Die Causa Ischgl könnte die Justiz Jahre beschäftigen. Derzeit sind rund 25 Verfahren bei Gericht anhängig.

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Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien hat einen Antrag auf Beweissicherung in der Ischgl-Causa abgelehnt. Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der ehemalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) müssen also vorerst nicht vor Gericht aussagen. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Peter Kolba, Obmann des Verbraucherschutzvereins (VSV), kündigte bereits an, gegen den Gerichtsbeschluss zu berufen.

Bisher sind im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Behördenversagen in Ischgl rund 25 Amtshaftungsklagen bei Gericht eingelangt. Zahlreiche Personen, die sich bei der chaotischen Abreise aus dem Tourismusort im März 2020 mit dem Coronavirus ansteckten, wollen Schadenersatz von der Republik Österreich. Laut den Klägern hätten die Infektionen verhindert werden können. Schuld seien die Behörden, die zu langsam reagiert hätten.

Prozesse ohne Befragungen

In fünf der zahlreichen Verfahren fanden in den letzten Wochen und Monaten erste Gerichtsverhandlungen statt. Allerdings wurden alle Prozesstermine ohne Befragungen wieder geschlossen. Aus Sicht der Gerichte sind die Aussagen der Zeugen vorerst nicht entscheidend. Zunächst müsse geklärt werden, ob das Epidemiegesetz, auf das sich die Kläger in ihrer Argumentation stützen, nur die "Volksgesundheit" oder auch einzelne Personen schützt.

Bis zur Klärung dieser Frage könnten – sollte der Instanzenzug ausgeschöpft werden – allerdings Jahre vergehen. Einige Kläger stellten daher den Antrag, bestimmte Zeugen dennoch schon vorab einzuvernehmen. Sie fürchten, dass sich die handelnden Personen in einigen Jahren schlechter an die Ereignisse erinnern können.

Beweissicherung nur in Ausnahmen

Das Bezirksgericht Innere Stadt hat diesen Antrag nun abgelehnt. Es liege in der Natur der Sache, dass sich Zeugen, die über weiter zurückliegende Ereignisse aussagen müssen, schlechter erinnern können. Das allein sei aber kein Grund für eine Beweissicherung. Auch dem Argument, dass die Verantwortlichen bis dahin nicht mehr in ihrer damaligen Funktion sein könnten und daher nicht mehr auf Akten zugreifen könnten, folgte das Gericht nicht.

Die Sicherung von Beweisen kann laut Gesetz dann beantragt werden, wenn das "Beweismittel sonst verloren oder die Benützung desselben erschwert werde". Die Voraussetzungen dafür sind aber relativ streng. Es muss die Gefahr bestehen, dass der Beweisaufnahme zu einem späteren Zeitpunkt ein "erhebliches Hindernis" entgegenstehe. In der Vergangenheit ließen Gerichte eine Beweissicherung etwa dann zu, wenn ein Zeuge lebensgefährlich erkrankt ist.

Kläger sind enttäuscht

Peter Kolba zeigte sich von der Entscheidung enttäuscht. Es grenze an "Rechtsverweigerung, dass man die Aufarbeitung der Missstände in Tirol im Dunkel des Vergessens ummöglich machen will". Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung werden laut Kolba ein bis zwei Jahre vergehen. Eine Befragung von Zeugen könne damit erst rund vier Jahre nach den Ereignissen stattfinden.

Derzeit sind am Landesgericht für Zivilsachen in Wien vier Richterinnen und Richter unabhängig voneinander mit der Ischgl-Causa befasst. "Es wäre durchaus denkbar, dass wir in der ersten Instanz unterschiedliche Urteile sehen. Für wahrscheinlich halte ich es aber nicht", sagt Kolba zum STANDARD. Mit einem erstinstanzlichen Urteil rechnet er im November oder Dezember. (Jakob Pflügl, 21.10.2021)