Hochbetrieb in der Siegendorfer Puszta. Im gelben Lieferwagen lagen zwei tote Migranten.

Foto: APA/Robert Jäger

Für die beiden Soldaten hat es sich angelassen wie ein Herbstspaziergang. Die Luft an der Ruster Hügelkette war lau. Von der Siegendorfer Puszta reicht der Blick über die fruchtbare, jetzt nach üppiger Ernte riechendende Ebene der burgelandkroatischen Poljanci bis hinüber nach Eisenstadt. An solchen Tagen riecht es nach Hetscherl und Dirndl und fallendem Nusslaub. Da und dort wird geackert. Dann riecht es auch nach frischer Erde.

Dann aber – Dienstagnachmittag war es – wurde es für die zwei ein Schreckenstag. Sie stoppten einen gelben Lieferwagen mit ungarischem Kennzeichen. Der Renault hielt. Klopfen aus dem Inneren. Rufe. Die zwei öffneten die Hecktür. Der Fahrer rannte Richtung Ungarn. 27 junge Männer redeten auf die Soldaten ein. Zwei nicht mehr. Die lagen tot im Wagen.

Flashback

Nicht nur das Burgenland erlebte am Dienstag, was man einen Flashback nennt. Ganz Österreich und darüber hinaus sprach im ersten Impuls von 2015. Damals fand man in einem Kühl-Lkw 71 erstickte Menschen. Polizeidirektor war der jetzige rote Landeshauptmann des Burgenlandes. Sein Pressechef Helmut Marban.

Marban ist immer noch Sprecher der burgenländischen Polizeidirektion. Und er warnt davor, die Parallelen mit 2015 zu übertreiben. Damals war der ungeheuerliche Leichenfund an der A4 der Auftakt zum beispiellosen, die Zeiten ins Heutige wendenden Flüchtlingsherbst. "Das sehe ich nicht. Man muss schon fairerweise sagen, dass man die jetzigen und die damaligen Zahlen nicht vergleichen kann."

Dynamik der Lage

13.000 illegale Grenzgänger habe man heuer aufgegriffen im Burgenland. Vor sechs Jahren kamen so viele manchmal an einem Tag. Dennoch solle und wolle man die Dynamik der Lage nicht unterschätzen. "Seit dem Sommer schwanken unsere Aufgriffszahlen zwischen 500 und 800 pro Woche." Mit Ausreißern nach oben, durchaus.

Die burgenländische Polizei hat, auch mit Hilfe aus anderen Bundesländern, ihre Grenzaktivität verstärkt. Dazu kommt der Assistenzeinsatz. "Ohne die etwa 1000 Soldaten könnten wir das nicht tun."

Druck auf Schlepper

Gemeint ist ein seit Ende des Corona-Lockdowns ausgeübter Druck auf Schlepper und ihre Taktiken. Im Frühjahr schickten sie Migrantengruppen zu Fuß über die grüne Grenze, zu vereinbarten Treffpunkten im Wald. Von dort ging es teils sogar mit lokalen Taxis weiter. Patrouillen des Bundesheeres, Warnungen an die Taxiunternehmer erschwerten bis verunmöglichten das. Durch die Corona-Kontrollen ist auch der Weg über die normalen Grenzübergänge erschwert.

Jetzt sucht man die unzähligen grenzquerenden Feldwege. Die kennen Polizei und Bundesheer freilich auch. Insgesamt sei das Geschäft der Schlepperei – "hochprofitabel und international vernetzt", sagt Marban – um einiges brutaler geworden. "Im Sommer hatten wir sogar eine Schussabgabe. Da verfolgten wir ein Schlepperfahrzeug von Siegendorf. Erst in Eisenstadt konnten wir es stoppen." Auch der jetzige Schlepper ist – erzählten die Geschleppten – bewaffnet gewesen.

Alarmfahndung

Sofort wurde eine für die ungarischen Grenzpendler durchaus spürbare Alarmfahndung eingeleitet. Bis Redaktionsschluss noch ohne Erfolg. Aber man zeigt sich zuversichtlich. Man hat das ungarische Kennzeichen, das allem Anschein nach nicht gefälscht ist. Man hat 27 Zeugen, die nun kriminal- und weniger fremdenpolizeilich einvernommen werden. "Ich gehe davon aus, dass sie um Asyl ansuchen werden", aber nicht alle tun das, die wollen weiter. "Die werden dann nach Ungarn rückgeschoben und probieren es neuerlich."

Rätselhaftigkeiten

Die zwei Toten – sie waren zwischen 25 und 30 Jahre alt – werden obduziert. Mit einem Ergebnis könne man bis Ende der Woche rechnen. Ob sie erstickt sind, wie angenommen wurde in Parallelität zu 2015, ist nicht sicher. Dehydriert, hört man, seien sie gewesen. Körperlich auffällig schwach. Es ist nicht das einzige Rätsel. Der Kastenwagen war – anders als 2015 der Kühl-Lkw – kein unausbrechbares Gefängnis. Er hat eine Heckscheibe. "Manche", glaubt Marban, der in der laufenden Fahndung freilich nicht alles sagt, was er weiß, "vertrauen einfach ihren Schleppern. Sie wollen ja nicht entdeckt, sondern zu ihrem Ziel gebracht werden."

Das zu verhindern, dafür "sind wir da", sagt Helmut Marban durchaus mit Stolz. Aber auch, um der Reporterneugier zu verdeutlichen, dass 2021 nicht 2015 sei. "Wir haben auch technisch aufgerüstet." Für die Alarmfahndung war sofort ein Hubschrauber zur Stelle. Drohnen stiegen auf. "Die Cobra ist im nahen Wiener Neustadt." Auch die waren da. Die komischen Identitären, die da unlängst auf Waldwegen am Geschriebenstein spazieren gegangen sind und sich als flüchtlingsabwehrende Grenzschützer gerierten, seien, was sie eben sind: blöde Buben. Die Polizei zählt auf die bewährte Kooperation mit den ungarischen Kollegen. Das habe auch diesmal sofort funktioniert.

2015 habe sich das Geschehen auf die sogenannten Hotspots konzentriert. Jetzt aufs ganze Land. Dennoch: 125 Schlepper wurden heuer schon verhaftet. Rund 250 in ganz Österreich. "Unsere Maßnahmen greifen." (Wolfgang Weisgram, 20.10.2021)