Gernot Blümel hielt am Mittwoch seine große Wien-Rede.

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Wien – Ein Jahr ist es her, dass die ÖVP über den Ausgang der Wiener Gemeinderatswahl jubeln konnte. Nachdem die Volkspartei – damals noch in schwarz – 2015 ihr historisch schlechtestes Resultat (9,2 Prozent) eingefahren hatte, konnte sie nun, in Türkis angetreten, ein Plus von 11,2 Prozentpunkten verzeichnen. Erstmals seit den 1980er-Jahren schaffte es Spitzenkandidat und Finanzminister Gernot Blümel, die 20-Prozent-Hürde zu knacken.

Um dies erneut zu feiern, lud der Wiener ÖVP-Chef Blümel Mittwochnachmittag zur großen "Wien-Rede" im Schottenstift. In dieser wollte er sich "sehr grundsätzlich damit auseinandersetzen, worum es heute geht – womit Politik sich beschäftigt und womit Politik sich beschäftigen sollte", hieß es vorab. Über die Bühne gehen sollte dies "ohne große Show, ohne Entertainment", dafür mit dem schwarzen Altkanzler Wolfgang Schüssel.

Schlechtes Jahr für Türkis

Doch in dem Jahr, das seit der Wien-Wahl vergangen ist, erlebten die ÖVP als Partei und Blümel persönlich tiefe Talfahrten. Zuletzt zogen die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen den türkisen Bundesparteichef und mittlerweile Ex-Kanzler Sebastian Kurz sowie sein engstes Umfeld eine Regierungskrise nach sich.

Blümel stand bereits Anfang des Jahres im Zentrum der Ermittlungen in der Casinos-Affäre – inklusive Hausdurchsuchung. Und in der Hauptstadt wollen die Ablösegerüchte rund um den Landesparteichef Blümel nicht abreißen.

Keine Chats als Thema

In seiner Wien-Rede wollte Blümel aber nicht auf die aktuellen Geschehnisse eingehen, vielmehr sollte es um Grundsatzfragen abseits von Tages- und Parteipolitik gehen. Nur so viel: Sein Verständnis von Politik sei immer gewesen, dass es "den Wettbewerb der besten Ideen gibt, um Wählerstimmen zu gewinnen", es aber am Ende des Tages darum gehe, "gemeinsam zu gestalten und sich nicht gegenseitig zu vernichten", sagte Blümel. Diese "Grundvoraussetzung der österreichischen Demokratie" hätten "manche auf Bundesebene im letzten Jahr hinter sich gelassen". Offenbar gehe es ihnen "nur noch darum, den anderen zu vernichten". Blümels Anspruch an die ÖVP: "Wir sind nicht so. Unser Anspruch ist immer Gestaltung, nicht Vernichtung."

Eine der wesentlichen Fragen in einer Demokratie sei der Umgang miteinander, betonte Blümel. Er würde "massiven Aufholbedarf" bei "Selbstkritikfähigkeit und Diskursfähigkeit" sehen, sagte Blümel. Und: "Wenn wir den innenpolitischen Umgang miteinander in Österreich seit circa Mai letzten Jahres betrachten, können sicher viele diesen Befund teilen. Ich nehme dabei keine Partei aus."

So erlebe er immer mehr ein Auseinanderdriften zwischen dem, was die Mehrheit der Gesellschaft in Österreich gesellschaftspolitisch bewege, und dem, was eine kleine "Meinungselite" meine, was die Menschen bewegen sollte. Die Mehrheit finde sich nicht mehr in den Debatten wieder, die geführt werden. Es gehe nun darum, der schweigenden Mehrheit eine öffentliche Stimme zu geben, so Blümel.

Zumutung für Schüssel

Politik sei zwar oft "leidenschaftlich", könne aber auch "Leiden schaffen", wie gerade eben, erklärte Altkanzler Schüssel. Derzeit passiere "eine Nabelschau", die "letztlich dazu führen wird, dass die Politik insgesamt abgewertet wird", sagte der Altkanzler. Das werde keiner Partei, das werde "niemandem nutzen".

Schüssel sprach zudem von einem "Hass, der spürbar ist", und von "Polarisierung". Das "Verächtlichmachen" sehe man beispielsweise in Parlamentsdebatten oder sozialen Medien. Man müsse nun weg von dieser "Nabelschau wieder hin zu der Sache" kommen.

Das Vorlesen der Chatprotokolle im Burgtheater, eine Kooperation mit dem STANDARD, um der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, sich selbst ein Bild über deren Inhalte zu machen, sei "eine Zumutung", erklärte Schüssel.

DER STANDARD

Türkise Wienliebe

In Richtung Stadtregierung erklärte Blümel: "Wien ist eine großartige Stadt. Wien ist meine Heimat. Und ich liebe meine Heimat. Auch wenn ich nicht mit allem zufrieden bin, was in dieser Stadt passiert." Das sei kein Widerspruch, er wolle nur das Beste für die Stadt. Unzufriedenheit sei per se nichts Schlechtes. Sondern lediglich das Gegenteil zu "Selbstzufriedenheit". Letztere sei, rot gefärbt, in Wien der Gegner des Fortschritts. Die Menschen in der Stadt bräuchten einen Partner in der Politik, sagte Blümel: "Das habe ich von Beginn an als meine Aufgabe für Wien gesehen. Und das ist sie nach wie vor."

Die ÖVP Wien, für die Blümel nach der Wien-Wahl in wenig erfolgreiche Sondierungsgespräche mit Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) gegangen ist, müsse sich mit ihrer Oppositionsrolle anfreunden. "Das ist kein Schicksal, mit dem man täglich hadern muss, sondern eine wesentliche Säule unseres demokratischen Gefüges", betonte Blümel.

Blümel fühle sich "heute bestärkter als je zuvor, das zu tun, was aus meiner Sicht richtig und notwendig ist. Nicht was vielleicht angenehmer oder populärer ist. Ich arbeite dafür mit meiner ganzen Kraft. Und sehr gerne. So bin ich. Und so bleibe ich." (ook, 20.10.2021)