Briefkästen haben auch schon bessere Zeiten gesehen. Dabei hat das Briefgeheimnis immer noch hohen Stellenwert.

Foto: Foto: Toppress/Schöndorf

Geht es nach der ÖVP, dann sollen die Regeln für eine Beschlagnahmung von Mobiltelefonen sowie für die Auswertung von Handydaten neu gestaltet werden. Vor allem Verfassungsministerin Karoline Edtstadler wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass viele Chats, die im Zuge der Ermittlungen gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und gegen Mitarbeiter im türkisen Umfeld publik wurden, in der Öffentlichkeit nichts verloren hätten, weil sie rein privater Natur seien. Zuletzt bekräftigte Edtstadler am Dienstagabend in der ORF-Sendung "Report" ihre Forderung nach einer "dem Briefgeheimnis vergleichbaren Regelung" für private Handykommunikation.

Schutz für Chats

Außerdem will die gelernte Juristin und frühere Richterin hinterfragen, wie die Chats in die Öffentlichkeit gelangt sind. Mit der Veröffentlichung von Handy-Auswertungen würden immer wieder Menschen an den Pranger gestellt, ehe überhaupt entschieden sei, ob es ein strafrechtliches Verfahren gebe. Schon im Juni, als veröffentlichte Chats den Umgangston in der türkisen Clique offenbarten, forderte Edtstadler, dass es mehr Schutz für private Chats, auch wenn diese via Diensthandys geführt werden, geben solle.

Sobotka sprach von Leaks

Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat schon im Zusammenhang mit dem Ibiza-U-Ausschuss von einer Verletzung des Briefgeheimnisses gesprochen, weil es seiner Meinung nach Leaks gegeben habe, durch die die Medien mit Informationen versorgt worden seien.

Was steckt nun hinter dem Briefgeheimnis, auf das die ÖVP in jüngster Zeit so laut pocht? Dabei geht es nicht so sehr direkt um den verfassungsrechtlich verbrieften Schutz der Kommunikation zwischen Absender und Empfänger eines Briefes. Diesen Schutz hat nämlich die ÖVP erst 2018 gemeinsam mit der damals noch in der Regierung befindlichen FPÖ ein wenig aufgeweicht. Seither dürfen die Strafverfolgungsbehörden schon bei Straftaten, die mit mehr als einem Jahr bedroht sind, das Briefgeheimnis negieren, also Briefe von Verdächtigen oder an Verdächtige öffnen.

Richterliche Genehmigung

Edtstadler geht es vielmehr darum, den Schutz der elektronischen Kommunikation an jenen für Briefe anzugleichen. Denn für eine Beschlagnahmung von Briefen muss eine richterliche Genehmigung eingeholt werden, bei der Beschlagnahme eines Handys reicht derzeit die Anordnung der Staatsanwaltschaft aus. Und damit verbunden ist natürlich die Auswertung der Daten auf einem Mobiltelefon.

Angleichung an Telekomüberwachung

Auf diesen Unterschied haben auch Strafrechtsexperten und Datenschützer immer wieder aufmerksam gemacht. Denn in der Strafprozessordnung ist die Sicherstellung von Gegenständen geregelt, und dazu zählen nach derzeitigem Stand eben auch Mobiltelefone. Die Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes schlug schon im April vor, dass man sich beim Umgang mit Chats stärker an der Telekomüberwachung orientieren und den Zugriff der Strafverfolgungsbehörden an eine richterliche Bewilligung und einen dringenden Tatverdacht binden sollte. Derzeit ist ein einfacher Verdacht ausreichend.

FPÖ vertraut wieder der Justiz

Für die FPÖ ist Edtstadlers Forderung nach neuen Regeln für die polizeiliche Sicherstellung von Mobiltelefonen ein Ablenkungsmanöver von der türkisen Krise. "Eigentlich stellte sie all das in Zweifel, was das wahre Gesicht der ÖVP an die Öffentlichkeit brachte. Frau Edtstadler versuchte sich als Schutzschild für das türkise System", sagte der freiheitliche Generalsekretär Michael Schnedlitz am Mittwoch. Die FPÖ scheint nach der Ibiza-Affäre auch das Vertrauen in die Justiz wieder gefunden zu haben: "Kein Handy wird ‚einfach so‘ beschlagnahmt. Eine Hausdurchsuchung wird von einem unabhängigen Richter genehmigt. Um diese Genehmigung zu bekommen, muss die Staatsanwaltschaft schon entsprechend belastendes Material vorlegen", so Schnedlitz.

SPÖ stellt sich hinter Medien

Auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch attackierte Edtstadler. "Anstatt für volle Aufklärung der türkisen Affären zu sorgen, wirft Edtstadler die Nebelmaschine an und versucht abermals die ÖVP-Skandale zu verschleiern und zuzudecken", so Deutsch. Als "grotesk" bezeichnet Deutsch die Verteidigungslinie der ÖVP, die in Ermittlungsakten festgehaltenen Nachrichten aus dem engsten Umfeld von ÖVP-Obmann Kurz als "private Chats" zu verteidigen. Medien das Zitieren aus Ermittlungsakten zu verbieten, um die türkise Familie vor Ermittlungen zu schützen, sei eine Unverschämtheit. (Michael Simoner, 21.10.2021)