Sehenswertes aus der Dürerzeit: Lukas Cranach d. Ä., Stigmatisation des hl. Franziskus, um 1502/03.

Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Was für eine Show! Zwei Kerle in knallengen Hosen schwingen ihre Arme und Beine. Der eine schüttelt die Lockenmähne nach hinten, während der andere mit der Trommel den Beat vorgibt. Das mittelalterliche Relief aus Sandstein, das den damals an Fürstenhöfen modernen "Moriskentanz" zeigt, hing bis 1949 unter dem Goldenen Dachl in Innsbruck; dann wurde es durch eine Kopie ersetzt und kam ins Museum. Nun belegt es in der Schau Dürerzeit,wie expressiv, weltlich, ja rockig spätmittelalterliche Kunst sein konnte.

Ganz einleuchten will diese Ausstellung im Oberen Belvedere, die sich Österreichs an der Schwelle zur Renaissance annimmt, nicht. Als berühmteste Goldmalerei gilt dort schließlich Klimts Kuss, während die hauseigenen Goldgrundbilder und Heiligenfiguren beim Umbau 2007 dorthin verbannt wurden, wo einst Prinz Eugens Rösser standen. Dass etliche Werke jetzt den Prunkstall verlassen durften, hat weniger mit dem 550. Geburtstag von Albrecht Dürer zu tun als mit der Rekonstruktion, Restaurierung und Erforschung eines Altars, der vor einem halben Jahrtausend entstanden ist.

Urban Görtschachers "Ecce Homo" von 1508.
Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

"Die gewölbten Seitenflügel machen ihn so einzigartig", sagt Belvedere-Kurator Björn Blauensteiner, der sich mit dem "Ädikula-Altar" beschäftigt hat und ihn wieder komplettierte. Der Sockel und die Schreinskulptur, die wahrscheinlich die heilige Katharina darstellen dürfte, waren zwar in der eigenen Sammlung, aber der Zusammenhang war verlorengegangen. Bei seinen Recherchen lernte Blauensteiner die kaum erforschte Übergangsphase vom Mittelalter zur Neuzeit zu schätzen: "Besonders die Mischung von Alt und Neu ist interessant, sogar origineller und innovativer als das, was später die ‚reine‘ Renaissance in Österreich hervorbrachte."

Ein Beispiel für diesen Mix stellt Urban Görtschachers auf Fichtenholztafeln gemalte Susannenlegende dar. Aus der italienischen Renaissance hat der Kärntner Maler die Zentralperspektive übernommen. Gleichzeitig bleibt seine Version der biblischen Erzählung von Susanna im Bade der mittelalterlichen Form des Simultanbilds treu, in dem Szenen einer Geschichte nebeneinander zu sehen sind. Interessantes Detail: Als Signatur malte Görtschacher stets eine Wildpflanze, die Gemeine Wegwarte, an den unteren Bildrand.

Erstes Selbstporträt

Die Idee einer Bildsignatur kam erst in der Dürerzeit auf. Entgegen ihrem damaligen Image als Handwerker begannen Maler und Bildhauer auf ihre Autorschaft und Handschrift zu pochen. Im Porträtsaal der Ausstellung hängt das erste Selbstporträt eines österreichischen Künstlers: Im Jahr 1530 verewigte sich der Tiroler Paul Dax im schicken Kostüm eines Landsknechts und mit stolz in die Seite gestemmter Faust. Den neuen Realismus, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts Einzug hielt, belegen auch Wolfgang Hubers berührende Porträts von Salzburger Bürgerkindern

Von den rund 120 Gemälden, Grafiken, Skulpturen und Medaillen der Schau wurden gut zwei Drittel ausgeliehen, die meisten davon aus heimischen Häusern. Aus der Bibliothek des Madrider Escorial stammt ein Aquarell der Brennerstraße, die Albrecht Dürer bei seiner Italien-Reise 1494 mit Wasserfarben festhielt. Landschaft, Flora und Fauna wurde ab 1500 immer mehr Aufmerksamkeit und Raum geschenkt.

Die Heiligen Blasius, Rupert und Maximilian von Andreas Lackner (1518).
Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

So zeigt die Schau etwa das Dokument einer "Fischereiordnung", auf die Karpfen, Forellen oder Welse detailgetreu und mit Maßstab aquarelliert sind. Zum Symbol wird die Natur hingegen in der Stigmatisierung des hl. Franziskus von Lucas Cranach dem Älteren. Mit emporgehobenen Händen empfängt Franz von Assisi die Wundmale Christi, während ein Baum daneben seine Körperform als Echo wiederholt.

Aber zurück zu Dürer: Lange wurde angenommen, dass der deutsche Meister Österreich nur auf der Durchreise streifte. 2016 wurde aber im Stephansdom eine Wandzeichnung eines Flügelaltars freigelegt, deren hohe Qualität einen echten Dürer vermuten lässt. Das Belvedere zeigt ein Sandsteinrelief, das einst bei dem gemalten Flügelaltar in der Bischofstorvorhalle seinen Platz hatte. Die Zeichnungen werden im Museum als Projektionen wiedergegeben, um eine Vorstellung von den ursprünglichen Ensembles zu bekommen.

Insgesamt überzeugt die Schau durch ihre Zusammenführung von Zwei- und Dreidimensionalem. Regelrecht ergreifend wirkt der Tote Leib Christi, der im achteckigen Seitenraum wie aufgebahrt liegt. Der anonyme Meister von Mauer schnitzte ihn um 1498 aus einem Lindenstamm als leichenstarren Körper, dessen Naturalismus mit Venen, Falten und verkrampften Händen buchstäblich unter die Haut geht. (Nicole Scheyerer, 21.10.2021)