ländern beigelegten "Goodies" für Vorbesteller im Wert von mehreren hundert Euro einrechnet – in Deutschland wären das etwa Boses NC-700-Kopfhörer. Das ist auch deswegen wichtig, weil die Käufer dann leichter darüber hinwegsehen, falls sich in den Tests doch noch irgendwelche bislang unbekannten Defizite bei den neuen Smartphones zeigen.

Mit Pixel 6 und Pixel 6 Pro hofft Google auf den Durchbruch am Smartphone-Markt.
Grafik: Google

Aber fast noch wichtiger: Google scheint die Geräte zum ersten Mal auch ernsthaft bewerben zu wollen. Beziehungsweise tut man das bereits: Gerade in den USA wurde schon im Vorfeld massiv Plakat-, aber auch Online- und Fernsehwerbung geschaltet. Mit der Basketballliga NBA ist man gar einen Deal eingegangen, der das Pixel 6 zum offiziellen Fan-Smartphone macht. Und diese Bewerbung soll auch noch deutlich intensiviert werden; so hat Googles Finanzchefin Ruth Porat schon bei der Verlautbarung der letzten Quartalszahlen die Investoren auf signifikante Investitionen in diesem Bereich vorbereitet.

Wo bekommen?

Etwas schwieriger wird es dann beim Thema Verfügbarkeit – ist diese doch weiter auf ein Dutzend ausgewählter Länder begrenzt. So müssen sich österreichische Interessenten Pixel-Geräte aus Deutschland besorgen, was zwar problemlos möglich, aber unnötig umständlich ist. Das mag aus Sicht der aktuellen Chip- und Lieferkettenkrise irgendwie verständlich sein, will Google ein ernsthafter Mitspieler am globalen Smartphone-Markt werden, muss man dies aber in den Griff bekommen. Keine Ausrede hat Google hingegen in einer anderen Sicht: Dass Googles eigener Onlineladen parallel zur Ankündigung der neuen Geräte am Dienstagabend stundenlang unter der Last des Käuferinteresses komplett zusammenbrach, ist für das Unternehmen einigermaßen peinlich. Immerhin sollte man meinen, dass man sich dort mit Servern und solchen Dingen ganz gut auskennt.

Gute Zeiten, Schlechte Zeiten

Doch noch einmal zurück zur aktuellen Chipkrise: Diese führt nämlich dazu, dass das Pixel 6 gleichzeitig zur besten und zur schlechtesten Zeit auf den Markt kommt. Der besten, weil viele andere Android-Hersteller gerade Probleme haben, überhaupt neue Modelle zu veröffentlichen. So gibt es von Marktführer Samsung zwar zwei neue faltbare Geräte, aber kein aktuelles High-End-Smartphone in einem klassischen Formfaktor. Die üblicherweise für die zweite Jahreshälfte gedachte Note-Reihe ist heuer entfallen, auch eine "Fan Edition" des Galaxy S21 sucht man bisher vergeblich. Bleibt nur das klassische Galaxy S21, das den Höhepunkt seines Verkaufszyklus aber schon überschritten hat, kam es doch bereits Ende Jänner auf den Markt. Stattdessen konzentriert sich Samsung auch bei seiner Werbung ganz auf die Foldables. Das ist vor allem für die USA ein wichtiger Punkt, wo die Geräte chinesischer Hersteller kaum eine Rolle spielen und Samsung die Android-Welt fast im Alleingang dominiert.

Der schlechteste Zeitpunkt ist es hingegen deswegen, weil sich parallel dazu gerade die Probleme mit der Lieferkette immer weiter verschärfen. Selbst wenn Google sich also genügend Ressourcen für die Produktion der Geräte gesichert hat, könnte es in den kommenden Wochen zunehmend schwerer werden, diese in die Hände von Interessenten bekommen. Da haben Unternehmen wie Apple mit ihrer langjährigen Expertise mit der Lieferkette erhebliche Vorteile, und selbst von dort hört man aktuell von wachsenden Problemen.

Was heißt das für Android?

Bei alldem ist aber noch eine ganz andere Frage spannend, nämlich welche Auswirkungen ein Google-Erfolg auf die notorisch fragilen Verhältnisse in der Android-Welt hätte. Immerhin wird damit der Entwickler des Betriebssystem auch direkt zum Konkurrenten seiner Partner – eine Dynamik, die einen gewissen Sprengstoff birgt. Das mag bei den aktuell anvisierten Verkaufszahlen noch nicht die ganz große Rolle spielen, gleichzeitig kann man aber davon ausgehen, dass bei anderen Herstellern die Alarmglocken schrillen. Denn eine solch enge Verzahnung von Hardware- und Betriebssystementwicklung kann in dieser Form nur Google vornehmen. Alle anderen können zwar eigene Anpassungen vornehmen, aber eben erst später auf dem Code, den Google freigibt.

Mit aller Macht

Wirklich klar dürfte insofern eigentlich nur eines zu sein: Google scheint es dieses Mal wirklich ernst mit seinen Hardwareambitionen zu meinen. Mit aller Macht soll versucht werden, in den kommenden Jahren einen signifikanten Marktanteil für die Pixel-Reihe aufzubauen. Ob der Plan aufgeht, ist in dem zunehmend saturierten Smartphone-Markt allerdings längst nicht gesagt. Zumindest bringt der Android-Hersteller damit aber an einigen Punkten Bewegung in den Markt – und das alleine ist schon erfreulich für die Nutzer. (Andreas Proschofsky, 20.10.2021)