"Sexualität ist immer wieder Thema für Kinder und Jugendliche", sagt Sexualpädagogin Stefanie Rappersberger, die im Vorstand der Plattform Sexuelle Bildung sitzt. Man könne deswegen sexuelle Inhalte nicht komplett verbannen und müsse Sexualität besprechbar machen.

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Werden an österreichischen Schulen reihenweise Kinder und Jugendliche durch Aufklärungsunterricht verstört, gar traumatisiert? Die Initiatoren und Unterstützer der Bürgerbewegung "Kindergerecht" – dahinter stehen mit Suha Dejmek und Jan Ledóchowski zwei ÖVP-Politiker aus dem christlich-konservativen Milieu – sehen das wie berichtet so. Expertinnen und Experten können die Kritik nicht nachvollziehen, reagieren aber entspannt bzw. gar nicht auf die Vorwürfe.

Auch Kirche mit "großartigen Konzepten"

So etwa Stefanie Rappersberger, die im Vorstand der Plattform Sexuelle Bildung sitzt. Die Vorwürfe überraschen sie nicht. "Es sind unterschiedliche Personen, die diese trommeln, aber es sind immer wieder die gleichen Argumente." Es handle sich dabei um eine "kleine, vernetzte Gruppe, die sich immer wieder lautstark gegen sexuelle Bildung ausspricht. An besserer Qualität haben sie kein Interesse, es geht vermutlich vor allem um Aufmerksamkeit." Die Gruppe sei weder repräsentativ für die ÖVP noch für die Kirche, wo es laut Rappersberger teils "großartige sexualpädagogische Konzepte" gebe, etwa bei der Jungschar.

Die Plattform wurde 2006 als Zusammenschluss ausgebildeter Sexualpädagoginnen und Pädagogen gegründet. Das Ziel: die Vernetzung, regionale und überregionale Zusammenarbeit und Etablierung sexueller Bildung in Österreich voranzubringen. Das Team arbeitet dabei ehrenamtlich. Rappersberger ist "seit 20 Jahren an der Basis" und hält selbst Workshops an Schulen ab.

Was Sexualpädagogik ist

Ein Problem, das den Nährboden für viele Sorgen bilde: Es herrsche vielerorts Unverständnis darüber, was Sexualpädagogik überhaupt alles umfasse. Im Kindergarten bzw. in der Volksschule gehe es laut Rappersberger etwa um Wissen über Intimorgane: Wie sie heißen, wer sie angreifen darf und wer nicht, wo sich die Kinder Hilfe holen können. "Es geht darum über den Körper, über Grenzen und Gefühle zu sprechen. Das ist ein ganz wichtiger Bestandteil von Gewaltprävention." Dass Kinder prinzipiell zu früh sexualisiert würden, sieht die Expertin nicht. "Professionelle sexuelle Bildung ist immer altersgemäß."

Sexualität besprechbar machen

Die Sexualpädagogin sieht ein generelles Problem: "Wir als Gesellschaft haben noch immer nicht gelernt, Sexualität besprechbar zu machen. Das ist aber wichtig, um sie von Gewalt abzugrenzen." Es gebe einige Studien, die zeigen würden, dass Jugendliche, die sexualpädagogisch begleitet wurden, später sexuell aktiv werden. "Weil sie eher gelernt haben zu reflektieren, was die eigenen Bedürfnisse sind. Sie sind eher in der Lage selbstbestimmte und informierte Entscheidungen zu treffen." Zweitens würden Studien auch zeigen, dass sich diese Jugendlichen besser schützen – vor sexuell übertragbaren Krankheiten, aber auch vor Schwangerschaften.

Schülerinnen und Schüler wollen nicht alles mit ihren Lehrern besprechen. Vor allem bei Sexualkunde würde es daher Sinn ergeben, dass externe Personen wie etwa Rappersberger, die auch keine Noten geben, zeitlich begrenzt in die Klassen kommen. Das Setting ohne Beurteilung erleichtere es den Kindern und Jugendlichen, tabuisierte Fragen zu stellen oder Erfahrungen zu besprechen.

Fast keine Workshops während der Pandemie

Die externen Vereine gerieten 2019 verstärkt in Kritik, als der Verein Teenstar in Schulen ein mittelalterliches Weltbild transportierte. Der Bildungsminister nahm sich des Themas an, beschlossen wurde, dass die Vereine sich künftig einem Akkreditierungsverfahren unterziehen müssen. Ein Konzept dafür wurde mittlerweile vom Österreichischen Institut für Familienforschung erstellt, die Umsetzung liegt noch immer im Bildungsministerium. Mitverantwortlich für die Verspätung ist die Pandemie: Währenddessen waren an den Schulen keine externen Personen erlaubt. Hie und da sei man für Workshops ins Freie ausgewichen, sagt Rappersberger. Manche Vereine bauten ein Online-Angebot auf.

Trotz der externen Vereine brauche es natürlich auch entsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote für Lehrpersonen, sagt Rappersberger – auch im Kindergarten- und Volksschulbereich, weil hier solche Aufklärungsworkshops in der Regel noch gar nicht abgehalten werden. Hier gebe es allerdings Aufholbedarf, sagt die Sexualpädagogin. Es gebe in der Lehrerausbildung nur vereinzelt Seminare, "das ist definitiv zu wenig." Auch bei den Fort- und Weiterbildungen gebe es Bedarf.

Soziale Medien als Hauptthema

Denn "Sexualität ist immer wieder Thema", sagt Rappersberger. Nicht zuletzt, weil viele Kinder und Jugendliche diesen Themen online oder auf ihren Handys begegnen. "Es reicht nicht, wenn man Pornoseiten am Handy sperrt. Es gibt mittlerweile auch auf ganz harmlosen Seiten und Plattformen sexuell übergriffiges Verhalten. Also: Kinder werden damit konfrontiert, man kann sie nicht von sexuellen Inhalten isolieren. Sie müssen die Möglichkeit haben, das zu besprechen und einzuordnen."

Was den Kindern und Jugendlichen in sozialen Netzwerken begegne, sei in den letzten Jahren definitiv das Hauptthema, spricht Rappersberger über ihre Erfahrungen mit Schulklassen. Darüber hinaus gehe es aber meistens um "Basics": Wie man jemanden kennenlernt, wie man herausfindet, ob die andere Person auch verliebt ist. "Es geht oft um Themen, wie man eine Beziehung führt, was Konsens bedeutet. Wir reden natürlich nicht die ganze Zeit nur über Sexualpraktiken."

Welche Rolle Eltern spielen können

In einem Punkt stimmt sie Dejmek und Ledóchowski zu: Die Einbindung der Eltern sei wichtig – ein Elternabend, wo man über den Workshop informiert und Eltern einbezieht. Allerdings seien viele Eltern mit dem Thema überfordert oder nicht "up to date", gerade was das Thema Social Media anbelangt. "Bei einigen waren Sexualität und der Umgang damit vielleicht damals auch tabuisiert." Sich nur auf die Eltern zu verlassen, sei also keine gute Idee. Was es brauche, sei also ein Miteinander zwischen Eltern, der Schule und externen Sexualpädagoginnen und -pädagogen. "Dann werden die Jugendlichen am besten begleitet." (Lara Hagen, 25.10.2021)