Die niederösterreichische Hauptstadt St. Pölten spielt bei den Ermittlungen zum Terroranschlag vom 2. November 2020 eine wichtige Rolle. Am Donnerstag standen gleich zwei Personen aus der dortigen jihadistischen Szene vor Gericht.

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Erst am Mittwoch präsentierten die Behörden den bisherigen Zwischenstand, was Ermittlungen gegen das direkte und erweiterte Umfeld des Wiener Terrorattentäters betrifft. Gegen 30 Personen wird aktuell ermittelt, dazu kommen Beschuldigte, die nicht direkt mit dem Attentäter in Kontakt standen, aber im Zuge der Ermittlungen an anderer Stelle aufschlugen. Gegen gleich zwei Personen wurde am Donnerstag am Landesgericht in St. Pölten verhandelt. Darunter war ein Teilnehmer sogenannter "Sonntagszusammenkünfte" von IS-Sympathisanten in einer Wohnung in der niederösterreichischen Landeshauptstadt, bei denen auch der spätere Attentäter mitunter zugegen war.

Der Teilnehmer der "Sonntagstreffen", ein 24-jähriger St. Pöltner, war bereits 2018 einige Monate nach einer Terrorverurteilung in Haft. Nun musste er sich unter anderem wegen einer Drohung gegen einen Mitarbeiter eines Deradikalisierungsprogramms, einer Falschaussage und wegen der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verantworten.

Essen, reden, beten

Der Prozess kreiste in erster Linie um die Wohnung in St. Pölten. Geladen waren zahlreiche Zeugen, die klären sollten, was dort tatsächlich geschah – immerhin wurde dort eine gut ausgestattete salafistische Bibliothek vorgefunden. Die Angaben zu den Geschehnissen waren unterschiedlich: So meinten einige Zeugen, man habe dort eben gegessen, geredet, gebetet. Andere sprachen einerseits von Arabischunterricht, andererseits von Unterricht über Islam und Sünde. Außerdem existiert eine Audiodatei, auf der ein Vortrag darüber zu hören ist, dass man Zauberer nach islamischem Glauben töten dürfe.

Kern der Befragungen war außerdem, ob der Angeklagte den Attentäter kannte – seine Angaben gingen in vorherigen Vernehmungen auseinander. Er berief sich in der Verhandlung darauf, dass er bei den sogenannten Sonntagstreffen keine Brille getragen habe. Beides konnte nach Ansicht des Gerichts nicht endgültig geklärt werden, in diesen Punkten wurde der junge Mann daher freigesprochen.

Dennoch wurde er nicht rechtskräftig zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Und zwar wegen einiger Nachrichten an seinen ehemaligen Deradikalisierungsbetreuer, da schrieb er unter anderem, dass der IS Österreich übernehmen werde, und bot ihm einen Schutzvertrag an, für die Zeit, wenn dies geschehen sei. Das beziehe sich "eindeutig auf den IS und die Zukunft, die Sie sich wünschen", sagte der Richter in der Urteilsverkündung mit Verweis darauf, dass der Angeklagte offenbar auch für Positionen in einem etwaigen "Islamischen Staat" in Österreich bereitstehen würde.

Schutz in der Zukunft

Außerdem bezeichnete der Angeklagte den ehemaligen Betreuer als einen "Murtad". Dies meine jedoch nur eine Person, die vom Glauben abgefallen sei, führte Verteidiger Roland Schöndorfer ins Treffen – in der radikaleren Auslegung hingegen meint man damit eine Person, die zum Abschuss freigegeben ist. "In unserer Gesellschaft gibt es für Derartiges keinen Platz. Zumindest nicht in Freiheit", sagte der Richter bei der Urteilsverkündung. Erschwerend sei hinzugegkommen, dass der Mann vorbestraft war, weil er terroristische Propaganda weitergeleitet hatte.

Einige Räume weiter wurde in St. Pölten am selben Tag der Fall einer jungen Niederösterreicherin verhandelt. Auch auf sie wurden die Ermittler nach dem Terroranschlag aufmerksam. Sie soll radikale Inhalte weitergeleitet haben, außerdem wurde eine Machete bei ihr gefunden. Unter anderem schrieb sie über den Piloten, der am 11. September 2001 in die Twin Towers flog: "Ich liebe ihn, er ist erstaunlich."

Seit März sitzt die 19-Jährige bereits in U-Haft. Heute schäme sie sich dafür, sagt die junge Frau – sie ist voll geständig. Nun möchte sie sich vom radikalen Milieu entfernen – zu dem auch mögliche Kontaktpersonen des Wiener Attentäters zählen. Zu ihm selbst hatte die Angeklagte allerdings nur einmal via Mail Kontakt. Sie wird wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und einer kriminellen Organisation schuldig gesprochen. Das Urteil lautet auf zwei Jahre Haft, davon acht Monate unbedingt. Sollte die Staatsanwaltschaft keine Einwände haben und das Urteil rechtskräftig werden, wird sie im November entlassen. Sie hat zahlreiche Auflagen: Die junge Frau muss mehrere Deradikalisierungsprogramme absolvieren und vierteljährlich dem Landesgericht Bericht erstatten.

Freigesprochen wird sie nur in einzelnen Anklagepunkten, etwa wegen eines Chats, in dem es um die Anleitung zum Bau eines Sprengstoffgürtels geht – es könne nicht mehr nachvollzogen werden, ob sie eine derartige Anleitung tatsächlich verschickt habe, sagte der Richter. Nachdem die Machete keine Waffe, sondern "ein Werkzeug zur Zuckerrohrgewinnung" sei, wie der Richter ausführte, wird der Besitz einer solchen auch nicht nach dem Waffengesetz bestraft. Offen ist für den Richter allerdings, "ob das volle Geständnis nur ein Lippenbekenntnis war".

Ermittlungen gegen Beamte

Neben den strafrechtlichen Ermittlungen gegen Personen, die in Kontakt mit dem Attentäter standen bzw. ihn oder den sogenannten "Islamischen Staat" direkt oder indirekt unterstützen, gibt es auch Untersuchungen auf anderer Ebene. Denn bekanntlich unterliefen den Sicherheitsbehörden im Vorfeld des Anschlags zum Teil gewichtige Fehler. Das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) ermittelte in dem Zusammenhang im Auftrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen zwei Beamte des Wiener Verfassungsschutzes.

Diese könnten nun vor dem Abschluss stehen. Die WKStA übermittele einen entsprechenden Vorhabensbericht an die Oberstaatsanwaltschaft, wie Ö1 berichtete und dem STANDARD auf Nachfrage auch bestätigt wurde. Ob Anklage erhoben werden soll oder nicht, ist demnach noch nicht bekannt. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, 21.10.2021)