Foto: Viennale

Die Blätter des Kathstrauchs wirken auf das Gehirn. In Äthiopien ist das Rauschmittel zum wichtigsten Handelsgut geworden. Die Filmerin Jessica Beshir hat sich das genauer angeschaut.

STANDARD: Wie kamen Sie dazu, einen Film über Kat zu machen?

Beshir: Ich begann, Ideen zu sammeln, als ich nach Äthiopien zurückkehrte, um meine Großmutter zu besuchen. Meine Familie hatte unter dem kommunistischen Terrorregime das Land verlassen, und nun kam wieder eine Verbindung zustande. Soziopolitisch, aber auch ökologisch gab es gravierende Veränderungen. Die Seen, an denen wir aufgewachsen waren, waren ausgetrocknet. Auch die Landwirtschaft hat sich verändert. Entlang der Strecke von Addis Abeba nach Harar gab es früher viele Sorten. Nun ist alles eine einzige grüne Fläche mit Kat.

Film at Lincoln Center

STANDARD: Sie haben in Harar gedreht, ihrer Heimat.

Beshir: Ich bin in Harar im Nordosten aufgewachsen, ethnisch sind wir Oromos. Kat gehörte da immer schon zum Alltag. Es war ein kleines Ritual, hatte seinen Stellenwert, man hielt damit als Bauer die Sonne besser aus. Imame nutzten es für ihre Meditation, denn es putscht auf, sie konnten also ganze Nächte singen und beten. Nun ist die Droge zu einem Selbstzweck geworden, sie hilft, Zeit totzuschlagen.

STANDARD: Sind die muslimischen Oromos eine Minderheit?

Beshir: Oromos machen 42 Prozent der Bevölkerung aus, wurden aber am stärksten marginalisiert. Sie kämpfen für ein föderales System, die Regierungen wollen immer ein zentralistisches System.

STANDARD: 2018 bekam Äthiopien einen neuen Ministerpräsidenten, Aby Ahmed, der anfangs als progressiv galt. Ihr Film reicht weiter zurück.

Beshir: Es gibt in Äthiopien über 80 ethnische Gruppen, das ist ein zentrales Thema der Innenpolitik. Aby Ahmed löste Hoffnungen aus. Zu Beginn hatte er die Unterstützung einer großen Mehrheit. Bald aber wurden die Versprechungen zurückgenommen. Viele Oromo-Führer werden heute als Terroristen angeklagt. Inzwischen sind wir mitten in einem Bürgerkrieg um die Region Tigray im Norden. Mein Film will nicht militant sein. Es reichte schon, den Jugendlichen zuzuhören. Einige der Männer im Film sind inzwischen politische Flüchtlinge. Die Personen vor der Kamera riskierten etwas.

STANDARD: "Faya Dayi" ist in Schwarz-Weiß und hat eine markante Ästhetik. Was hat Sie dabei geleitet?

Beshir: Ich habe zehn Jahre an dem Film gearbeitet und habe mir in dieser Zeit selbst beigebracht, wie man mit der Kamera arbeitet. Der Stil kam aus der Sache. Die Sufi-Imame haben ein sehr spezielles Verständnis von Zeit. Sie sprechen viel über die Präsenz im Moment. Die Stadt ist sehr labyrinthisch, man muss da immer auf alles gefasst sein. Mir schwebte eine filmische Architektur vor, die dem Selbstverständnis der Imame entspricht.

STANDARD: Der Soundtrack verstärkt den Eindruck, Sie wollten uns gewissermaßen in eine Kat-Erfahrung hineinnehmen.

Beshir: Bild und Ton sollten die Vieldimensionalität dieses Lebens verdeutlichen. Die Musik hebt eine gewisse Zirkularität hervor. Grundlage sind Loops, die Rhythmen der Sufi-Räume, in denen alles im Kreis geht. Auch die Geschichte wiederholt sich. Äthiopien hatte niemals wirklich einen friedlichen Machtwechsel. Dieser Sound bringt das zum Hallen. Wie wenn man einen Stein in einen See wirft.

STANDARD: Sie zeigen Kat auch als Business.

Beshir: Die Bauern haben gar keine andere Wahl, als Kat anzubauen. Das Leben ist so teuer geworden, alles Geld fließt in den Krieg. Harar war immer bekannt für Kaffee, das war eine Ernte im Jahr. Kat hat vier Ernten. Das heißt aber nicht, dass die Bauern Millionäre werden. Die Menschen werden sich selbst überlassen. Kat wirkt sich zerstörerisch auf das soziale Gewebe aus, es gibt auch Lebensmittelknappheit wegen einseitiger Bodennutzung.

STANDARD: Ein wichtiger Aspekt im Film ist die Perspektive der Frauen.

Beshir: Scheidungen haben um 90 Prozent zugenommen. Männer kümmern sich nur um Kat, Frauen fühlen sich alleingelassen. Es entstehen auch sexuelle Probleme, denn das Kauen von Kat führt zu Erektionsstörungen. Verkäufe von Viagra haben enorm zugenommen, es gibt viele Herzattacken, weil Viagra falsch dosiert wird. Viele Frauen sind notgedrungen ökonomisch unabhängig geworden.

STANDARD: "Faya Dayi" ist sehr erfolgreich auf den Festivals dieses Jahr. Möchten Sie zum Thema Äthiopien weiterarbeiten?

Beshir: Ich würde gern dazu weiterarbeiten. Die Diversität in Äthiopien ist der Schatz, den wir zerstören, wenn wir Krieg führen. Hoffentlich dauert es nicht noch einmal zehn Jahre.(INTERVIEW: Bert Rebhandl, 22.10.2021)